Historisches New Yorkerin Gast in der Reeser Heimat

Rees · Die Urenkelin des Reeser Kaufmanns Wolff war zu Gast, um mehr über die niederrheinischen Wurzeln ihrer Familie zu erfahren. Zum Programm gehörte auch ein Rundgang über die jüdischen Friedhöfe.

 Jeannette Gomori-Katz und Peter Gomori mit Bernd Schäfer sowie Bernd und Kirstin Jensen-Meisters im Koenrad-Bosman-Museum.

Jeannette Gomori-Katz und Peter Gomori mit Bernd Schäfer sowie Bernd und Kirstin Jensen-Meisters im Koenrad-Bosman-Museum.

Foto: scholten

Bernd Schäfer hat schon viele Nachfahren ehemaliger jüdischer Bürger durch Rees geführt und sie auf eine besondere Zeitreise mitgenommen. Jetzt besuchte Jeannette Katz-Gomori, Urenkelin des Reeser Kaufmanns Wolf Wolff, die Heimat ihrer Familie. Die 64-jährige New Yorkerin war in Begleitung ihres Mannes, Peter Gomori, nach Deutschland gereist. Auch Kirstin Jensen-Meisters aus Duisburg war dabei. Sie hatte Jeannette Gomori-Katz im Sommer 2012 durch Zufall in New York kennengelernt und von den niederrheinischen Wurzeln erfahren.

Die Duisburgerin nahm damals Kontakt zur Stadt Rees auf, die sie an Bernd Schäfer verwies. Daraus ergab sich ein mehrjähriger Brief- und Telefonkontakt zwischen dem Reeser Lehrer und der in New York lebenden Annie Katz, der 1920 als Annie Wolff in Rees geborenen Mutter der jetzigen Besucherin.

 Das Archivfoto aus den 1910er Jahren zeigt Isidor und Alma Wolff mit Angestellten vor dem Textilwarengeschäft in der Fallstraße 15.

Das Archivfoto aus den 1910er Jahren zeigt Isidor und Alma Wolff mit Angestellten vor dem Textilwarengeschäft in der Fallstraße 15.

Foto: scholten

Annie Katz starb am 26. Oktober 2016, im Alter von 96 Jahren, nach einem höchst ereignisreichen Leben. Ihre Tochter Jeannette fasste daraufhin den Entschluss, Bernd Schäfers Einladung nach Rees anzunehmen und die Geschichte dreier Generationen ihrer Familie genauer zu erforschen.

 Die junge Annie Wolff (zweites Mädchen von links) in Rees.

Die junge Annie Wolff (zweites Mädchen von links) in Rees.

Foto: scholten

Der Urgroßvater Wolf Wolff (1838-1908) gründete in der Fallstraße 15 ein Konfektions- und Textilwarengeschäft. Der Kaufmann war ein angesehener Mann und im Vorstand der Reeser Synagogengemeinde tätig. Wolffs Frau Jeanette, eine geborene Heilbronn, brachte drei Töchter und drei Söhne zur Welt. Isidor Wolff führte nach dem Tod des Vaters im Jahr 1908 den elterlichen Betrieb weiter. Eine bis heute erhaltene Zeitungsanzeige vom 18. September 1909 warb für „Jacken-Kleider, schwarze und farbige Jackets, Kinder-Jackets, wollene und seidene Blousen, Costümröcke“ und weitere Angebote.

Isidor Wolff heiratete Alma Frank, die zwei Töchter zur Welt brachte: Margarete, geboren am 2. Januar 1909, und Annie, geboren am 26. Mai 1920. Margarete heiratete 1933 den Mönchengladbacher Gustav Schwarz und zog mit ihm nach Rotterdam, wo beide ein Konfektions- und Textilwarengeschäft gründeten. Die elf Jahre jüngere Annie besuchte in Rees, als eines von vier jüdischen Mädchen, die katholische Volksschule sowie die Irmgardisschule in der Neustraße und bekam in den 30er Jahren den wachsenden Antisemitismus zu spüren.

Im Jahr 1937, als die Hitler-Jugend vor dem elterlichen Geschäft stand und zum Boykott jüdischer Läden aufrief, erkrankte Isidor Wolff an Krebs und starb wenig später. Annie Wolff und ihre Mutter Alma mussten das Geschäft aufgeben, das Haus verkaufen. Sie zogen nach Düsseldorf.

„Ich habe damals verzweifelt versucht, Deutschland zu verlassen“, schrieb Annie Katz Jahrzehnte später in einem Brief an Bernd Schäfer. Durch Glück blieb ihre Wohnung in Düsseldorf in der Pogromnacht 1938 verschont, während die Nachbarwohnung verwüstet wurde. Wenige Wochen später wurden Annie und Alma Wolff verhaftet, durften aber nach drei Tagen das Gefängnis und schließlich Deutschland verlassen. Die Mutter reiste nach Rotterdam zu ihrer älteren Tochter, Annie Wolff kam durch Vermittlung von Ida Levisohn, Tochter des letzten jüdischen Reeser Kantors und Lehrers Meier Levisohn, nach England.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Annie Wolff nicht nach Rees zurück. Eine britische Zeitung entsandte sie als Dolmetscherin und Berichterstatterin zu den Nürnberger Prozessen. „Ich werde nie den Moment vergessen, als ich Hermann Göring und die anderen SS-Verbrecher auf der Anklagebank sitzen sah“, betonte Annie Wolff in einem Telefonat mit Bernd Schäfer.

Rudolf Katz, ihren späteren Mann, lernte sie in Nürnberg kennen. Er und sein Bruder waren rechtzeitig vor Kriegsbeginn aus Dahn in Baden-Württemberg zu Verwandten in die USA geflohen. Als Soldat der US Army kehrte Rudolf Katz nach Deutschland zurück. Annie Wolff folgte ihm in die USA. Aus der 1949 geschlossen Ehe gingen 1950 der Sohn Ira und 1955 die Tochter Jeannette hervor. Beide wuchsen in Brooklyn auf und blieben dem New Yorker Stadtteil ein Leben lang treu.

Annie Katz besuchte Rees nie wieder, hielt aber über Jahrzehnte Kontakt zu ihrer früheren Schulfreundin Antonia Cormann.

Jeannette Katz-Gomori reiste erstmals 1985 nach Rees, damals mit ihrer Schwester Margarete und deren Freundin Ruth Schaffit, deren Mutter, Elfriede Marcus, aus Rees stammte. „Die drei Damen waren damals sehr enttäuscht, weil sie in Rees niemanden fanden, der sie über die jüdischen Friedhöfe oder durch die Stadt führen konnte“, sagt Bernd Schäfer.

Fast 35 Jahre später machte er das nun mit einem vollen Programm wieder gut: Nach einem Empfang im Rathaus durch Bürgermeister Christoph Gerwers und Kulturamtsleiterin Sigrid Mölleken besuchten Jeannette Katz-Gomori und Peter Gomori die Fallstraße und das Koenraad-Bosman-Museum mit dem Raum der jüdischen Traditionen. Dem Mittagessen in den Rheinterrassen Collins folgte ein Rundgang über die jüdischen Friedhöfe auf der Stadtmauer und an der Weseler Straße. Dort steht unter anderem der Grabstein des Großvaters Isidor Wolff.

Die New Yorker Gäste setzten von Rees aus ihre Reise nach Baden-Württemberg fort. In Dahn gaben sie einen Grabstein für die Großmutter väterlicherseits in Auftrag. Jeannettes Vater Rudolf Katz hatte in New York Zeit seines Lebens darunter gelitten, dass seine Mutter diese Ehre nie bekommen hatte: Denn statt in den Grabstein floss das gesparte Geld damals in die Tickets, die beiden Söhnen die Flucht in die USA und das Überleben ermöglichten.

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