Räumung schreitet voran Kaum noch Widerstand in Lützerath

Lützerath · Bis auf zwei Aktivisten in einem Tunnel haben fast alle Protestler das Braunkohledorf verlassen. Danach schaffen die Polizisten Fakten, indem Hütten sofort abgerissen werden. Die Räumung hat also drei Tage gedauert.

Fotos Lützerath Räumung: Tag 3 - Aktivisten in Tunnel und vor RWE-Zentrale​
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Tag drei in Lützerath – Aktivisten in Tunnel und vor RWE-Zentrale

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Rufe klingen verzweifelt. „Verpisst euch. Das ist unser Wald“, brüllen schwarz vermummte Personen von Baumhäusern zu den behelmten Polizisten, die in großer Anzahl zu ihren Füßen am Boden im tiefen Matsch stehen. Ihre Rufe sind kaum zu verstehen, starker Wind peitscht durch das Wäldchen inmitten Lützeraths, das zur letzten Bastion des Protestes gegen den Braunkohleabbau geworden ist. „Lützi bleibt“, schreien sie mit dem Mut der Verzweiflung, obwohl sie wissen, dass das nicht stimmen kann.

Am Nachmittag bekommen sie Unterstützung von der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg, die Lützerath besucht und das Vorgehen der Polizei bei der Räumung des rheinischen Dorfes scharf kritisiert. Die 20-Jährige besichtigt auch den Krater des Braunkohletagebaus und hält dabei ein Schild mit der Aufschrift „Keep it in the ground“ (Lasst es im Boden) hoch. Am Samstag werde sie an der geplanten Kundgebung für die Erhaltung von Lützerath teilnehmen, kündigt sie an.

Bereits am dritten Tag der Räumung ist aber von Lützerath nicht mehr viel übrig geblieben – und von den Aktivisten auch nicht. Höchstens 20 bis 30 von ihnen dürften sich noch in den Wipfeln versteckt halten. Die Polizei und Kräfte von RWE haben bis auf einige Baumhäuser so gut wie alles geräumt. Das letzte besetzte Gebäude ist ebenfalls am Freitag von der Polizei eingenommen worden.

Am Morgen hatten sich allerdings Aktivisten unter anderem der Gruppe Extinction Rebellion vor der RWE-Konzernzentrale in Essen versammelt. Sie forderten einen Stopp der Räumung Lützeraths. Drei von ihnen ketteten sich an ein Rolltor und blockierten dadurch die Einfahrt. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwagen an, nachdem der RWE-Sicherheitsdienst den Vorfall gemeldet hatte.

Die Aktivisten, die sich noch in Lützerath verschanzt halten und mit denen man spricht, wirken zwar noch kämpferisch, aber ihre Enttäuschung ist deutlich herauszuhören. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht“, sagt eine noch sehr junge Frau, die unterhalb der Bäume hockt und sich eine schwarze Kapuze vom Kopf zieht, um besser etwas trinken zu können. „Ich hatte angenommen, dass wir viel länger aushalten werden. Aber noch ist Lützi nicht verloren“, sagt sie. Ernst kann sie Letzteres nicht meinen. Keine 50 Meter von ihr werden Bäume abgeholzt. Das sieht auch sie. „Das mit den Bäumen ist so schade“, meint sie.

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Foto: Christoph Schroeter

Unweit von ihr steht Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach an einem Loch, das zu einem Tunnel führt. Aktivisten haben den selbst gegrabenen Stollen der Polizei gemeldet, weil sich dort zwei Personen aufhalten, und sie befürchten, dass dieser wegen Räumungsarbeiten einstürzen könnte. Die Polizei hat den Bereich, der mitten in dem Wäldchen mit den letzten Baumhäusern steht, mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Weinspach lässt sich von seinen Untergebenen die Lage im Tunnel erklären. Dabei werden die Einsatzkräfte von oben aus den Baumhäusern, die sich direkt über ihnen befinden, beschimpft und aufgefordert, zu gehen. Weinspach zeigt sich davon unbeeindruckt.

Die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkräfte der Feuerwehr und des THW übernehmen, sagt er. „Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen, für sich.“ Die Konstruktion sei nicht sicher, die Sauerstoffversorgung unzureichend. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekettet seien, wisse er nicht. Per Funk soll Kontakt zu den Personen aufgenommen werden.

Während um die letzten Protestler in Lützerath gerungen wird, brodelt es an der Parteibasis von Grünen und SPD: Bei beiden formiert sich offener Widerstand gegen die Räumung des Dorfes. Bis Freitagvormittag hatten mehr als 2000 Grünen-Mitglieder einen offenen Protest-Brief unterzeichnet. Darin werden Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine NRW-Amtskollegin Mona Neubaur (beide Grüne) aufgefordert, die Räumung sofort zu stoppen. „Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben“ ist der Brief überschrieben.

Als Grünen-Mitglieder könne man die Räumung des Dorfes Lützerath weder verstehen noch hinnehmen. Auch innerhalb der im Bund regierungsführenden SPD formiere sich nun ein breites Bündnis für entschiedenen Widerstand, teilte das innerparteiliche Klimanetzwerk „SPD.Klima.Gerecht“ mit. Schon sechs Juso-Landesverbände sowie über 60 Juso- und SPD-Gliederungen gehörten dazu.

In Lützerath dagegen werden Fakten geschaffen. Drei Tage nach Beginn der Räumung ist das Dorf kaum noch wiederzuerkennen. Wo vor wenigen Tagen noch Aktivisten die Straßen, Wege und Pfade beherrschten, ist nur noch Polizei zu sehen. Die Hallen sind abgerissen worden. Aus dem Dorfinneren hat die Polizei einen großen Parkplatz gemacht, auf dem die Einsatzfahrzeuge stehen. Die meisten Bäume sind auch schon gerodet worden.

Arbeiter, die im Auftrag von RWE den Ort räumen, gehen systematisch vor. Sobald die Polizei einen Bereich von Aktivisten befreit hat, rücken sie vor, planieren, roden und reißen ab. Vom ehemaligen Hof von Eckardt Heukamp, dem Landwirt, der bis zuletzt nicht aufgeben wollte, ist ebenfalls nicht mehr viel übrig geblieben. Auf dem Grundstück, das am zweiten Tag der Räumung von der Polizei eingenommen worden ist, stehen nun Baufahrzeuge. Zugänge werden von der Polizei bewacht.

Ein Aktivist mit Isomatte und Rucksack auf dem Rücken trottet allein einen Trampelpfad entlang, der aus dem Dorf führt. Kapuze und Schal hat er abgezogen. Es ist ein junger Mann, kaum 20 Jahre alt. „Ich hau‘ ab, lass‘ mich in Ruhe“, sagt er nur und lässt Lützerath hinter sich.

Mit Material von dpa.

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