Emmerich Zeuge: "Die Hotline stand nicht still"

Emmerich · Am zweiten Tag im Betrugsprozess gegen Sven L. aus Rees bestätigt eine ehemalige Mitarbeiterin des Verbraucher-Werbeschutzbundes die Vorwürfe der Anklage: "Hilfe war uns untersagt."

 Hat sich der Bock zum Gärtner gemacht? Das ist die Frage, die die Wirtschaftskammer klären muss.

Hat sich der Bock zum Gärtner gemacht? Das ist die Frage, die die Wirtschaftskammer klären muss.

Foto: Markus van Offern

Sven L. versprach Hilfe bei Telefonabzocke — und engagierte Callcenter in der Türkei und auf den Kanarischen Inseln, um für seinen Verbraucher-Werbeschutzbund e.V. Mitglieder zu kobern. 50 000 Adressen aus eigenem Bestand stellte der 40 Jahre alte Geschäftsmann aus Rees den Telefonwerbern zur Verfügung - Adressen, die den Aussagen einer Zeugin zufolge aus einem dubiosen Telefongewinnspiel stammten, das L. zuvor selbst mitbetrieben hatte. Hat sich hier der Bock selbst zum Gärtner gemacht?

Das ist die Frage, die die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kleve unter Vorsitz von Richter Christian Henckel nun klären muss. Mittwoch, am zweiten Verhandlungstag eines vermutlich langwierigen Prozesses, sagte eine ehemalige Mitarbeiterin von L. als Zeugin aus — und belastete ihren früheren Chef schwer.

Martina M. (51), gelernte Kauffrau, hatte früher selbst in einem Callcenter gearbeitet, bevor sie eine Marktlücke entdeckte und gewissermaßen als Maklerin zwischen den Auftraggebern und für deren Wünsche infrage kommenden Callcentern agierte. So geriet sie an Sven L., dem sie Unternehmen in Deutschland, der Türkei und auf den Kanarischen Inseln vermittelte.

Dann habe ihr L. eröffnet, dass er nach Spanien auswandern wolle. Sie selbst solle das im September 2009 neu eröffnete, großzügig dimensionierte Büro des Vereins am Ostwald in Krefeld leiten. Die Bezahlung erfolgte auf Provisionsbasis: Für jedes neu geworbene Mitglied, das nicht stornierte, bekam M. fünf Euro. Das Geschäft florierte, M. berichtete, dass sie in zwei Monaten jeweils rund zehntausend Euro verdient habe. Ihr Sohn half im Büro mit aus, ihr Mann programmierte gegen Honorar eine Datenbank.

Täglich bis 18 Uhr mussten die Callcenter Daten neu gewordener Mitglieder einreichen. Diese wurden in dem Krefelder Büro in eine riesige Excel-Tabelle eingetragen. Daraus wurden am nächsten Tag die Daten für Serienbriefe mit der Anmeldebestätigung gezogen. Wer zu spät stornierte und dennoch nicht zahlte, erhielt eine Mahnung. Half auch das nicht, wurde ein Inkassounternehmen eingeschaltet.

Die Zeugin erzählte, dass der Verbraucher-Werbeschutzbund von Anrufern geradezu bestürmt wurde. "Die Hotline stand nicht still." Geworbene Mitglieder wollten stornieren, sie beschwerten sich über Mahnungen - oder aber sie wollten bei dem Verein tatsächlich die Hilfe einholen, die er ihnen versprochen hatte. Solche Anrufer seien angewiesen worden, die Unterlagen schriftlich einzureichen, so die Zeugin. Und wurde dann geholfen? M.: "Das wurde uns untersagt. Wir hatten ganze Kartons mit Post. Herr L. hat uns angewiesen, die beiseite zu stellen. Wir sollen das einfach nur zusammenlegen und liegen lassen. Die Post war wichtiger." Post, darunter wurde das massenhafte Verschicken von Mitgliedsbestätigungen und Mahnungen verstanden.

Das schmutzige Geschäft ging der Zeugin nach kurzer Zeit gegen das Gewissen, im Familienkreise habe sie ihren Entschluss verkündet: "Ich mache nicht mehr weiter" - trotz des exorbitanten Verdienstes.

Wie perfide die Anwerbemasche für den Verbraucher-Werbeschutzbund e.V. betrieben wurde, belegte die detaillierte Analyse der Excel-Datei mit den gewordenen Mitgliedern. Eine Tabelle zeigte, dass etwa drei Viertel der Angeworbenen in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geboren worden sind. Das heißt, vor allem hochbetagten Menschen, die sich am Telefon kaum wehren können, wurde der fragwürdige Schutz aufgeschwatzt. Der Prozess wird am 1. März fortgesetzt.

(dau)
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