Erkelenz "Das ist ja hier ein echtes Geisterdorf"
Erkelenz · Fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen samt Mitarbeiter haben sich bei einem Rundgang durch Borschemich (alt) über die Auswirkungen des Tagebaus informiert, sprachen auch mit Betroffenen. Vom Ausmaß zeigten sie sich überrascht.
Sehr ruhig ist's im Ort. Auf den Straßen ist keine Menschenseele zu sehen, kaum einmal fährt ein Auto vorbei. Auch daher fällt die kleine Gruppe, die sich an der alten Schule gegenüber Haus Paland im Herzen des Ortes versammelt hat, direkt auf. Darunter sind fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen. "Bergrecht ist Bundesrecht. Daher wollen Mitglieder unserer Bundestagsfraktion mal vor Ort ein Gefühl davon bekommen, was hier passiert", erläutert zur Begrüßung Hans Josef Dederichs, Sprecher des Erkelenzer Ortsvereins der Grünen. "In Berlin gucke ich oft in ungläubige Augen, wenn ich Kollegen von Garzweiler II und seinen Auswirkungen erzähle", ergänzt Oliver Krischer, als Abgeordneter aus dem benachbarten Kreis Düren so etwas wie der "Lokalmatador" dieses Berliner Quintetts.
Abgeordnete sind erschüttert
Sein Kollege Matthias Gastel aus Baden-Württemberg gibt auf Nachfrage seinen ersten Eindruck wieder: "Das ist ja hier ein echtes Geisterdorf. So was kannte ich bislang nur aus dem Fernsehen. Das alles hier wirkt wie die Kulisse für einen schlechten Film." Peter Meiwald, Abgeordneter aus Niedersachsen, ist auch ziemlich perplex. "So etwas kenne ich aus meiner Region nicht. Bei uns gibt's Torfabbau. Doch dafür wurden keine Dörfer vernichtet, sondern ganz im Gegenteil welche gegründet." Und Annalena Baerbock aus Brandenburg meint: "Bei uns gibt's ja auch den Tagebau. Dort sind die umzusiedelnden Orte aber erheblich kleiner als hier."
Dann macht sich die Gruppe auf nach Haus Paland. Die ehemalige Wasserburg ist seit über 180 Jahren in Besitz der Familie Lörkens. Vor dem Anwesen begrüßt Wilfried Lörkens die Gruppe, entschuldigt sich zunächst mal für seine schmutzige Arbeitshose. "Ich komme direkt aus der Werkstatt." Dann legt er los, schildert mit bewegten Worten seinen Kampf um den denkmalgeschützten Familienbesitz und sein Ringen mit RWE Power.
Von 630 Menschen sind nur rund 50 übrig
"In den vergangenen 30 Jahren habe ich das Haus auf Vordermann gebracht. 2015 muss ich nun raus." Und von den einst im Ort lebenden 630 Menschen seien nun nur noch etwa 50 übrig geblieben. Lörkens redet temperamentvoll, lässt dabei immer wieder seine rechte Hand auf den Oberschenkel sausen. Die Poliker können seine Fassungslosigkeit und Traurigkeit verstehen. "Ich wusste bislang zwar schon sehr genau, was die Nutzung der Braunkohle fürs Klima bedeutet — nicht aber für die betroffenen Menschen", bekennt sichtlich beeindruckt Gastel.
Danach macht sich die Gruppe auf den Weg zur Gärtnerei der Brüder Helmut und Joachim Meier. Auf dem Weg muss Gastel ein wenig korrigiert werden. "Die Autobahn kann man hier aber gut hören", sagt er. Falsch, es ist das monotone Surren der riesigen Bagger, die schon bedrohlich nahe an den Ort gerückt sind — Gastel schluckt. Die Brüder Meier erzählen der Gruppe dann von ihrer drohenden Enteignung, ihrem Kampf um die nackte Existenz.
"An den Umsiedlungsort können wir mit unserem Betrieb nicht ziehen. Borschemich (neu) liegt in der Wasserschutzzone 3a. Da sind Gartenbaubetriebe gar nicht zulässig", sagt Helmut Meier — und lässt am Ende eine sehr nachdenkliche Gruppe zurück. "Erschreckend finde ich vor allem auch, wie man hier genau mitbekommt, wie ein Ort langsam stirbt", sagt nachdenklich Julia Verlinden.