Evangelische Kirche in Erkelenz pflegt Verbindung mit Ostdeutschland Freundschaft trotz Spannungen mit DDR

Erkelenz · In Zeiten, als Deutschland noch nicht wiedervereinigt war, unterhielt die evangelische Kirchengemeinde Kontakte nach Brandenburg. Freundschaften entstanden.

 Hans-Josef Broich (l.) und Günter Jendges erläutern das Holzrelief aus den Partnergemeinden im Erkelenzer Pfarrzentrum.

Hans-Josef Broich (l.) und Günter Jendges erläutern das Holzrelief aus den Partnergemeinden im Erkelenzer Pfarrzentrum.

Foto: Willi Spichartz

Vor allem die Weihnachtszeit gilt für gläubige Christen als Zeitraum fürs Spirituelle. Dass sich aber geistige Hinwendung nicht auf wiederkehrende Zeitspannen begrenzen lässt, erlebte eine Gruppe Jugendlicher der evangelischen Kirchengemeinde Erkelenz 1986 in Ungarn. Man verlebte mit einer Freundesgruppe aus ihrer DDR-Partner-Kirchengemeinde in Kötzlin/Berlitt in Brandenburg eine Freizeit am ungarischen Plattensee, dem Balaton. Und diese einmalige Partnerschaft in der hiesigen Region feierte unlängst ihr 60-jähriges Bestehen.

Günter Jendges und Hans-Josef Broich als Pfarrer und Ehrenamtler der Erkelenzer Gemeinde erinnern sich, wie in der Zeit der zwei großen Politik-Blöcke, grob als „Westen“ und „Ostblock“ benannt, in deren Anfangszeiten Begegnungen auf deutsch-deutscher Ebene möglich waren. Das funktionierte allerdings „nicht einfach so“, wie beide sagen. Hintergrund war, dass die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) die Verbindung ihrer Kirchengemeinden untereinander nicht abreißen lassen wollte, nachdem am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland und fünf Monate später, am 7. Oktober 1949, die Deutsche Demokratische Republik als zwei Staaten gegründet worden waren. Die EKD war noch, und das bis zum Jahr 1969, die gemeinsame Dachorganisation der jeweiligen Landeskirchen in DDR und BRD.

Jede Kirchengemeinde im Westen, so die EKD 1949, solle für eine Gemeinde in der DDR eine Patenschaft übernehmen, für Erkelenz wurden die kleinen Landgemeinden Kötzlin und Berlitt, 120 Kilometer nordwestlich von Berlin im Havelgebiet, ausgesucht.

1958, so haben die Erkelenzer Geschichtsforscher aus Berichten des früheren Kirchmeisters Ib Schwanke herausgefunden, begannen die Kontakte nach Kötzlin und die Nachbarorte, alles ganz kleine Siedlungen; frühere Beziehungen konnte man nicht feststellen. Der erste Eintrag ins Protokollbuch der Erkelenzer Gemeinde zu einer partnerschaftlichen Begegnung datiert vom 16. bis 21. Februar 1959. Nicht in Erkelenz, nicht in Kötzlin oder der dortigen Kreisstadt Kyritz – sondern in Ost-Berlin, und zwar mit leicht konspirativem Touch. Denn die etwas wechselhafte „Kirchenpolitik“ der DDR hatte im sechsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu Spannungen zwischen ihr und den Landeskirchen in der EKD geführt. Die Kötzlin-Berlitter kamen nach Ostberlin, um kein Aufsehen zu erregen – die Erkelenzer reisten zuerst nach Westberlin. Dann querten die Erkelenz-Westberliner die Sektorengrenze mit einem Tagesvisum nach Ostberlin zur deutsch-deutschen Begegnung. Schnell war klar, dass etwas ins Leben gerufen worden war, das weiter ausgebaut zu werden lohnte, ja musste.

Es folgten weitere Begegnungen auf Gemeindeebene, viele Freundschaften zwischen Gemeindegliedern wurden geschlossen, der Austausch wurde zur Regel. Geld wurde über Umwege von West nach Ost geleitet, vor allem für Materialien für die Renovierung der kleinen Kirchen der Partner unweit der von Berlin kommenden Havel. Päckchen-Aktionen mit Mangelwaren für die gleiche Richtung fanden jährlich statt, für Baumaterialien wurden allerdings geeignetere Transportformen genutzt. Jeweils in der Vorweihnachtszeit wurden in Erkelenz besonders viele Päckchen mit dem Fest entsprechenden Köstlichkeiten gefüllt.

In Zeiten von Entspannung auf politischen Ebenen ab den 1970er Jahren eröffneten sich Möglichkeiten von Direkt-Besuchen in den Partner-Ortschaften, bei denen man sich auch vom sinnreichen Einsatz der Baumaterialien an den schnuckeligen Kirchen überzeugen konnte. Denn, so Jendges und Broich, die Partner-Gemeinden verfügen über herausragende Handwerker.

Bei den Erkelenzern hat sich die „Berlitter Kaffeetafel“ im Berlitter Schloss einen ähnlich umwerfenden Ruf erworben wie die Bergische Kaffeetafel an der Wupper, wie Hans-Josef Broich sie bis heute gern erlebt. Und in Kötzlin ist der historische Backofen Ort des Vergnügens, Broich: „Hier dauert die Kaffeetafel Stunden mit frisch gebackenem Kuchen, währenddessen werden schon Fleisch und andere Köstlichkeiten für das Abendessen in den Ofen geschoben.“

Besonders ist Broich ein Akt im Jahr 2017 im Gedächtnis und Gefühl präsent: Da wurde in der Partnergemeinde ein Anwärter auf die Mitgliedschaft der evangelischen Kirche nicht „mit“, sondern „im“ Havelwasser getauft im unwesentlich entfernten Flüsschen.

Eine Art Wallfahrt war denn auch die Jugendbegegnung 1986 in Ungarn, vor allem der Balaton-See war beliebtes Ziel für DDR-Jugendliche. Auch wenn er kein spirituelles Ziel war, so war er ein stimmungsvolles Quartier für zwei Wochen, an die sich Jugendliche und Betreuer auch 35 Jahre danach noch intensiv erinnern.

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