interview herbert ulrich Die Politik muss jetzt mutig entscheiden

Emmerich · Der Emmericher CDU-Politiker verlässt die politische Bühne und fordert auf, teure Projekte zu streichen. Jetzt braucht es Muti. Außerdem lobt er einen SPD-Politiker für dessen Geradlinigkeit.

Interview mit CDU-Politiker Herbert Ulrich aus Emmerich
Foto: van Offern, Markus (mvo)

Herbert Ulrich (76) will nicht mehr für den Rat kandidieren. Wenn die Emmericher im September ihren neuen Rat wählen, steht er aus persönlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung. Damit verliert die Emmericher Politik eines ihrer bekanntesten Gesichter und die Stadt einen ehrenamtlichen Bürgermeister, der für die hohe Qualität seiner Reden bekannt ist.

Sie verlassen den Rat. Mit welchem Gefühl gehen Sie?

Herbert Ulrich Das ist sehr ambivalent: Einerseits verspüre ich ein Stück mehr zeitlicher Entlastung und Freiheit, meinen Interessen intensiver nachgehen zu können, andererseits aber auch ein Stück Wehmut, viele Aufgaben und Gestaltungsmöglichkeiten, die mir das Amt und die Arbeit in der Kommunalpolitik geboten haben, nicht mehr wahrnehmen zu können. Aber alles hat seine Zeit. Auf die vielen Jahre der politischen Tätigkeit blicke ich mit Dankbarkeit zurück: Die Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit den Kolleginnen und Kollegen in den politischen Gremien und die Teilhabe an der Entwicklung unserer Heimatstadt. Dieser letzte Aspekt erfüllt mich aber auch mit Sorge: Die aktuelle coronabedingte Krise stellt unsere Finanzplanung auf eine ganz harte Probe. Die zu erwartenden erhöhten Ausgaben bei wegbrechenden Einnahmen müssen uns zu mutigen Entscheidungen veranlassen, das heißt auch gewisse Lieblingskinder der einen oder anderen Seite auf den Prüfstand zu stellen. So hat Frau Schaffeld (SPD) den richtigen Ansatz mit ihrer Forderung nach einem Kassensturz und der Suche nach Einsparungen gewählt. Hoffentlich macht sie auch vor der unangenehmen Frage nicht halt, ob man schon beschlossene bauliche Investitionen zumindest vorerst zurückstellen kann. Wir müssen den Weg in die Haushaltssicherung vermeiden. Ansonsten stehen sämtliche freiwilligen Leistungen auf dem Spiel.

Wenn Sie an die Anfänge Ihrer politischen Betätigung zurückdenken: Was fällt Ihnen spontan ein?

Ulrich Ich bin in Duisburg aufgewachsen und habe dort den neuen CDU-Ortsverband Obermeiderich gegründet. Im roten Duisburg sind wir dort bei den Kommunalwahlen nicht über 15 Prozent hinausgekommen. Als ich dann als junger Lehrer am Gymnasium am Parkring, später Hansagymnasium, nach Emmerich kam und hier über die Junge Union schnell Stadtverbandsvorsitzender wurde, habe ich den Wert klarer politischer Mehrheiten kennen gelernt und damit auch die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten. Das waren die großen Zeiten eines Willi Pieper und Norbert Giltjes, die mich in der praktischen Arbeit oft inspiriert haben. Auch mit dem ehemaligen Bürgermeister Dr. Klaus Krebber, Stadtdirektor Franz Kulka und in der Fraktion mit Helmut Arntzen verbinde ich viele freundschaftliche Erinnerungen. An den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Diekman denke ich voller Hochachtung wegen seiner verlässlichen und geradlinigen Art zurück.

Menschen verändern sich, Städte verändern sich: In welche Richtung haben sich Ihrer Meinung nach Emmerich und seine Bewohner entwickelt?

Ulrich Emmerich hat soziographisch und wirtschaftlich eine enorme Entwicklung genommen. Dabei wechseln positive und negative Aspekte einander ab: Gegen den Trend ist Emmerich eine an Einwohnern wachsende Stadt. Das bewirken die starken Zuzüge von Mitbürgern polnischer, türkischer und neuerdings osteuropäischer Herkunft. Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Wir müssen hier große Integrationsanstrengungen leisten, um divergierenden Tendenzen in der Einwohnerschaft vorzubeugen. Das kann z.B. bei den bevorstehenden Kommunalwahlen geschehen, indem man die Neubürger, wie auch die zahlreichen niederländischen Mitbürger, zur politischen Teilhabe ermuntert und ihnen auch die Mitarbeit im Rat und den Ausschüssen ermöglicht.

Der deutsche Soziologe Max Weber unterschied schon vor 100 Jahren zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik. Sie verweisen darauf. Ist Weber aktueller denn je?

Ulrich Auf diesen Aspekt hat bereits Kanzler Helmut Schmidt in seiner Predigt in der St. Michaeliskirche in Hamburg in den achtziger Jahren hingewiesen. Ein Politiker kann nicht immer nach den Maximen einer absoluten Moral (Gesinnung) handeln, sondern befindet sich oft in einem Abwägungsprozess mit der Verantwortung, die er für sein Gemeinwesen trägt. So hat mich in den letzten Wochen das Thema der Aufnahme der Bootsflüchtlinge in Emmerich beschäftigt. Da gab es den Antrag der „Sichere Häfen“, über die Zuweisung hinaus weitere solcher Personen in Emmerich aufzunehmen. Vom Standpunkt der Gesinnungsethik absolut vertretbar. Da „Sichere Häfen“ damit aber eine politische Instrumentalisierung verband, nämlich die Verantwortlichen in Land und Bund zu einer Änderung ihrer Migrationspolitik zu zwingen, habe ich ebenfalls politisch argumentiert und darauf hingewiesen, dass Emmerich keine Migrationspolitik „von unten“ betreiben kann und mich auf die Gemeindeordnung bezogen. Diese verantwortungsethische Argumentation hat der ehemalige Ortsvorsteher Wernicke in der Sitzung, in der Presse und in seiner nachfolgenden Eingabe an den Rat als „beschämend“ bezeichnet. Das muss man aushalten.

Werfen wir noch einen Blick in die nahe Zukunft. Was glauben Sie: Wen werden die Emmericher im September 2019 wählen?

Ulrich Das Wahlergebnis ist in Coronazeiten noch weniger als sonst vorhersehbar. Ich wünsche mir natürlich, abgesehen von meiner Parteipräferenz, ein Ergebnis, das einem Bürgermeister eine klare politische Mehrheit im Rat an die Seite stellt. Das wird um so wichtiger, als wegen der weggefallenen 5- oder 2,5 %-Hürde eine Vielzahl von Parteien im Rat vertreten sein wird und so stabile Mehrheiten, auf die sich ein Bürgermeister stützen kann, fehlen.

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