EMMERICH Tschernobyl-Initiative in Sorge um 2020

EMMERICH · Nach den vielen Jahren der Hilfe fehlen in Emmerich für das kommenden Jahr noch Gastfamilien für die Kinder aus Weißrussland. Seit 1993 haben 685 Jungen und Mädchen einen Erholungsurlaub genossen.

  Ernst Grodowski, Karin Schneider und Siegfried Thedens (v.l.).

Ernst Grodowski, Karin Schneider und Siegfried Thedens (v.l.).

Foto: hartjes

Die Welt war erschüttert, als sich am 26. April 1986 im Block 4 des Atomkraftwerks in Tschernobyl der schwere Reaktorunfall ereignete. Die „Noch-UDSSR“ hielt sich bedeckt, so dass man erst drei Jahre später, als der Kreml die Nachrichtensperre aufhob, das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe erahnen konnte. Gesundheitliche Probleme durch die enorme Strahlenbelastung gibt es in der Bevölkerung bis heute.

Hildegard Husung, Kommunalpolitikerin der Grünen, war eine der ersten, die die Initiative ergriff, um vor allem betroffenen Kindern zu helfen. Eine „Tschernobyl“-Elterngruppe, die bereits Erfahrung mit Gastkindern hatte, half beim Organisieren von Einreiseformalitäten, Transport, Betreuung, Krankenversicherung und vieles mehr. „1993 kamen die ersten weißrussischen Kinder nach Emmerich, wo sie für vier Wochen Ferien machen und sich erholen konnten“, erzählt Ernst Grodowski, seit 2014 Vorsitzender der Emmericher Tschernobyl-Initiative. Sie reisten damals mit dem Zug an.

Seitdem haben insgesamt 685 Jungen und Mädchen zwischen acht und 14 Jahren in der Rheinstadt einen Erholungsurlaub mit einem bunten Freizeitprogramm genossen. Viele von ihnen mehrmals. Sie lebten dort in Gastfamilien und wuchsen den Gasteltern und den „Geschwistern auf Zeit“ ans Herz. „Vier Jahre lang waren zwei Jungen bei uns untergebracht“, sagt Karin Schneider, Schriftführerin des Vereins. „Es war sehr emotional, als sie zum letzten Mal kamen.“ Heute haben sie weiterhin Kontakt per Mal und immer wieder steht in den Nachrichten: „Ich vermisse Euch!“ Ab dem Jahr 2007 waren bei der Familie von Siegfried Thedens, Kassierer der Tschernobyl-Gruppe, zwei Mädchen zu Besuch. „Auf Einladung der Eltern waren wir dann in Weißrussland zu Gast. Trotz der Armut dort wurde fürstlich aufgetischt und die Leute machten mit uns Ausflüge in der Umgebung“, erzählt Thedens. So dankbar seien die Eltern, dass sich jemand um die Gesundheit ihrer Kinder kümmerte. Im Jahr danach kam dann auch die Schwester eines der Mädchen mit, so dass die Familie seitdem ein Trio beherbergte. „Ich bin beeindruckt, wie wissbegierig und lernfähig die Kinder sind“, so der Millinger. Innerhalb kürzester Zeit erlernten die Mädels die deutsche Sprache, eines der Mädchen überlegt sich jetzt, in Deutschland ein Fernstudium zu machen.

Etwa 15 verschiedene Kinder waren bei Familie Grodowski zu Gast. Seit 1994 nehmen Verena und Ernst Grodowski welche auf. Die Anzahl der Kinder, die einen Ferienaufenthalt in der Rheinstadt genießen dürfen, steht und fällt mit der Anzahl der Gasteltern. In „Spitzenzeiten“ - wie im Jahr 2005 - kamen 38 Jungen und Mädchen an den Niederrhein. „Für 2020 haben wir bisher leider erst für neun Kinder Gasteltern gefunden, wir könnten aber bis zu 18 Kinder nach Emmerich holen“, erklärt Grodowski. Jeder Ferienaufenthalt kostet rund zehn- bis zwölftausend, wobei das teuerste der Transport ist. „Ob wir nun neun oder 18 Kinder transportieren, ist egal, es kostet das gleiche.“ Nur ohne Gastfamilien können nicht mehr Kinder eingeladen werden. „Das können junge Familien oder auch „rüstige Rentner“ sein.“

Die Tschernobyl-Initiative hat Schirmherr Peter Hinze gebeten, sie bei der Suche zu unterstützen. „Die Tschernobyl-Initiative war jahrelang ein Brückenbauer zwischen deutschen und weißrussischen Familien. Es wäre schade, wenn die Aktion schon im kommenden Jahr nicht mehr organisiert werden könnte“, sagt der Bürgermeister. Wie positiv der Aufenthalt am Niederrhein wirkt, beschrieb ein Schulleiter: „Kinder, die drei bis vier Wochen in Deutschland waren, fehlen auffallend selten in der Schule.“ In Emmerich dürfen sie spielen und toben, zuhause müssen sie während der Ferien bei der Gartenarbeit und dem Gemüseanbau helfen. Mut, Kraft und Freundschaften nehmen sie mit zurück in ihre Heimat.“Ein wunderbares Land, in ihm ist soviel Angenehmes, Wärme, Gemütlichkeit, Güte und Freundlichkeit“, schrieb der zehnjährige Maximowitsch in einem Dankes-Gedicht an seine Gasteltern.

Mittlerweile kommen die Gäste - darunter zwei bis drei Betreuer, die deutsch und russisch sprachen - per Bus. Rund 30 bis 36 Stunden dauert die Fahrt. Während des Aufenthaltes werden die Kinder in der Kleiderkammer neu eingekleidet. „Die Aufrufe nach gebrauchter Kinderkleidung klappen bis heute sehr gut“, sagt Karin Schneider. Ein Highlight des Freizeitprogramms sind die Embricana-Besuche. So manches Kind – die meisten kommen aus dem 1100-Seelen-Dorf Ozdamici – lernte hier sogar schwimmen. Eintracht Emmerich bot „Tennis & Verwöhnen“, die Hüthumer Schützen ein Lasergewehr- oder Armbrustschießwettbewerb, bei dem es die begehrten Pokale zu gewinnen gab, die Kids konnten das Sportabzeichen machen, Kanu fahren und besuchten den Ketteler Hof, das Maislabyrinth in Twisteden oder den Wahrsmannshof am Reeser Meer. Etwas Besonderes waren die Biwaks mit dem THW. Highlight der letzten Besuche war der Erste-Hilfe-Kurs bei Jonathan Rennecke. „Es ist enorm, wie sich die Emmericher engagieren. Das tolle Programm ist nur möglich, weil Leute und Vereine die Aufgabe übernehmen, einen Nachmittag zu gestalten“, betont Grodowski, der hofft, dass sich für dieses und vielleicht auch für das nächste Jahr genügend Gastfamilien finden.

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