Rees Preuß: Meine Sorgen sind nun existenziell

Eigentlich wollte Manuel Preuß vor drei Jahren nur schnell bis Real gehen, um Milch zu kaufen. Doch die Reeser Rheinbrücke zog ihn magisch an. Er lief über den Fluss bis Xanten und weiter bis Wesel. Seine Leidenschaft fürs Wandern und seine Faszination für den Rhein waren geboren.

Seit Mitte Oktober befindet sich der 25 Jahre alte Kommunikationsdesigner auf der längsten Tour seines Lebens: In insgesamt acht Monaten will er bis Jerusalem pilgern. Im Interview mit RP-Mitarbeiter Michael Scholten spricht Manuel Preuß über Motivation, Kondition und Religion.

Warum ist Jerusalem das Ziel Ihrer Reise?

Preuß Jerusalem ist eine Stadt, zu der das Judentum, das Christentum und der Islam eine starke historische Bindung haben. Auf meinem Weg komme ich mit allen drei Religionen und mit sehr unterschiedlichen Kulturen in Kontakt. Mich interessiert, wie die Menschen in den einzelnen Ländern denken und warum es die ganzen Konflikte gibt, die wir immer in den Nachrichten sehen.

Wandern klingt weltlich, Pilgern sehr religiös: Inwieweit ist Ihre Tour religiös motiviert?

Preuß Anfangs ging es mir beim Wandern hauptsächlich darum, "draußen in der Natur" zu sein und die Freiheit zu genießen. Als ich aber feststellte, dass viele der von mir gewählten Strecken historische Pilgerwege sind, wurde auch der religiöse Aspekt stärker. Es ist schwer, eine Grenze zu ziehen. An manchen Tagen fühle ich mich einfach als "Wandersmann", in bestimmten Momenten eher als Pilger.

Viele Wege führen nach Rom und nach Jerusalem. Welchen Weg haben Sie gewählt?

Preuß Unter anderem die Via Francigena. Dieser Pilgerweg nach Rom, den der Bischof von Canterbury im Jahr 990 nutzte, ist älter als der Jakobsweg, aber in Vergessenheit geraten. Nachdem ich in Rom erreicht hatte, habe ich nun fast Italien durchquert und laufe bald durch Griechenland, die Türkei und den Nahen Osten.

Welche Veränderungen haben Sie bislang bei sich festgestellt?

Preuß Körperlich habe ich schon fast zehn Kilo abgenommen, obwohl ich viel mehr esse als vorher. Innerlich habe ich mir vor allem in den ersten zwei Wochen viele Gedanken gemacht, die sich um zu Hause und das gerade beendete Studium drehten. Inzwischen sind meine Sorgen eher existenzieller Art: Wo übernachte ich? Wo finde ich Wasser, falls ich im Zelt auf dem Berg schlafen muss? Wie viel Essen schleppe ich mit?

Mussten Sie unterwegs schon echte Gefahren meistern?

Preuß Ende Oktober bin ich mitten in das Chaos der Überschwemmungen in Aulla geraten. Außerdem wusste ich nicht, dass es in Italien so viele Jäger gibt. Immer wenn ich an einem Wald vorbeilaufe, in dem einer rumballert, sehe ich mich schon als Trophäe an dessen Wohnzimmerwand hängen. Richtig gefährlich war es bislang nur einmal: Als ein Kleinwagen ins Schleudern geriet und keine 20 Meter von mir entfernt mit voller Wucht gegen eine Mauer krachte.

Was ging da in Ihnen vor?

Preuß Einerseits war ich wütend auf die drei jungen Männer, die blutend aus dem Wagen krochen, mit dem sie viel zu schnell gefahren waren. Andererseits wurde mir bewusst, dass ich nur wenige Sekunden vor dem Unfall noch genau an der Stelle gelaufen war, an der nun das Auto klebte. Man kann es Glück nennen, aber ich bin überzeugt, dass mich "jemand von da oben" angeschoben hat, damit mir nichts passierte. Einen Tag zuvor, als ich mich von anderern Pilgern verabschiedet hatte, stellten die sich um mich herum und beteten für mich. Das hat mich sehr berührt, offenbar hat es auch geholfen.

Welche Pilgeretappe war bis jetzt die beeindruckendste?

Preuß Ich denke, das war meine Ankunft in Rom Mitte November. Der Weg in die Stadt hinein war wegen der vielen Autos recht unangenehm zu laufen, aber dann bei schönstem Sonnenschein auf dem Petersplatz zu stehen, war ein großartiges Gefühl. Nachdem ich durch die Sicherheitskontrollen geschleust worden war, durfte ich den Petersdom betreten. Als ich in einer Seitenkapelle nach meiner Pilgerurkunde fragte, führte mich ein Wärter durch diverse Gänge des Doms, die normalerweise wohl kaum ein Tourist zu Gesicht bekommt. Dort erhielt ich nicht nur meine Urkunde, sondern auch eine Führung durch den unterirdischen Teil des Petersdoms zu den Grabkammern mehrerer Päpste.

Sind Sie in Rom auch Papst Benedikt XVI. begegnet?

Preuß Naja, zumindest habe ich ihn gesehen. Einen Tag nach meiner Ankunft fand eine öffentliche Audienz auf dem Petersplatz statt. Eigentlich bin ich kein Freund solcher Massenspektakel, aber die Gelegenheit, den Papst einmal sehen zu können, wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen. Nach einer gewissen Wartezeit kam das Papamobil auf den Platz gerollt. Um mich herum reckten viele tausend Menschen ihre Kameras in die Höhe. Ich glaube, ich bin der Einzige, der kein Foto gemacht hat.

Wollen Sie ein Buch über Ihre Pilgerreise veröffentlichen?

Preuß Alles hat seine Zeit. Ich bin nicht mit dem Ziel losgegangen, ein Buch zu schreiben. Wenn ich aber später der Meinung bin, ich habe der Welt auch über meine Internetseite hinaus etwas mitzuteilen, werde ich darüber nachdenken, in welcher Form ich das tue.

Bei Pilgerreisen denkt man unweigerlich an den Jakobsweg und an Hape Kerkeling. Hat sein Bestseller "Ich bin dann mal weg" dem Pilgern einen Bärendienst erwiesen?

Preuß Im Grunde finde ich es gut, dass Hape Kerkeling das Pilgern in die Öffentlichkeit gebracht hat, auch wenn ich manche seiner Ansichten im Buch nicht teile. Aber wenn es die Leute dazu bringt, ihr Bewusstsein zu schärfen und ihr Tun zu reflektieren, ist das sehr lobenswert. Mir persönlich wäre der Jakobsweg aber viel zu überlaufen.

(jul)
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