Protest in Lützerath „Das könnte hier schneller vorbei sein als gedacht“

Lützerath · Der Auftakt der Räumung von Lützerath ist weitgehend friedlich verlaufen. Zwar gab es einzelne Angriffe auf Polizisten, viele Aktivisten sind aber freiwillig gegangen. Andere harren in Baumhäusern weiter aus.

Räumung von Lützerath: So leisten die Aktivisten Widerstand
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So leisten die Aktivisten Widerstand

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Plötzlich und unerwartet löst sich im Morgengrauen gegen 8.30 Uhr ein Einsatztrupp der Polizei und stürmt in geschlossener Formation ins besetzte Lützerath. Die Aktivisten werden überrumpelt und weichen schnell zurück. Selbst für andere Teile der Polizei, die mit einem Großaufgebot vor den Toren Lützeraths stehen, kommt der Vorstoß ihrer Kollegen überraschend. „Was machen die da? Warum gehen die schon rein? Das war nicht so abgesprochen. Aber vielleicht ist das auch genial“, spricht ein leitender Polizist ins Funkgerät. Schnell stellt sich heraus, dass es genial ist - zumindest aus Polizeisicht. Verläuft die mit Sorge erwartete Räumung des Dorfes, das dem Braunkohletagebau weichen soll, doch weitaus reibungsloser ab als erwartet. Eine vorläufige Bilanz der Polizei am Nachmittag lautet: alles nach Plan.

Am Morgen müssen sich die Aktivisten zurückziehen, während die Polizei den Überraschungsmoment ausnutzt und weitere Kräfte nachschiebt. In ihrer Verzweiflung werfen die Demonstranten Flaschen, Steine und sogar einen Molotowcocktail in Richtung Polizei. Auch Pyrotechnik und kleine Rauchbomben werden gezündet. Das alles hält die Einsatzkräfte nicht auf. Genauso wenig wie der strömende Regen und der Wind, der in kräftigen Böen über das Gelände weht. Innerhalb einer halben Stunde haben sie große Teile des Dorfes besetzt und unter Kontrolle gebracht. Einige Klimaschützer folgen der Aufforderung der Polizei und gehen freiwillig. Sie werden vom Gelände eskortiert. Viele wollen aber weiter Widerstand leisten. „Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen“, sagt Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.

Schon gegen 9.30 Uhr dominiert die Polizei das Gelände und hat die meisten Areale umstellt. Etliche Aktivisten ziehen sich in Baumhäuser oder sogenannte Tripods zurück, dreibeinige Gestelle, an deren Spitze sie sich festketten. Etliche der Lützerath-Verteidiger haben sich gegen die Kälte in goldfarbene Warmhaltedecken eingewickelt. Im Dorfzentrum bei den Baumhäusern wird die Stimmung allmählich aggressiver. Die Polizei bereitet sich wohl darauf vor, einzelne Hütten zu räumen. Einige Aktivisten werden weggetragen, andere gehen nach einer Ansprache freiwillig. Man merkt deutlich, dass unterschiedliche Personenkreise unter den Protestlern sind. Manche sind extrem aggressiv, beschimpfen die Polizisten („Verpisst euch!“, „Ganz Lützi hasst die Polizei!“) und werfen Steine. Andere hingegen verhalten sich ruhig und friedlich. Es wird Gitarre gespielt, das Küchenteam verteilt Snacks an diejenigen, die auf den Masten sitzen.

Am späten Vormittag hat sich die Lage weitgehend beruhigt. Mitarbeiter von RWE beginnen damit, den Ort einzuzäunen. Die Arbeiten würden vermutlich den ganzen Tag dauern, sagt ein Sprecher des Energiekonzerns RWE. Der Zaun werde etwa 1,5 Kilometer lang sein. Die Polizei betont, der Zaun diene nicht dazu, Demonstranten auf dem Gelände von Lützerath einzuschließen. Alle Geschehnisse begleiten wir live in unserem Blog.

Derweil schweißen Einsatzkräfte einbetonierte Stahlträger ab, die in der Straße stecken. Die Räumfahrzeuge sollen ungehindert durchfahren können. Die Polizisten beginnen nun auch, von Aktivisten besetzte Hallen zu räumen und per Hebebühne Personen von Tripods herunterzuholen. Einzeln werden die Demonstranten weggetragen. Sie singen „Du bist nicht allein. Du bist nicht allein“ und lassen sich mehr oder weniger widerstandslos abführen. Aber offenbar hat sich mindestens ein Besetzer festgeklebt. Wenn der Tripod geräumt ist, ist die zentrale Zufahrtsstraße nach Lützerath frei. Das ist wichtig für die Polizei, weil dann schweres Gerät ins Einsatzgebiet gebracht werden kann.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisiert am Mittag Übergriffe auf Polizisten scharf. „Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen so was machen können“, sagt Reul über die Würfe in Richtung seiner Beamten. Jetzt seien alle friedlichen Demonstranten in der Pflicht, sich von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten zu distanzieren. Reul: „Man kann woanders demonstrieren, man muss denen jetzt nicht noch behilflich sein dadurch, dass man da steht und die Polizei bei der Arbeit stört.“ Am Ortseingang von Lützerath beginnen Bagger am frühen Nachmittag mit Abrissarbeiten. Später werfen Beamte selbst gebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzen so die Räumung fort.

Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist das Einsatzkonzept der Polizei bei der Räumung des Dorfes Lützerath zunächst aufgegangen. Erich Rettinghaus, DPolG-Vorsitzender in NRW, spricht von einem besonnenen Vorgehen der Einsatzkräfte. Thomas Schnelle, CDU Landtagsabgeordneter aus Erkelenz, bewertet den bisherigen Polizeieinsatz ebenfalls positiv. Er habe den Eindruck, dass die Polizisten professionell agierten. „Und ich bin froh, dass alles weitgehend friedlich abgelaufen ist“, sagt Schnelle. Genaue Zahlen zu Verletzten gibt es nicht, einige Beamte und ein paar Aktivisten sollen sich leichte Blessuren zugezogen haben.

Am späten Nachmittag hat die Polizei die Lage in Lützerath vollkommen unter Kontrolle. Nicht viel deutet darauf hin, dass die Aktivisten der Polizei noch wirklich etwas entgegenzusetzen haben. Viele der Verteidiger haben Lützerath mittlerweile verlassen – die meisten jedoch nicht freiwillig. Die Aktivisten, die noch da sind, haben sich größtenteils in Baumhäusern und Gebäuden verschanzt oder sind auf Dächer geklettert. Diese zu räumen, damit soll am Donnerstag begonnen werden. „Wir lassen uns nicht hetzen“, sagt ein Polizeisprecher zum weiteren Vorgehen. Auch in der Nacht würden wegen der größeren Gefahr die Einsätze zurückgefahren.

Erfreut über den unerwartet schnellen Erfolg zeigte sich auch Landrat Stephan Pusch (CDU). Er bedankt sich am späten Nachmittag bei der Aachener Polizei, die in der Federführung des Einsatzes einen guten Job gemacht und deeskalierend auf die Aktivisten eingewirkt habe. Am Donnerstag würde auch ein Sondereinsatzkommando der Polizei eingesetzt, um die Protestler aus den Baumhäusern zu holen. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Einsatz hier nicht mehrere Wochen dauert, sondern schneller vorbei ist als gedacht“, sagte Pusch.

Für den Donnerstag haben sich aber auch noch andere Besucher in Lützerath angekündigt. Laut Fridays for Future will Klimaaktivistin Luisa Neubauer erneut nach Lützerath reisen. Neubauer: „Noch steht das Dorf, und vor allem ist die Kohle unter Lützerath noch unter dem Boden. Solange sie da liegt, können jederzeit neue Verhandlungen aufgenommen werden.“

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