Gastbeitrag Erinnerungen an das Kriegsende im Erkelenzer Land

Erkelenz · Am 8. Mai werden um 12.15 Uhr in Erkelenz die Glocken aller Kirchen 15 Minuten läuten, um an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren zu erinnern. Unser Gast-Autor blickt zurück.

 Bewohner aus Venrath und Kaulhausen waren am 27. Februar 1945 auf dem Weg zur Sammelstelle am Bahnübergang Kölner Straße.

Bewohner aus Venrath und Kaulhausen waren am 27. Februar 1945 auf dem Weg zur Sammelstelle am Bahnübergang Kölner Straße.

Foto: Heimatverein der Erkelenzer Lande

Am 8. Mai 1985 hielt der mittlerweile verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Bundestag anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes die wahrscheinlich wichtigste Rede, die je in Deutschland zu diesem Thema gehalten wurde. Weizsäcker nannte den 8. Mai für die Deutschen keinen Grund zum Feiern, wohl aber einen „Tag der Befreiung“ von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Für die Menschen im Erkelenzer Land war der 8. Mai 1945 im Hinblick auf das Ende der Kampfhandlungen sicherlich ohne wesentliche Bedeutung, denn hier war schon Ende Februar 1945 mit der Eroberung durch die Amerikaner der Krieg faktisch zu Ende. Über die Kostenpflichtiger Inhalt letzten Tage des Krieges im Erkelenzer Land im Febraur 1945 berichtete die Rheinische Post am 3. März.

Aber was geschah danach? Denn Frieden war ja noch nicht, die Erkelenzer Lande waren besetzt, zunächst von den Amerikanern, die später von den Engländern abgelöst wurden. Die Berichte über die Geschehnisse dieser Zeit sind dürftig, ist auch verständlich, denn die wenigen im Erkelenzer Land Verbliebenen hatten andere Sorgen.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner mussten in den meisten Ortschaftes des Erkelenzer Landes die Bevölkerung Häuser und Wohnungen verlassen. Sie wurden gezwungen, über mehrere Tage auf engsten Raum und unter menschenunwürdigen Zuständen zu leben.

Erkelenzer Markt, Altes Rathaus und die Kirche.

Erkelenzer Markt, Altes Rathaus und die Kirche.

Foto: Hermann Schwingens/Heimatverein

Egidius Schmalen, Kaplan in Erkelenz, hat für die Zeit vom 6. Dezember 1944 bis 1. Juli 1945 einiges aufgeschrieben. So schreibt er zum 27. Februar 1945: „Die Bewohner in der Umgebung wurden in die Stadt getrieben. Rath, Venrath, Mennekrath und Terheeg sind mit etwa 3000 Man in den Baracken (Anmerkung: In Erkelenz zwischen Gerhard-Welter-Straße und Tenholter Straße) zehn Tage lang, die ersten Tag ganz ohne Nahrung. Östrich musste nach Kückhoven für fast 14 Tage. Wockerath musste nach Katzem, Matzerath war fast vier Wochen in Übach, Oerath konnte bleiben, in Matzerath waren Holtum und Schwanenberg“

Jack Schiefer, Widerstandskämpfer, der vor dem Krieg in Erkelenz lebte, wurde am 26. April 1945 von der Militärregierung zum Landrat für den Kreis Erkelenz ernannt, hat in seinem Bericht „Zerstörung und Wiederaufbau im Kreis Erkelenz“ die Geschehnisse bis etwa 1948 festgehalten.

Ein Blick in die untere Kölner Straße/Ecke Südpromenade zeigt das ganze Ausmaß der Zerstörung.

Ein Blick in die untere Kölner Straße/Ecke Südpromenade zeigt das ganze Ausmaß der Zerstörung.

Foto: Hermann Schwingens/Heimatverein

Zu den Zwangsräumungen schreibt er unter anderem, dass während der Abwesenheit der Bewohner deren Häuser geplündert, Teile des Mobilars willkürlich zerstört, Häuser beschädigt oder in Brand gesteckt wurden.

Nach der Rückkehr der Bewohner, so etwa ab Anfang März 1945, gestaltete sich besonders die Ernährung schwierig, die Vorräte waren geplündert, und Bäckereien oder Metzgereien waren noch nicht funktionsfähig. In Erkelenz funktionierte als erste am 29. April 1945 die Bäckerei Heinrich Schröder am Markt. Ein weiteres Problem war, dass es keinen Strom, kein Gas und kein Wasser gab. In der Stadt Erkelenz gab es anfangs zwei Wasserstellen, am Wasserturm und an der Molkerei (in der heutigen Hermann-Josef- Gormanns-Straße). Hier mussten die Erkelenzer das Wasser holen. Aber diese Wasserstellen waren auch Nachrichtenzentralen, hier hörte man, wo es etwas gab. Schiefer berichtet auch, dass der Motor der Pumpe bei der Molkerei eines Nachts gestohlen wurde.

Die Brunnen der Wasserversorgung, zum Beispiel in Erkelenz, Holzweiler, Matzerath oder Uevekoven, funktionierten zwar mehr oder minder, aber das Leitungsnetz war völlig zerstört und es dauerte einige Zeit, bis eine notdürftige Wasserversorgung möglich war. Gleiches galt auch für die Strom- und Gasversorgung.

Die Eisenbahnverbindungen waren am 20. Januar 1945 eingestellt worden und erst am 2. Juli 1945 wurde der öffentliche Eisenbahnverkehr in die Richtungen Aachen und Mönchengladbach wieder aufgenommen. Das zivile Telefonnetz war seit September 1944 gesperrt, beim Einmarsch der Amerikaner zerstört. Erst am 2. Januar 1946 wurde der Fernsprechverkehr wieder aufgenommen.

 Die zerstörte Pfarrkirche St. Lambertus im Mai 1945.

Die zerstörte Pfarrkirche St. Lambertus im Mai 1945.

Foto: Hermann Schwingens/Heimatverein

Ein großes Problem für die Bevölkerung im Erkelenzer Land, die übrigens durch Heimkehrer wieder anstieg, waren die Plünderungen und Brandschatzungen durch ehemalige Zwangsarbeiter und Verschleppte, die regelrechte Raubzüge durch die Dörfer des Erkelenzer Landes durchführten. Zwar setzte die Militärregierung MP-Streifen ein, die brachten aber keine wesentliche Besserung. Die Lage veränderte sich erst im Sommer 1945, als die Lager, zum Beispiel in Hetzerath oder Keyenberg, aufgelöst wurden und die ehemaligen Zwangsarbeiter und Verschleppte das Erkelenzer Land verließen.

Es ist anzunehmen, dass der 8. Mai 1945 im Erkelenzer Land ein Tag „wie jeder andere“ in dieser Zeit war, ein Tag, an dem der Kampf ums tägliche Leben im Vordergrund stand. Das wird auch dadurch bestätigt, dass Schiefer, der viele Ereignisse festgehalten hat, diesen Tag überhaupt nicht erwähnt.

Schiefer schreibt unter anderem, dass am 1. Mai 1945 in Erkelenz 150, in Lövenich 116, in Baal 62 und in Ratheim-Hückelhoven 150 Personen registriert waren.

Nach dem 8. Mai nahm die Zahl der Heimkehrer stetig zu, insbesondere die der Evakuierten, die in der russischen Zone waren. Was die Heimkehrer im Erkelenzer Land erwartete, war ihnen zunächst gleichgültig, man wollte „zurück in die Heimat“, die meistens aber nur aus Trümmern bestand. Das Herrichten notdürftigen Wohnraumes, oft im Keller, war angesagt, und das Bemühen um Essen und Trinken, der Tauschhandel und der Schwarzmarkt beherrschten das tägliche Leben. Das wurde erst mit der Währungsreform im Juni 1948 besser.

In Erkelenz-Stadt waren beide katholischen Kirchen und auch die evangelische Kirche völlig zerstört. Schmalen schreibt, dass er am 18. März zum ersten Mal Messen in Östrich und Oerath gehalten hat, trotz Verbot durch den Kommandanten. Weitere Messen folgten dann in Matzerath und Terheeg. Die erste Messe in Erkelenz wurde am 1. April zu Ostern 1945 in zwei Räumen des Pfarrhauses gehalten. Und die erste Fronleichnamsprozession nach dem Krieg war am 31. Mai 1945 in Oerath, Terheeg, Mennekrath und Wockerath.

Im Juli 1945 wurde im ehemaligen Lambertussaal eine Notkirche eingerichtet, die etwas später durch die Einbeziehung einer ehemaligen Wehrmachtsbaracke noch erweitert wurde.

Evangelischer Gottesdienst wurde zunächst in einigen Privatenräumen und dann im erweiterten ehemaligen Wintergarten des Pfarrhauses abgehalten.

Eine wichtige Aufgabe nach dem Einmarsch der Amerikaner war der Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung. Alle NS-Bürgermeister hatten sich frühzeitig in Sicherheit gebracht. Schon kurz nach ihrem Einmarsch wurden dann von den Amerikanern Personen – oft völlig wahllos – zu Bürgermeistern ernannt, vielfach waren das auch katholische Geistliche oder Mitarbeiter der bisherigen Verwaltungen. Da kam es aber auch vor, dass jemand Parteigenosse gewesen war, der musste dann als Bürgermeister wieder „entfernt“ werden.

Die Bürgermeister waren „Vertrauensmänner“ der Besatzungsmacht und diese übertrug ihnen die Sorge um die Bevölkerung. So bestand ihre Aufgabe unter anderem in der Sicherstellung der Ernährung, Anordnung von Aufräumarbeiten , Organisation der Hilfspolizei und Beschaffung von Wohnraum.

In Erkelenz hatte sich der Rest der verbliebenen Stadtverwaltung nach der Zerstörung des Rathauses im Februar 1945 in Mennekrath in einem Privathaus einquartiert. Als die Amerikaner Mennekrath eroberten, bestimmten Sie den städtischen Angestellten Hermann Künkels zum Bürgermeister. Mit dem verbliebenen Rest der Mitarbeiter residierte Künkels zunächst im Hause von Ferdinand Classen in der Südpromenade. Später zog die „Stadtverwaltung“ in das Haus Gerards an der Ecke Brückstraße/Vereinsstraße (heute Anton-Heinen-Straße). Wiederum etwas später zog sie dann in das Haus des Kreises Erkelenz an der Ecke Kölner Straße/Freiheitsplatz. Dort blieb die Stadtverwaltung bis zum Neubau des Rathauses am Johannismarkt im Jahre 1952.

Noch im Jahre 1945 wurde der Bürgermeister Künkels durch den Studienrat Peter Clasen aus Keyenberg abgelöst. Der wiederum wurde schon am 1. Juli 1945 durch Josef Stehr abgelöste, der im Jahre 1946 zum Stadt- und Amtsdirektor ernannt wurde.

Der Schulbetrieb wurde erst im Herbst 1945 wieder aufgenommen. Da die Volksschule am heutigen Zehnhofweg wegen Bombenschäden nicht benutzbar war, mussten die Kinder der Innenstadt zu den Schulen in den Dörfern, zum Beispiel Bellinghoven, Tenholt oder Oerath gehen.

Ich selbst bin mit meinen Eltern erst im Dezember 1945 nach Erkelenz zurückgekommen. Da wir im Stadtteil ,Kairo’ eine vorläufige Unterkunft gefunden hatten, musste ich nach Terheeg zur Schule gehen, einen Schulbus gab es natürlich nicht. Ende 1945/Anfang 1946, ich kann mich noch gut daran erinnern, bestand die Innenstadt von Erkelenz eigentlich nur aus Trümmern. Und so manche Trümmergrundstücke waren unsere Spielplätze.

75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der so viel Elend über die Welt gebracht hatte, sollten wir uns an die 75 Jahre währende Friedenszeit, auch hier im Erkelenzer Land, voller Dankbarkeit erinnern.

Günther Merkens ist Vorsitzender des Heimatvereins der Erkelenzer Lande.

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