Haldern-Pop-Festival Ein Irrer Typ und deutsche Romantik-Rocker

RP-Readktionsleiter Sebastian Peters hat die Alben der Haldern-Pop-Bands gehört. Hier sein Urteil.

 Soul-Musiker Curtis Harding.   Foto: Matthew Correia

Soul-Musiker Curtis Harding. Foto: Matthew Correia

Curtis Harding - Face your fear

Dem Genre Soul noch einmal so etwas wie einen Innovationsschub zu verleihen, ist wohl ein hoffnungsloses Unterfangen. Entsprechend dekoriert der US-Soulsänger Curtis Harding nur etwas um, mit seinen Produzenten Sam Cohen und Danger Mouse hat er mit „Face your fear” ein Album voller Referenzen an den Sixties-Soul geschaffen, das durch Samples und eine moderne Form der Inszenierung dennoch sehr im Hier und Jetzt verhaftet ist. Man höre nur „On and on” - diese Motown-Anspielung, das treibende Schlagzeug, das den Rest der Band durch einen Song zu hetzen versucht. Köstlich! Harding steht mit diesem Werk in einer Traditionslinie mit Curtis Mayfield (bei dessen Stimmarbeit er sich viel abgeschaut hat) und Marvin Gaye (dessen Groove Harding zu gefallen scheint).

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Klingt nach: Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Michael Kiwanuka
Punkte 3,5/5

Schnellertollermeier - Rights

Der Bandname ist angelehnt - man ahnt es - leicht verfremdet an die Nachnamen der drei Herren aus Luzern. Das ist eine Botschaft: Die Jazzmusiker setzen damit ein Symbol für die Gleichwertigkeit der Instrumente, wie hier jedes seine eigene Berechtigung erhält, nur gemeinsam dieses hektisch wirbelnde Ding namens „Rights“ entsteht. Nur vier Tracks sind es, sie kratzen immer an den zehn Minuten oder überspringen diese gar. Man hat also Zeit, einem Song beim Wachsen zuzuhören - und hier musikalische Exegese zu betreiben. Denn es steckt viel mehr als nur Jazz in dieser Musik: Krautrock, Avantgarde, Industrial, Techno. Viele Stile kommen hier zu ihrem Recht.

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Klingt nach: Brandtbauerfrick
Punkte: 3/5

John Maus - Screen Memories

Sechs Jahre sind seit der letzten Albumveröffentlichung vergangen. Der Amerikaner John Maus hat eine gute Ausrede für die klangliche Pause, er hat seinen Doktor in politischer Philosophie gemacht, lehrt an der University of Hawaii. Verkopft kommt auch seine Musik daher, ein Sammelsurium von Referenzen an die 80er, an Joy Division Krautrock und Electronic Body Music. So simpel stets die textliche Botschaft ist - oft wiederholt Maus mit seinem kehligen Bariton nur einen Vers - so versiert sind doch die Kompositionen. Er arbeitet hier mit Referenz an die Barockmusik mit klanglicher Aufschichtung und Loops - und doch sind es am Ende tanzbare Hits. Irrer Typ, dieser Maus.

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Klingt nach: Kraftwerk, Guru Guru, Metronomy
Punkte: 3/5

Nilüfer Yanya - Baby Luv (EP)

Die britische BBC führt die Londoner Sängerin Nilüfer Yanya auf einer Liste der Künstlerinnen, die man für 2018 auf dem Zettel haben sollte. 23 Jahre ist sie alt, hat familiäre Wurzeln sowohl in Irland als auch in der Türkei. Als musikalische Landmarken nennt sie Nina Simone, die Pixies und Amy Winehouse - irgendwo zwischen diesen beiden Extrempolen kann man ihre Musik verorten, die vordringlich von einer brillanten Stimme lebt. Ein exzellentes Songwriting darf man ihr nach dem Hören eines so jazzig-entspannten Tracks wie „Thanks 4 nothing“ ebenfalls attestieren. Soul, Pop, Electronic, Singer-Songwriter: Nilüfer Yanya tobt sich noch in vielen Stilen aus, lässt sich nicht auf eine Kategorie festlegen. Ein bemerkenswerter Start.

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Klingt nach: Nina Simone, King Crule
Punkte: 4/5

  Die Hamburger Band Kettcar.    Foto: Plattenlabel

Die Hamburger Band Kettcar. Foto: Plattenlabel

Kettcar - Ich vs. Wir

Es sind nun neun Monate vergangen seit Erscheinen des Kettcar-Albums „Ich vs. Wir“ und erst jetzt offenbart sich richtig, dass die Hamburger hier wohl das deutschsprachige Album für dieses Jahrzehnt geschrieben haben. Das hier ist die Erzählung der Gegenwart, ein Dokument der Zeitgeschichte, das Deutschland/Flüchtlingsland aus der Distanz anblickt, den Konflikt von „Ich vs. Wir“ aufgreift und in gewisser Art auch Mut macht, die Geschichte als ein „Wir“ weiterzuerzählen. Es ist doch irgendwie absurd, dass ein Begriff wie „Gutmensch“ hier zum Schimpfwort werden konnte. Die Musik dazu? Die wohl beste, die Kettcar nach ihrem „Über“-Album „Du und wieviel von Deinen Freunden“ (auch schon wieder 16 Jahre her) je geschrieben haben. Da ist sie wieder, dieses Zwischending aus Melancholie, Lust und Frustration, das in großen Melodien mündet. Ja, natürlich ist das häufiger Romantikkitsch als echter Punkrock. Aber Anti-Alles für immer ist eben keine Antwort auf diese Zeit.

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Klingt nach: But Alive, Maritime
Punkte: 5/5

(sep)
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