Emmerich Das sind die Probleme der Rollstuhlfahrer in der City

Emmerich · In Emmerich hat sich ein Stammtisch gegründet, der für mehr Barrierefreiheit in der Stadt sorgen will. Bei einem Spaziergang durchs Zentrum wird klar, dass es noch viel Luft nach oben gibt. Die Gruppe schreibt fleißig Anträge.

 Die Mitglieder vom Stammtisch vor ihrem Stadtrundgang am Emmericher Rathaus.Links zu sehen ist Udo Kersjes.

Die Mitglieder vom Stammtisch vor ihrem Stadtrundgang am Emmericher Rathaus.Links zu sehen ist Udo Kersjes.

Foto: Maarten Oversteegen

Immerhin: Einen Schlüssel haben Tanja Triebel und Corina Grieger für die öffentliche Toilette am Geistmarkt in Emmerich. Die beiden Frauen sitzen im Rollstuhl, für die Nutzung müssten sie nicht zahlen. Doch auf den Gedanken, das WC zu nutzen, kämen Triebel und Grieger nicht. „Diese Toilette ist einfach nur ekelhaft. Da mache ich mir noch lieber in die Hose“, sagt Tanja Triebel. Und Menschen, die im Rollstuhl sitzen, können nicht im Stehen ihr Geschäft verrichten. „Wir müssen uns hinsetzen. Aber wenn wir das hier machen würden, holen wir uns allerlei Krankheiten“, so Grieger.

Vor einigen Monaten hat sich in Emmerich ein Stammtisch gegründet, der die Stadt barrierefreier machen will. Angeführt von Udo Kersjes, ein bekanntes Gesicht im Lokalsport, schreiben die Ehrenamtlichen fleißig Eingaben an den Rat.

 So wie dieser Bordstein am Steintor gibt es viele Hindernisse für Rolllstuhlfahrer.

So wie dieser Bordstein am Steintor gibt es viele Hindernisse für Rolllstuhlfahrer.

Foto: Maarten Oversteegen

Ein Behindertenbeauftragter, Bedarfsampeln oder hürdenfreie Internetseiten – die Mitglieder haben reichlich Ideen. Unlängst haben sie auch eine Facebook-Seite ins Leben gerufen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Bei der jüngsten Mitgliederversammlung kamen 16 Leute, die Gruppe wächst. „Eigentlich wollte ich es im Alter deutlich ruhiger angehen lassen, aber daraus wurde bislang nichts“, sagt Udo Kersjes lächelnd.

Um auf die Herausforderungen für weniger mobile Menschen im Herzen von Emmerich aufmerksam zu machen, hat die Gruppe zu einem Spaziergang durch die Stadt geladen. „Es gibt beinahe an jeder Ecke ein Problem. Man könnte den halben Tag spazieren gehen“, sagt Jutta van Beek.

Nach dem ersten Halt an der Toilette geht es zur Baustelle Großer Wall. Der Autoverkehr wurde in beide Richtungen zwischen Steintor und Einmündung Hohenzollernstraße voll gesperrt, es geht an der Ecke bloß noch gen Geistmarkt. Nur für Menschen im Rollstuhl ist die Lage kompliziert. Die Überwege für Fußgänger wurden so verändert, dass die Bordsteinschwellen nicht mehr barrierefrei sind. „Alleine haben Menschen im Rollstuhl dann keine Chance, diese Hürde zu überwinden. Wir haben die Stelle schon über den Mängelmelder der Stadt gemeldet, bislang ist aber noch nichts passiert“, so Triebel.

Weiter geht es zur Steinstraße, vorbei an der Christuskirche. „Was sich kaum einer vor Augen führt, ist, dass die Türen von Kirchen meist so schwer sind, dass es für Menschen mit Beeinträchtigung fast unmöglich ist, hineinzugehen“, sagt Udo Kersjes.

Er selbst hat nicht mit Einschränkungen zu kämpfen. Doch seitdem Kersjes die Inklusionsmannschaft bei Fortuna Elten betreut, hat er ein Auge für ihre Herausforderungen des Alltags.

Auch die Stadtbücherei ist eine beliebte Anlaufstelle der Gruppe. Nur graut es ihnen davor, gen Eingang zu fahren. „Man kommt dank einer Rampe gut hoch zum Eingang. Aber der Weg dahin ist schwer: Es gibt so viele Unebenheiten auf dem Boden, dass man ordentlich durchgeschockelt wird. Bei den vielen Löchern muss man richtig aufpassen“, sagt Marvin Maas.

Geradezu gefährlich wird es für den kleinen Stammtisch auf dem Weg zur Rheinpromenade, auf der Fährstraße. Dort liegen große Platten, die Rollstuhlfahrer müssen ganz langsam fahren. Die Pflasterung stand schon häufig in der Kritik. „Wenn ich hier lang fahre, dann merke ich jeden einzelnen Wirbel. Das kann richtig wehtun. Warum wurde hier nicht in einem durch gepflastert?“, fragt Triebel.

Die Aussicht auf den Rhein genießen die Männer und Frauen besonders gerne. Nur ist es nicht immer leicht, einen geeigneten Platz zu finden. „Mein Lieblingsplatz ist mit dem Rollstuhl nur schwer erreichbar, da muss man manövrieren können. Und viele Restaurants oder Cafés haben noch immer keinen barrierefreien Aufgang“, sagt Tanja Triebel. Zudem können viele Tische und Bänke im öffentlichen Raum von Gehandicapten nicht angesteuert werden.

Was die Teilnehmer unisono berichten: Man wolle nicht immer andere Bürger um Hilfe fragen, vielmehr wolle man eigenständig sein. „Wir fordern ja keine unrealistischen Dinge, sondern gleiche Chancen für alle“, sagt Udo Kersjes.

Das größte Problem aber ist immer wieder die Pflasterung. „Das wurde kaum irgendwo richtig zu Ende gedacht. Zumindest hat man die Belange dieser Menschen nicht miteinbezogen“, so Kersjes. Für das kleine Street-Art-Festival auf der Stadtplatte mussten Kabel verlegt werden. Damit Radfahrer und Fußgänger nicht über die Leitungen laufen, wurden Bodenschwellen aus Plastik platziert. Das sorgt beim Spaziergang für Probleme. „Das ist mir zu steil, ich schaffe es nicht darüber. Ich muss also den ganzen Weg zurück- und umfahren“, so Triebel. Nach fünf Minuten ist die Emmericherin zurück.

In einigen Wochen will der Stammtisch Bürgermeister Peter Hinze auf die Probleme aufmerksam machen. Am 30. Juli soll auf der Stadtplatte ein Bürger-Frühstück stattfinden. „Da wollen wir unsere Anliegen deutlich machen. Es ist wichtig, dass wir als Gruppe zusammengefunden haben. Wir müssen lauter werden – und das wird uns gemeinsam deutlich besser gelingen“, sagt Corina Grieger. In den vergangenen Jahren hätte sich in Emmerich kaum etwas getan. 2018 hatte Bündnis90/Die Grünen zu einem Spaziergang durch die Rheinstadt geladen. Auch damals wurden die Missstände offensichtlich, nur es veränderte sich nicht viel. Nun richtet sich der Stammtisch direkt an den Stadtrat.

Doch es gibt freilich auch Lichtblicke. Der Wirt Yener Gül kommt auf die Gruppe zu, er betreibt seit einem halben Jahr die Gelateria am Alten Markt. Der Gastronom beweist, ein Auge für die Probleme der Gruppe zu haben. Und das, obwohl reichlich Kunden da sind, die bedient werden wollen. Die Rampe, die Rollstuhlfahrern zur Verfügung steht, ist deutlich zu steil. „Wenn ihr zu uns wollt, braucht ihr euch nur ganz kurz zu melden, dann lasse ich euch über den Hintereingang rein. Wir finden immer eine Lösung“, sagt Yener Gül. Genau diese Haltung vermissen die Mitglieder des Stammtisches vielerorts in Emmerich. Die Stadt müsse mehr unternehmen, um Menschen mit eingeschränkter Mobilität das Leben zu erleichtern. „Wo ein Wille, ist auch ein Weg“, so Udo Kersjes.

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