Erkelenz Demagoge mit Dichterambition

Erkelenz · Ralf Georg Czapla referierte über die Jugend- und Studienjahre des gebürtigen Rheydters Joseph Goebbels, im Dritten Reich Propagandaminister.

Erkelenz: Demagoge mit Dichterambition
Foto: Speen (Archiv)

Was hatten die Nazi-Größen Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring und Baldur von Schirach gemeinsam? "Alle vier hatten eine ausgeprägte künstlerische Passion", erklärt Prof. Dr. Ralf Georg Czapla zu Beginn seines Vortrags "Und er wollte doch Dichter werden . . . Jugend- und Studienjahre des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels" im vollbesetzten Saal des Alten Rathauses in Erkelenz.

Damit sorgt der gebürtige Erkelenzer aus Immerath (alt), der an der Universität Heidelberg Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft lehrt, gleich für erste überraschte Gesichter im Publikum. Hitler, der verhinderte Maler, Goebbels und von Schirach, die gescheiterten Dichter - das ist bekannt. Aber Göring, der Jagdfliegerheld aus dem Ersten Weltkrieg, Uniform- und Ordenbesessene sowie Kunsträuber im großen Stil? "Der wollte Modeschöpfer werden", sagt Czapla.

Auch in den folgenden knapp 60 Minuten verblüfft der Professor seine Zuhörer immer wieder mal - auch wenn es fortan ausschließlich um Joseph Goebbels geht, im Dritten Reich quasi von dessen Anfang bis zum Ende Minister für Volksaufklärung und Propaganda - und in dieser Eigenschaft der Herrscher über alle Massenmedien und Kulturschaffenden.

Geboren ist Goebbels 1897 in Rheydt - und stammt damit aus unmittelbarer Nachbarschaft zum Erkelenzer Land. Goebbels sei auch einige Male in Erkelenz gewesen, führt Czapla aus - und zitiert dazu eine Stelle aus den "Erinnerungsblättern" Goebbels', die dieser vor Beginn seines umfangreichen Tagebuchschreibens rückwirkend für die Zeit von seiner Geburt bis zum Jahr 1923 verfasst hat. Allzu viel Aufschluss gibt die Stelle aber nicht - und auch, dass Goebbels in seiner Jugend wohl auch mal in Tüschenbroich war, will Czapla leicht schmunzelnd nicht überbewerten: "Der wird da das getan haben, was auch heute noch alle da tun: Kaffee trinken, Kuchen essen, Bötchen fahren" - Minigolf dürfte es zu Goebbels' Zeiten dort jedenfalls noch nicht gegeben haben.

Neben den "Erinnerungsblättern" nähert sich Czapla dem frühen Goebbels über eine zweite Quelle: dessen (unveröffentlichten) Gedichten. Bereits als Zwölfjähriger verfasste Goebbels ein Gedicht für einen soeben verstorbenen Freund - und das trägt Czapla ebenso vor wie ein Beispiel für Goebbels' spätere biedermeierliche Liebeslyrik für seine Jugendliebe Anka. "Wenig inspirierte Konstrukte", merkt Czapla dazu an. Freilich schon garniert mit einer guten Portion Größenwahn. Einmal vergleicht sich Goebbels mit Schiller (zumindest vom Äußeren), dann versteigt er sich zu diesem Vers: "Gott Vater, diese Pracht hätte ich nicht besser gemacht", lässt er da das lyrische Ich sagen.

Generell sei Goebbels, der einen Klumpfuß hatte, in seiner Jugend sehr aufs eigene Leid fixiert gewesen. Passend dazu rezitiert Czapla das mit Abstand krasseste Gedicht des Abends: "Nachtgebet", ein tiefes Zeugnis von Goebbels' fundamentaler Glaubenskrise, das geradezu von Höllensehnsucht zeugt: "Ich lache Deiner Gnadenhuld/Spar die für Deine Frommen/Und lass mich, lächerlicher Gott,/In Deine Hölle kommen./Denn ich will trotzen ohne End'/Dem Himmel und der Erden/Und fluchen Dir in Ewigkeit/Dass Du mich ließest werden."

Als Schriftsteller gescheitert, dem christlichen Glauben abgeschworen (Goebbels wuchs in einem sehr katholischen kleinbürgerlichen Elternhaus auf, war auch ein sehr guter Schüler), sucht Goebbels fortan verzweifelt eine neue Religion - und findet diese schließlich im Nationalsozialismus, mit Hitler als "seinem" neuen Heilsbringer, dem er bedingungslos folgt - bis in den Tod.

Nüchternes Fazit Czaplas: "Kreativität ist wie auch bei anderen Nationalsozialisten bei Goebbels ins Gegenteil umgeschlagen, wurde aus Schöpfungsdrang Zerstörungsdrang."

(emo)
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