Mittsommernachtslesung auf Altem Erkelenzer Friedhof Den Weg zwischen Sturm und Drang finden

Erkelenz · Die sechste Mittsommernachtslesung auf dem Alten Friedhof an der Brückstraße in Erkelenz lockte trotz Corona erneut begeisterte Literaturfreunde zu einer außergewöhnlichen Lesenacht an. Die Autoren teilten sehr persönliche Geschichten.

 Autor Kurt Lehmkuhl ist einer der Initiatoren der beliebten Mittsommernachtslesung auf dem Alten Friedhof an der Brückstraße in Erkelenz (Archivfoto).

Autor Kurt Lehmkuhl ist einer der Initiatoren der beliebten Mittsommernachtslesung auf dem Alten Friedhof an der Brückstraße in Erkelenz (Archivfoto).

Foto: Renate Resch/Rentate Resch

Nachts liegt der Alte Friedhof an der Brückstraße meist still da. Es gibt jedoch einen Abend im Jahr, an dem der Friedhof zur schaurig-schönen Kulisse für Kultur und Literatur wird. Trotz Corona durften die ehemaligen Organisatoren der Leseburg, Helmut Wichlatz und Kurt Lehmkuhl, zur sechsten Auflage ihrer Mittsommernachtslesung einladen und gaben den Besuchern damit ein heiß ersehntes Stück der kulturellen Normalität zurück.

Die Abstände zwischen den Picknickdecken und Campingstühlen der Mitbring-Lesung waren dieses Jahr zwar viel größer als gewohnt, das tat dem literarischen Genuss aber keinen Abbruch – die Lesenacht war ausverkauft und erfreute so rund 50 Zuschauer.

Noch am selben Abend musste das Programm kurzfristig geändert werden, da René Wagner erkrankt war und als Ensemble-Mitglied ausfallen musste. Doch auch die vier verbliebenen Autoren bedachten ihr Publikum mit einem bunten und fesselnden Potpourri aus skurrilen, philosophischen oder romantischen Geschichten. Den humoristischen Einstieg in den Leseabend machten die beiden Initiatoren mit einem Ratespiel. „Wir haben jedes Jahr eine neue Überraschung parat, wir wissen im Vorhinein nur nie, ob sie auch funktioniert“, lachte Lehmkuhl. Gemeinsam mit Wichlatz rezitierte er dramatische Schlagertexte – und ließ das Publikum erraten, welcher Sänger denn für die gesagten Zeilen verantwortlich sein könnte.

Die eigentliche Lesung begann mit der Poetry-Slammerin Valerie Schippers aus Hückelhoven, die im Vorjahr ihr Debüt bei der Mittsommernachtslesung feierte. Ihr erster Text „Wenn man in einem Tunnel steht“ verpackte Sinnkrisen und Orientierungslosigkeit in wunderschöne Worte, während sie mit „Wer bist du“ eine Ode an die Freundschaft vortrug. Ihre Texte waren so persönlich und berührend wie universell, sie machten nachdenklich und rüttelten auf.

„Sie hat letztes Jahr den Laden schon so gerockt, da war mir sofort klar, dass sie wiederkommen muss“, sagte Lehmkuhl über das junge Talent. Helmut Wichlatz erzählte in „Der Besenstiel“ von einem verliebten Hypnotiseur, der seinem Liebhaber und amtierenden Bürgermeister zur Wiederwahl verhelfen will und dafür zu ungewöhnlichen Mitteln greift. Er lässt den Gegenkandidaten von seinem „tierischen“ Wahlkampfteam verspeisen, doch seine Taten haben ungeahnte Konsequenzen – die das Publikum umso mehr erheiterten.

Claudia Ingenillen war bereits zum dritten Mal bei der Lesenacht dabei. In der Kurzgeschichte „Klara und die Räucherhütte“ verknüpfte sie eine idyllische Szenerie mit einer makabren Wendung. Danach las sie das dritte Kapitel ihres neuen Buches: „Das Ende der Normalität“ erzählt die Geschichte ihrer Tochter Lisa, die sich kurze Zeit nach der Geburt mit Krankenhausbakterien infizierte und nun mehrfach schwerstbehindert ist. Ingenillen pflegt Lisa seitdem und schrieb deren Memoiren aus ihrer Sicht als Geschenk zu Lisas 30. Geburtstag nieder, da Lisa dazu selbst nicht in der Lage ist.

Noch während Ingenillen las, ereignete sich ein beklagenswerter Vorfall: Eine Zuschauerin kollabierte und wurde kurz darauf mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Glücklicherweise kam sie noch vor Ort wieder zu sich. Die Veranstalter erwogen zunächst, die Lesung damit zu beenden, doch nach mehreren Gesprächen mit der Betroffenen und deren Bekannten setzten sie die Veranstaltung in ihrem Sinne mit leicht verändertem Inhalt fort.

Valerie Schippers setzte nun mit „Gedankenspiel“ ein verbales Denkmal zu menschlicher Gier und der Notwendigkeit, die aktuellen Missstände anzugehen. In „Findet irgendwer den Weg zwischen Sturm und Drang?“ verband sie den Weg der Selbstsuche mit dem Wandel der Jahreszeiten, bevor Kurt Lehmkuhl einen ungewöhnlichen Schlusspunkt setzte. „Ich habe mir mein Portfolio angeschaut und nur Kriminalgeschichten und Fantasy gefunden, aber in Zeiten von Corona wollte ich etwas anderes und hoffnungsvolleres vortragen“, sagte er. Also habe er zum allerersten Mal eine Liebesgeschichte geschrieben. Trotz der durch Betroffenheit gedrückte Stimmung vermochte er es mit „Hund und Katze“ die Lesung mit einer positiven Note enden zu lassen, und dankte der Stadt für die Unterstützung der Veranstaltung trotz der notwendigen Auflagen.

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