Im Bürgerhaus Kabarett der alten Schule

REES · Wilfried Schmickler gastierte in Rees. Dem Kabarettisten ging es im Bürgerhaus weniger um schnelle Pointen. Seine Gedanken zur Lage der Nation stimmten die circa 300 Zuschauer fast immer nachdenklich.

Wilfried Schmickler bei seinem Auftritt im Bürgerhaus Rees.

Wilfried Schmickler bei seinem Auftritt im Bürgerhaus Rees.

Foto: Michael Scholten

Wer die Neujahrsansprachen der Politiker verpasst hat, bekam im Reeser Bürgerhaus eine floskelreiche Zusammenfassung: Zum Auftakt seines Programms „Es hört nicht auf!“ servierte Wilfried Schmickler „die gesammelten Ansprachen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und sämtlicher Minister“ über „eine Zeit, die gut wird, wenn sie gut wird“. Denn: „You never walk alone“, zitierte der Kabarettist die aufbauenden Worte des Kanzlers und vergaß auch nicht den großen deutschen Philosophen Gerhard Höllerich, besser bekannt als Roy Black: „Du bist nicht allein.“

Es war wieder ein Kabarettabend der alten Schule. Schmickler redete sich in Rage, reimte reichlich und rechnete ab, manchmal sang und tanzte er auch, soweit es die 68 Jahre alten und nach eigener Auskunft derzeit angeschlagenen Beine erlaubten. Bei alledem war der Kabarettist nur in Ausnahmefällen auf schnelle Pointen aus, vielmehr stimmten seine Gedanken zur Lage der Nation und der Umwelt die circa 300 Zuschauer fast immer nachdenklich. Und wenn so manchem angesichts der derb-deftigen Wortwahl das Lachen im Halse stecken blieb, dann hatte der alte weis(s)e Mann sein gestecktes Ziel erreicht.

„Der Endspurt der Menschheit hat begonnen“, erklärte Wilfried Schmickler und verbreitete auch sonst immer wieder gern eine Weltuntergangsstimmung. Dabei hatte er in einer frühen Phase des Abends noch versprochen, im „politisch korrekt beheizten Bürgerhaus“ trotz aller niederschmetternden Nachrichten vor allem „zwei Stunden Freude“ bereiten zu wollen. Die weiße Friedenstaube auf blauer Fahne, die an seinem Lesetisch klebte, gab ebenfalls Grund zur Hoffnung auf Versöhnliches. Doch am Ende dominierten die wortgewaltigen Hasstiraden gegen die „Dummquatscher“, die „Volksverhetzer“ und die „Kreuz- und Querdenker“. Politiker aller Parteien bekamen ihr Fett weg: das „Ampelmännchen“ Olaf Scholz genauso wie der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der „Honigkuchen im Konfirmationsanzug“, Friedrich Merz, „die beleidigte Schnullerschnute aus dem Sauerland“ und die Grünen, die in puncto Umwelt und Waffenexport eine Kröte nach der anderen schlucken, zum weiter regieren zu dürfen: „Was ist bloß aus den rebellischen Rabauken von einst geworden?“, fragte Schmickler, ohne die Antwort aussprechen zu müssen. Die Schuld an der drohenden Klimakatastrophe schob Schmickler „der letzten Generation“ in die Schuhe. Damit meinte er aber nicht diejenigen, die Kartoffelbrei auf Gemälde werfen oder sich auf Straßen festkleben, sondern „die letzte Generation von Politikern“, die es noch in der Hand habe, Gesetze radikal zu ändern und dadurch die Welt zu retten. Doch solange „die politischen Zwerge im Dienst der Energieriesen“ stehen und die umweltbewusste Hausfrau mit dem panzergleichen SUV zum Bioladen fährt, rollt die Welt immer weiter Richtung Abgrund.

Durchweg heiter war die Stimmung im Bürgerhaus, als der Kabarettist von den Folgeschäden seiner erzwungenen Freizeit in der Corona-Pandemie erzählte: „Ich habe erhebliche Teile meines Verstandes verloren“, gestand er und führte das auf sinnloses Spazierengehen mit Luftschnappen zurück, aber auch auf das Lösen eines 2000-teiligen Hieronymus-Bosch-Puzzles und das unentwegte Glotzen von Quizshows. Jetzt, da es sich offiziell „ausgeseucht“ hat, sucht Schmickler nach sinnvollen Alternativen für die Corona-Protest-Spaziergänger: „Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, habe ich noch keinen einzigen Corona-Gegner beim Spaziergang zum Protest gegen den Krieg gesehen.“

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