Leiharbeiter in der Fleischindustrie „Die Kirche muss mehr Profil zeigen“

Emmerich · Emmerichs ehemaliger Stadtpfarrer Peter Kossen spricht im Interview mit der RP zum Thema Leiharbeiter über prekäre Arbeitsverhältnisse, die Wohnsituation und die Haltung der Kirche.

 Dieses Bild entstand vor über einem Jahr. Es zeigt Prälat Peter Kossen (l),mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (Mitte) beim Besuch eines Schlachthofs.

Dieses Bild entstand vor über einem Jahr. Es zeigt Prälat Peter Kossen (l),mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (Mitte) beim Besuch eines Schlachthofs.

Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Herr Kossen, Sie kämpfen ja schon seit Jahren gegen die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Im Mai hat die Bundesregierung das Aus für die Werkverträge in dieser Branche beschlossen. Wird das die Zustände ändern?

Peter Kossen Das war ein Paukenschlag und schon gut. Davon geht ein Signal aus, weil man jetzt bereit ist, an die Strukturen heranzugehen. Das war bislang nicht der Fall. Ich habe nur die Sorge, dass es der Fleischindustrie Schlupflöcher zu finden bis das Gesetz greift.

Die Industrie hat schon gedroht, die Fabriken ins Ausland zu verlagern.

Kossen Das glaube ich nicht. Durch die Billigpreise, die es hier gibt, ist ja ein Großteil der europäischen Fleischproduktion überhaupt erst nach Deutschland verlagert worden.

Die Arbeitsbedingungen sind das eine, die Wohnsituation ist das andere.

Kossen Was die Wohnsituation der Arbeitsmigranten anbelangt, scheint mir die Rechtslage nicht klar genug zu sein. Kommunen und Landkreise schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Wer sich nicht einmischen will, bezieht sich auf das Heiligtum der Wohnung. Wobei es falsch wäre, hier von Wohnungen zu sprechen. Das sind meistens überbelegte Bruchbuden mit null Intimsphäre, in denen Leute, die sich vorher nicht kannten, zusammengepfercht werden. Die Firma Westfleisch sprach von familienähnlichen Wohngemeinschaften. Das halte ich für zynisch.

Wie wir jetzt sehen, sind die Zustände auch gesundheitsgefährdend.

Kossen Das waren sie schon vor Corona. Und es kann doch eigentlich nicht sein, dass wir erst auf eine Pandemie warten müssen, bis das Land handelt.

Sie haben auch Kritik am Verhalten der Kirche in der Frage der Leiharbeit geübt. Warum?

Kossen Die Kirche zeigt mir hier zu wenig Profil. Zum einen hat die Kirche selbst eine große Marktmacht. Wir können auch überlegen, wo unsere Krankenhäuser, Kindergärten oder Pflegeheime ihre Lebensmittel kaufen oder ob es letztendlich uns dann auch nur um den Preis geht. Zum anderen haben wir als Christen auch die Pflicht aufzustehen und zu protestieren, wo Menschen unwürdig behandelt werden und unter die Räder kommen. Es nicht zu tun, hat auch etwas von Feigheit.

Kann denn auch der Bürger etwas tun, um an der Situation etwas zu ändern?

Kossen Natürlich einerseits durch bewussteres Einkaufen. Die Discounter, die Fleisch zu Dumpingpreisen anbieten, tragen zu der Situation in erheblichen Maße bei. Das ist ein ruinöser Wettkampf. Wenn wir Nahrungsmittel und auch die Landwirtschaft wieder mehr wertschätzen, können wir etwas in Gang setzen. Aber es geht auch um eine Schere im Kopf, über die wir nachdenken müssen. Die Frage ist, wie wir die Arbeitsmigranten wahrnehmen. Das ist nicht nur zugezogenes Volk, sondern das sind Mitbürger, die eine verdammt schwere Arbeit leisten und dabei ausgebeutet werden. Das muss man sich klar machen.

Was schlagen Sie vor?

Kossen Diesen Menschen bei der Integration das gleiche Bemühen entgegen zu bringen wie den Flüchtlingen. Im Moment leben die Arbeitsmigranten zwar hier, kommen aber in unserer Gesellschaft nicht an. Früher oder später bilden sich Parallelwelten und Subkulturen. Das kann für unsere Gesellschaft nicht gut sein.

Sie waren bis zum Jahr 2011 in Emmerich tätig. Auch damals gab es hier schon viele Leiharbeiter. Sind Sie dadurch auf das Thema aufmerksam geworden?

Kossen Meine Zeit in Emmerich hat mich zumindest dafür sensibilisiert. Ich kann mich noch sehr gut an eine Diskussion erinnern, die ich durch meine Kritik an einem großen Logistikunternehmen angestoßen habe, das sich in Emmerich ansiedelte. Die Freude war zunächst groß über die Vielzahl der dort entstandenen Arbeitsplätze. Doch das waren vorwiegend prekäre Arbeitsverhältnisse. Als ich dann in meine alte Heimat nach Vechta zurückkam, habe ich die Probleme noch deutlicher wahrgenommen. Denn hier ist die Fleischindustrie massiv vertreten.

Essen Sie selbst eigentlich noch Fleisch?

Kossen (lacht) Ja, allerdings deutlich weniger als früher. Ich mag sehr gerne die italienische Küche. Da gibt es viele Gerichte, bei denen man auch wunderbar ohne Fleisch klar kommt.

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