Austritte im Erkelenzer Land Amtsträger stellen sich dem Kirchenfrust
Erkelenzer Land · Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus – so auch im Erkelenzer Land. Die Pfarrei Christkönig will offensiv mit dem Thema umgehen und lud zu einem Gesprächskreis. Der nahm zum Teil einen anderen Verlauf als erwartet.
Gemessen an der Zahl ihrer Mitglieder, verlieren die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Missbrauchsfälle und mangelnde Aufklärungsbereitschaft sowie eine rigide Haltung zu Homosexualität machen immer mehr Menschen die Entscheidung einfach, der Amtskirche den Rücken zu kehren. Erstmals seit Jahrhunderten gehören weniger als die Hälfte der Deutschen weder der katholischen noch der evangelischen Kirche an. Auch im Erkelenzer Land stimmt die Entwicklung nachdenklich: Seit Jahresbeginn haben hier mehr als 700 Personen ihren Austritt erklärt (Stand April), wie das Amtsgericht Erkelenz auf Anfrage mitteilt. 2021 waren es insgesamt 1263 Menschen, im Jahr davor 661 und 827 im Jahr 2019. Die Austritte werden nicht nach Gemeinden oder Konfessionen erfasst.
Die Pfarrei Christkönig hat sich vorgenommen, offensiv mit diesem Thema umzugehen und das Gespräch mit Gemeindemitgliedern zu suchen. Unter dem Titel „Kirchenfrust“ luden Kaplan Philipp Schmitz sowie Vertreter des GdG-Rates, des Kirchenvorstandes und des Pastoralteams zu einem Gesprächskreis, bei dem die Frage „Gehen oder bleiben?“ im Fokus stand. Weniger als 20 Teilnehmer waren dem Gesprächsangebot gefolgt, umso offener und leidenschaftlicher wurde diskutiert. Der Dialog nahm dabei manchmal einen anderen Verlauf, als wohl zu erwarten gewesen wäre.
„Es soll heute Abend um Sie alle gehen“, sagte Kaplan Schmitz bei seiner Anmoderation zu Beginn des Abends und versicherte: „Auch für uns ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen.“ Nach den Erfahrungen des Geistlichen lässt sich ein so komplexes Thema wie der Glaube nicht „mit einem Rundumschlag abarbeiten“. Und: „Wer sich gerne einbringen möchte, ist dazu herzlich eingeladen.“ Schmitz wünscht sich eine bessere „Feedback-Kultur“ in der Pfarrei.
Als Vertreter der Gemeinden Keyenberg (alt) und Kuckum (alt) ließen sich Barbara Ziemann-Oberherr und Karl Jansen da nicht zweimal bitten und machten umgehend deutlich, was ihnen das Festhalten an der Kirche so schwierig mache: nämlich deren Umgang mit den in den Braunkohledörfern verbliebenen Einwohner, die oftmals mit den Aktivisten und Braunkohlegegner in einen Topf gesteckt würden. „Wir sind Katholiken, wir bezahlen Kirchensteuer, aber wir haben keine Rechte“, sagte Ziemann-Oberherr. Der Zugang zu den bereits entwidmeten Ortskirchen als Andachtsstätte bleibe den Gemeindemitgliedern verwehrt, ebenso dürften diese das Pfarrheim als Versammlungsort nicht nutzen. Die Kirche ducke sich weg, statt sich der Situation zu stellen, so Ziemann-Oberherr, die Pfarrer Werner Rombach mangelnde Gesprächsbereitschaft vorwarf.
Beate Küppers, die Vorsitzende des Gdg-Rates, sprach davon, dass die Kirche nicht nur eine Bringschuld habe, sondern Gemeindemitglieder auch eine Holschuld. „Was ist für Sie überhaupt Kirche? Was erwarten Sie von der Kirche?“, wollte sie von den Kritikern wissen. Dem pflichtete auch Herbert Exner, der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes bei: „Die Kirche ist kein Dienstleister.“ Hinsichtlich der entwidmeten Kirchen sagte Küppers, diese seien schlichtweg keine sakralen Gebäude mehr. Offizieller Eigentümer sei nun der Bergbaubetreiber RWE. Allerdings – und auch das wurde zur Sprache gebracht – habe die Kirche bis Ende des Jahres noch das Hausrecht und somit auch die Schlüsselgewalt.
„Ich fürchte, es werden nicht die einzigen Kirchen bleiben, die in den nächsten zehn Jahren geschlossen werden“, blickte Pastoralassistentin Sabine Schwartz wenig optimistisch in die Zukunft. „Mit dieser Trauer werden wir alle in irgendeiner Form leben müssen.“ Allerdings gehe es vornehmlich nicht um Strukturen und Gebäude, sondern um die Frage: „Wo finde ich Heimat und Heiligkeit in einer Welt, die sich verändert.“ Gerade junge Menschen würde nur noch bei der Taufe und Kinderkommunion mit Kirche in Berührung kommen, weil der Glaube in der Familie keine Rolle mehr spiele. Die sei besorgniserregend. Ein Umstand gebe allerdings Grund zur Hoffnung: „Die Kirche war immer in der Krise, sie ist aus der Krise geboren“, sagte Sabine Schwartz.
Einigen konnten sich die Diskutanten bei allem Furor auf einen gemeinsamen Nenner, und es war bei Weitem nicht der kleineste: Wir alle sind Kirche.“