Erkelenz Der glückliche Satz – ein Etikettenschwindel

Erkelenz · Zuerst sah er sich gezwungen, etwas zu erklären: "Wissen sie eigentlich, dass sie einem Etikettenschwindel aufgesessen sind?", fragte Roger Willemsen eingangs sein Publikum.

Die angekündigte Lesung gebe es nämlich nicht und außerdem existiere überhaupt kein Text mit dem ebenfalls angekündigten Titel "Der glückliche Satz". Trotzdem fand Willemsen es prima, zu Gast in der Erkelenzer Stadthalle zu sein, "denn für mich ist es wichtig, heute mal von der Straße weg zu sein und sie müssen nicht Fußball sehen". Der Publizist und Fernsehmoderator gestaltete den Tag der Weiterbildung im Rahmen der Pädagogischen Woche — ein Projekt des pädagogischen Beirates der Kreissparkasse Heinsberg.

Streifzug durch die Literatur

Der glückliche Satz — ein Streifzug durch die Welt der Literatur, und zwar anekdotisch, nachdenklich und amüsant. 75 Minuten lang entführte Willemsen seine Zuhörer in die Welt der Sätze. Teils schwere Kost, doch prickelnd, fesselnd und spannend von Willemsen erzählt. Mucksmäuschenstill war es in der Stadthalle, so sehr hingen die Zuhörer an Willemsens Lippen. Gespannt, ob es den glücklichen Satz überhaupt gibt und was es ist, das den Satz glücklich macht. Die Frage müsse lauten, so sagte es Willemsen, was die Rezeption aus den Werken mache.

Roger Willemsen macht es mit Geschichten klar und brachte das Beispiel des zentripetalen Blicks (zum Mittelpunkt hinstrebend) auf den Tisch. Er lenkte das Interesse der Zuhörer auf das Meer, zu sehen seien Schiffe mit ihren Ladungen. Doch es gebe noch so viel mehr zu sehen wie das Glitzern des Meeres. Doch genau dies gehe unter, bei dem, der sich nur auf die beladenen Schiffe konzentriere. Das Wesentliche, der Kern ist also entscheidend. Genau wie bei einem Detektiv, der Spuren liest und daraus eine Handlung konstruiert. Letztlich verursacht Literatur in Sätzen, was Gegenstände der Welt ausmachen.

Eines seiner Beispiele für einen schlechten Satz: "Das gehört verschwunden!" Schwülstig, aber immerhin pompös und doch eben schlecht. Jedoch bescheinigte er dem Sprecher eines solchen Satzes die Qualität, sein Talent weiterzuentwickeln.

Sätze müssen erfahrbar sein, so erzielt der Satz "Der Frühling wird kommen, aber ich werde ihn nicht sehen" eine vollkommen andere Wirkung und Gefühlsregung beim Leser als das bloße Wort "blind".

Willemsen bewies in Erkelenz auch seine kabarettistische Qualität — nicht zuletzt dieser Umstand ließ den Vortrag gelingen. Der Lohn: Langanhaltender Applaus nach 75 Minuten, danach Autogramme im Foyer — Willemsen hat in Erkelenz Freunde gefunden.

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