Flüchtlinge aus Afghanistan in Erkelenz In fünf Jahren viel erreicht

Erkelenz · Nasrat und Hussein stehen für erfolgreiche Flüchtlingsgeschichten. Ihre Ausbildungen haben sie beendet. Vor fünf Jahren kamen sie als minderjährige unbegleitete Flüchtlinge aus Afghanistan nach Deutschland.

 Shir Hussein (l.) und Nasrat kamen als Flüchtlinge nach Erkelenz. Mit Unterstützung nutzten sie Chancen des Bildungssystems.

Shir Hussein (l.) und Nasrat kamen als Flüchtlinge nach Erkelenz. Mit Unterstützung nutzten sie Chancen des Bildungssystems.

Foto: Andrea Ludwigs-Spalink

„Das ist eine Karriere in fünf Jahren“, freut sich Martina Hackenholt. Das Mitglied der Flüchtlingshilfe „Ankommen“ hat erlebt, wie der damals 16-jährige Afghane Nasrat Nazari nach seiner Flucht bei Null anfing: Zuerst musste er, der nur drei Jahre eine Dorfschule besuchte, lesen und schreiben lernen und die deutsche Sprache büffeln. 2020 schloss er eine Ausbildung zum Tischlergesellen ab. Für seine Leistungen in der Prüfung und sein Gesellenstück, eine Glasvitrine aus Holz, erhielt der heute 21-Jährige eine Belobigung als Innungssieger. „Ich bin Vierter von 23 im Kreis Heinsberg geworden“, sagt Nasrat.

Der Erfolg war möglich, weil viele Faktoren zusammenkamen: Bei Nasrat waren das Disziplin, Fleiß und der Wille, Chancen zu nutzen. Auf der anderen Seite waren das Flüchtlingshelferin Christine Comenius, die Nasrat in der Erstaufnahme in Grevenbroich kennenlernte und heute „Mama“ nennt, später die Erzieher im Jugendhof Genfeld in Erkelenz, die Lehrer der Hauptschule Erkelenz, Flüchtlingshelferin Martina Hackenholt und die Arbeitgeber. Nicht zuletzt eine Erkelenzer Familie, die ihm mietfrei ein Zimmer zur Verfügung stellte. Als Nasrat bei Volljährigkeit den Jugendhof verlassen musste, hätte er in ein Flüchtlingscamp mit vier Personen pro Zimmer ziehen müssen. Dort wäre vernünftiges Lernen unmöglich gewesen.

Er ist allen Unterstützern dankbar. „Auch meine Mitschüler in der Hauptschule und meine Kollegen bei Innenausbau Claßen waren immer hilfsbereit“, berichtet er. Mittlerweile hat er mit Hilfe von „Mama“ Christine eine eigene Wohnung gefunden und ist als Geselle von seinem Lehrherrn Hermann-Josef Claßen übernommen worden. Dass er auch eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst zwei Jahre hat, ist das i-Tüpfelchen auf seiner Entwicklung. Die Jahre als abgelehnter Asylbewerber mit Duldung waren bitter: „Als Geduldeter wirst du wie ein Ball behandelt. Sie kicken dich weg, weil sie nicht in dich investieren wollen. Sie denken, du wirst abgeschoben.“

Die Angst vor Abschiebung kennt auch sein Freund Shir Hussein Ahmad Ali, der mit 15 Jahren allein in Deutschland ankam. Der Afghane, den seine Familie wegen der Konflikte im Land auf die Reise schickte, hat Nasrat in Grevenbroich kennengelernt. Hussein wurde ebenfalls im Jugendhof Genfeld untergebracht. Auch er lernte Deutsch und fand eine Ausbildung bei Aldi. Seit wenigen Wochen hat er nach zwei Jahren Lehrzeit den Verkäufer-Abschluss in der Tasche. Jetzt lernt er noch ein Jahr für den Einzelhandelskaufmann.

Ihm blieb das Flüchtlingsheim nach der Volljährigkeit nicht erspart, aber während der Prüfungsvorbereitung hatte er Glück: Er übernahm das Zimmer von Nasrat bei der Erkelenzer Familie, als dieser seine Wohnung bezog. Noch heute hat Hussein, der inzwischen durch „Ankommen“-Mitglied Martina Hackenholt eine Wohnung gefunden hat, Kontakt zu seinem Wohnungsgeber: Wenn dieser im Urlaub weilt, gießt Hussein dessen Blumen und darf Tomaten ernten. Man vertraut einander wie in einer Familie.

Nach diesen Erfahrungen schauen Hussein und Nasrat optimistisch in die Zukunft. „Man kann alles schaffen, wenn man will“, so Hussein, das nächste Ziel vor Augen: den Führerschein. „Hussein und Nasrat sind für uns Flüchtlingshelfer Motivation“, sagt Andrea Ludwigs-Spalink. Die Vorsitzende der Flüchtlingshilfe „Ankommen“ weiß, dass nicht alle Azubis unter den Geflüchteten so glückliche Umstände und helfende Hände finden. Deshalb möchte der Verein denen unter die Arme greifen, die Hilfe beim Lernen in Schule und Beruf brauchen.

Gesucht werden Menschen, die aus Handwerks- und kaufmännischen Ausbildungsberufen kommen und Lust haben, nach Absprache mit einem Azubi Hausaufgaben zu machen und ihn auf Klassenarbeiten vorzubereiten. „Deutschland braucht qualifizierte Arbeitskräfte, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können“, so Ludwigs-Spalink. Kontakt: 02431 972085.

(alu)
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