Festival startet im August Die Haldern-Bands im Album-Check
Niels Frevert - Leguane (Single) So sollten erste Singles eines Albums anfangen, auf das viele warten. „Wir waren blau wie eine Lagune“ singt der Hamburger Songwriter Niels Frevert in „Leguane“, dem Vorboten des neuen Albums „Putzlicht“. Frevert, früher Sänger der Band Nationalgalerie versteht sich hier wieder in seiner Paradedisziplin, dem Gesang mit Träne im Knopfloch und viel Hoffnung im Gitarrenbauch. Er untermauert mit diesem Lied, was man eigentlich auch vorher schon wusste: Frevert ist der beste Songwriter dieses Landes. Klingt nach: Gisbert zu Knyphausen
Punkte: 5/5
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Patrick Watson - Melody Noir (Single)
Vielleicht ist dieses Lied jenes, das das musikalische Schaffen des Kanadiers Patrick Watson, mit dem Haldern-Festival langjährig befreundet, am besten zusammenfasst. Die aktuelle Single „Melody Noir“ ist tiefschwarz, träufelt Melancholie auf die Seele. Die Musik dazu klingt, als würde Tom Yorke von Radiohead zum Flamenco einladen. Watson, übernehmen Sie! Und schreiben Sie mal wieder ein ganzes Album.
Klingt nach: Radiohead, Charlie Cunningham
Punkte: 5/5
Robocobra Quartett - Plays Hard To Get
Der Jazz erlaubt das freie Spiel, das Wildern in allen Stilen. Und weil das Robocobra Quartett im Geiste eine Jazzband ist, werden hier munter die Genres vermengt. Zu einer Spoken-Word-Performance darf hier der Bass zappeln, das Saxophon filigrane Soundteppiche weben, das Schlagzeug seinen eigenen Rhythmus leben. Diese Musik hört man nicht nebenbei, sie verlangt Aufmerksamkeit, Tiefenanalyse. Wenn das Robocobra Quartett einmal zugebissen hat, dann kann man sich der hypnotischen Wirkung dieses Sounds nur schwer entziehen.
Klingt nach: Brasstronaut
Punkte: 4/5
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Palace - Life After
Musik für den Palast: Die britische Band Palace wurde für ihr Debüt “So long fever” gefeiert. Stilistisch stehen Palace Bands The Maccabees, bisweilen auch den Fleet Foxes nahe. Die Verboten des zweiten Albums “Life After”, das im Sommer erscheint, lassen ahnen, dass der Hype noch weitergeht. Palace schreiben elegische Songs, mit viel Hall und Pathos. In einem Song wie “No Other” zelebrieren sie die Unaufregung. Dieser Song wird langsam groß, man kann ihm beim Wachsen zusehen.
Punkte: 4/5
Klingt nach: The Maccabees
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Whenyoung - Reasons To Dream
Die irische Band Whenyoung hatte gerade zwei Singles im Gepäck, als ein gewisser Shane McGowan sie einlud, auf seinem 60. Geburtstag zu spielen. Der damalige Jubilar ist Sänger der irischen Allzeithelden The Pogues - es muss also was dran sein an diesem jungen Trio, das radiotauglichen Indiepop spielt, der sich dennoch nie anzubiedern scheint. Auf dem Debütalbum „Reasons To Dream“ sticht besonders die erste Single „Pretty Pure“ heraus, ein süßes Teilchen an Musik. Immer wieder fühlt man sich hier an die irische Band The Cranberries mit der kürzlich verstorbenen Dolores O’Riordan erinnert. Wenn man dann noch weiß, dass Whenyoung deren Single Dreams gecovert haben, und dass Whenyoung wie die Cranberries aus Limerick kommen, dann schließt sich musikalisch ein Kreis.
Klingt nach: The Cranberries, Cardigans
Punkte: 3,5/5
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Gurr - She Says
Globalisierung, Baby: Eine Nürnbergerin und eine Oldenburgerin treffen sich während der Nordamerikastudien in Berlin, reisen dann getrennt voneinander für ein Jahr nach Amerika und beschließen am Ende dieses Trips, gemeinsam für einige Tage auf die Bühne zu steigen. Gurr ist ein weibliches Duo, das Rock für den Alltagsgebrauch schreibt, und sich die Kunstnamen Laura Lee Jenkins und Andreya Casablanca gegeben hat, weil so Rock‘n‘Roll klingt. Auf dem neuen Album „She Says“ klingt der Sound bisweilen deutlich harmonischer als früher, manchmal doch nach Wohnzimmer statt Garage, nicht so schrullig-rumpelnd an Sleater-Kinney orientiert. Kalifornien statt Bronx ist nun das Motto.
Klingt nach: Bangles
Punkte: 3,5/5
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5K HD - And To An A
Sie kommen aus der Wiener Musikszene, anders als die österreichischen Shooting-Stars Wanda und Bilderbuch stehen 5K HD aber nicht für Austropop in deutscher Sprache. Das Quintett hat seine Wurzeln im Jazz, klingt in den Kompositionen sehr organisch, verspielt, wendig. Das ist keine Strophe-Refrain-Strophe-Musik, in ihrer Vielschichtigkeit fordern die Songs dieses Debüts heraus, sind aber immer wieder catchy. Anleihen entdeckt man sowohl bei der Skandinavierin Lapsley als auch bei Sophie Hunger. Und der Name? Er soll mit dem Verweis auf High Definition (HD) einen Kontrast zur emotionalen Wärme dieser Musik darstellen. Ah, ja.
Klingt nach: Sophie Hunger
Punkte: 4/5
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Khruangbin - Con Todo El Mundo
In der Thaisprache bedeutet der Begriff Khruangbin Flugzeug. Das gleichnamige Trio aus Houston/Texas setzt auf seinem Album “Con Todo El Mundo” auf einen Surf-Dub-Rocksound, der lässig aus dem Ärmel geschüttelt wie ein Flugtrip ins Extraterrestrische klingt. Sixties-Beat, Italo-Pop, Thai-Funk: Hier werden Genres bespielt, die sonst auf Festivalbühnen nur noch selten zu Hause sind. Gesang? Völlig überbewertet, allenfalls Begleitgeräusch. Das alles versetzt den Zuhörer in angenehm sommerliche Stimmung, der texanische Wüstenwind wird einem von einer exzellent gespielten Gitarre fortwährend um die Nase geweht.
Klingt nach: Can, Santana, Dick Dale
Punkte: 3,5/5
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Charlie Cunningham - Permanent Way
Er verlässt diesen Weg nicht: Der britische Songwriter Charlie Cunningham setzt auf seinem zweiten Album „Permanent Way“ ebenso wie beim herzergreifenden Debütalbum „Lines“ auf warmen Gesang und spanische Flamencogitarre. Die Spieltechnik eignete er sich während seiner Zeit in Sevilla an. Unter dezenter Beigabe von Elektronik wird hier eine bisweilen verhuscht-hübsche Musik gespielt, die nie lange braucht, um sich im Kopf einzunisten, die im Unterschied zu manch anderer Songwritermusik aber auch auf langer Strecke selten nervt. Kurzum: Mr. Cunningham macht nicht viel falsch, wenn er diesen Weg einfach weitergeht. Für das Herz, von Herzen.
Punkte: 4,5/5
Klingt nach: José González
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Rayland Baxter - Wide Awake
Fünf von fünf auf der Mc-Cartney-Scala: Rayland Baxter kommt aus der Country-Weltzentrale Nashville. Dort hat man eigentlich andere Vorbilder als die britischen Beatles. Und doch haut dieser junge Songwriter, Sie erkennen ihn leicht an einem voluminöse Schnäuzer und Baseball-Cappy, auf seinem Drittwerk „Wide Awake“ mit großer Verlässlichkeit Macca-Melodien aus dem Ärmel. Er hat ein großes Gespür für packende Songs, er weiß sie clever zu arrangieren. Das sind uramerikanische Popsongs, wie sie heute eigentlich überhaupt nicht mehr gebaut werden. Baxters Papa musizierte mit Dylan. Noch so ein großer Name. Er übersetzt zudem einen Randy Newman in die Gegenwart, mal intim mit Gitarre („Without Me“), mal als große Inszenierung („79 Shiny Revolvers“). Zum Niederknien.
Punkte: 4/5
Klingt nach: Paul McCartney, Randy Newman
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Alex The Astronaut - Waste Of Time
Es gibt Songwriter beiderlei Geschlechts, die müssen sich nur eine Gitarre vor den Bauch klemmen und munter vor sich hinsingen, um die Herzen im Sturm zu erobern. Wenn man der australischen Songwriterin Alex The Astronaut auf ihren bisherigen Singles zuhört, dann meint man eine grundfröhliche Person musizieren zu hören. Auf angenehme Weise ist diese Kunst unbeschwert, fluffig, herzlich. Die Single „Waste Of Time“ ist anders als aufregend - doch darum geht es hier nicht. Es geht um das Do-It-Yourself-Gefühl.
Punkte: 3/5
Klingt nach: Kate Nash, Boy, Regina Spektor
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Lisa Morgenstern - Chameleon
Der Exzess kommt auf leisen Sohlen, die Musik schleicht sich heran, wird immer gewaltiger. Die deutsch-bulgarische Pianistin Lisa Morgenstern hat mit „Chameleon“ ein betörendes Album an der Grenze von Neoklassik und barockem Pop geschrieben. Die Elektronik spielt hier eine wesentliche Rolle, sie hebt die klassischen Kompositionen in die Jetztzeit, sorgt für Aufregung. Morgenstern steht in einer Traditionslinie mit Ólafur Arnalds und Nils Frahm - weil auf „Chameleon“ aber auch gesungen wird, sorgt die junge Frau für wesentlich mehr Abwechslung. Ein ganz starkes Album.
Punkte: 4/5
Klingt nach: Philipp Glas, Olafur Arnalds
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Maarja & Ruum Nuut - Muunduja
Kleine Nachtmusiken aus Estland: Die Songwriterin Maarja Nuut hat einen tiefschwarzen Sound kreiert, der nicht selten an die Songkunst der Isländerin Björk erinnert. An der Grenze von Klassik und Popmusik spielt diese Musik, wo die Konturen verwischen, wo es nebelt und dämmert. Geige, Gesang und Effekte werden ständig neu geloopt. Wer heute noch ein Meditationsstudio eröffnen will, sollte sich dieses Album zulegen. Wer schlecht in den Schlaf kommt, findet hier vielleicht Hilfe. Süße Träume!
Klingt nach: Björk, Julia Holter
Punkte: 3/5
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The Chats - Get This In Ya
Das Punktrio The Chats aus Australien ist der Indierock-Gemeinde mit dem Hit „Smoko“ bekannt geworden. Dieser Song erklärt noch einmal die Story, warum Punkrock so populär werden konnte. Man kann nicht behaupten, dass The Chats die größten Musiker unter Gottes Sonne sind. Wenn aber die Leidenschaft sich mit einer Spielfreude und einem Faible für catchy Refrains vereint, dann entstehen Songs wie diese. Orientierung scheinen der Punk der Ramones und Sex Pistols wie auch der von 2000er-Bands wie The Strokes geboten zu haben.
Klingt nach: The Strokes
Punkte: 4/5
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Wand - Laughing Matter
Musik für Kopfhörer: Die amerikanische Hippietruppe Wand ist keine Band für nur eine Nacht. „Laughing Matter“ ist ein bisweilen spinnerter Trip in die Möglichkeiten von Musik. Krautrockexzesse, Avantgarde-Pop - mit größter Experimentierfreude wird hier vor sich hin gemuckert. In den konsequenten Momenten klingt diese Band erstaunlicherweise nach Radiohead oder Tortoise. In den verwegenen Momenten, auf der Höhe ihres Schaffens, spielen sie den Hörer mit einem kosmischen Trip buchstäblich gegen die - Wand. Am besten hört man diese Musik ohne Gesellschaft - was beim Festival schwierig werden dürfte.
Klingt nach: Tortoise, Pink Floyd
Punkte: 4/5
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Julien Baker - Turn Out The Lights
Eine der traurigsten Musiken im Genre Songwriter, die in den vergangenen Jahren entstanden ist. Die Amerikanerin Julien Baker kehrt ihr Innerstes nach außen, sie besingt ihren Schmerz - und schafft so begleitet von ihrer Fender-Gitarre zum Niederknien gute Melodien. Die Songs sind großer Intensität und emotionaler Dichte, jeder Ton sitzt. Am Ende dieses Meisterwerks sind alle Kerzen ausgeblasen. Es bleibt: erschrockenes Staunen.
Punkte: 4,5/5
Klingt nach: Daughter, July Byrne, Julia Holter
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Felix Kramer - Wahrnehmungssache
Das Album „Wahrnehmungssache“ wurde schon vor dem in einer Ibiza-Villa ausgelösten Regierungsskandal in Österreich veröffentlicht, und dennoch kann man Felix Kramers Musik als Statement zum Österreich im Jahr 2019 lesen. „Sag, kommt nur mir das so vor oder wird alles wirklich immer schlimmer?“ fragt er im Titeltrack, der im Grunde visionär eine Abrechnung mit der Strache-Kurz-Regierung darstellt. Liedermacherlieder im eigentlichen Sinne sind das, zu gezupfter Gitarre singt Kramer mit Wiener Schmäh seine kleinen Alltagsbeobachtungen, seine Oden an die verdammte Liebe, die so viel Zuversicht verströmen wie ein Pudel im Regen. Ein gesundes Maß an Skepsis verströmen die niedergeschlagenen Lieder - oder wie man in Österreich sagt: Es sind halt „b‘soffene G‘schichten“.
Punkte: 4/5
Klingt nach: Faber, Reinhard Fendrich
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Woods Of Birnam - Grace
Musik für die große Bühne: Schauspieler Christian Friedel („Russendisco“, „Das weiße Band“) und seine Band aus Dresden veröffentlichen mit „Grace“ ihr nunmehr drittes Album. Es ist ein mutiger Entwicklungsschritt einer noch jungen Band, die hier auf sphärische Keyboards, Synthies und wabernde Krautrock-Elemente setzt. Man entdeckt Anleihen bei Phoenix und dem Genre Dream Pop, natürlich auch bei der Vorgängerband Polarkreis 18. Durch opulente Instrumentierung gerät der Sound aber nie zu gediegen. Am hellsten strahlt der Titelsong „Grace“ - das Schlagzeug steuert hier zuversichtlich auf einen euphorischen Chorus zu.
Punkte: 3,5/5
Klingt nach: Phoenix, Metronomy, Polarkreis 18
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Manuel Troller - Vanishing Points
Was eine Gitarre alles zu leisten imstande ist: Der Schweizer Manuel Troller beherrscht dieses Instrument nicht nur, er bedient es nach allen Facetten. Man kennt ihn in Haldern als Teil des Luzerner Klangkollektivs Schnellertollermeier. Als Manuel Troller hingegen liefert er auf „Vanishing Points“ kleine Gitarrenaquarelle - die Songs mäandern, sie zerfließen wie Schweizer Käse in der Sonne, um sich dann wieder aufzutürmen wie das Matterhorn. Troller arbeitet mit Loops, mit Songskizzen - man kann den Songs beim Entstehen zuhören. Das macht den Reiz dieses Werks aus, das, darauf verwetten wir eine Flasche Zirbenschnaps, niemals den ersten Platz der deutschen Albumcharts erreichen wird. Trotzdem hörenswert.
Punkte: 3/5
Klingt nach: Schnellertollermeier
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Whitney - Light Upon The Lake
Whitney - der Name ist ja musikhistorisch vorbelastet. Im Falle des amerikanischen Duos dieses Namens geht es nicht um immerwährende Liebe der Whitney Houston, sondern um Countryfolk mit spannenden Beigaben. Der Name entstand, weil beide Protagonisten mit ihrem Bandnamen ausdrücken wollten, dass sie im Herzen eins sind. Die zehn Songs des Debüts dieser beiden Herren trotzen nur so vor herrlicher Schluffigkeit. Mit Kopfstimme brilliert, die Gitarre wird schön twangy gespielt, also scharf. Gelernt haben Whitney ihr Handwerk in Band wie Smith Westerns und Unknown Mortal Orchestra. Und natürlich denkt man zunächst an Neil Young, wenn man diesen Landeierfolk hört. Doch dann kommt immer wieder die fast jazzig gespielte Trompete ins Spiel wie im tollen „No Woman“ und man weiß, dass Whitney ganz sie selbst sind.
Punkte: 5/5
Klingt nach: Neil Young, Fleet Foxes
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Loyle Carner - Not Waving, But Drowning
Eigentlich heißt dieser Musiker Benjamin Coyle-Larner, auf der Bühne nennt er sich Loyle Carner und hat damit den ersten Lacher schon auf seiner Seite. Sein Musikername ist ironische Anspielung auf seine Lese- und Rechtschreibschwäche und seit zwei Jahren Ausweis seiner Rapstärke. „Not Waving, But Drowning“ ist das Zweitwerk des jungen Rappers aus London. Die Musik ist so smoothie wie pürierte Erdbeeren, so cool wie Eiswürfel. Der Typ sprechsingt zu tighten Oldschoolbeats vor sich hin, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Manchen Songs fehlt die Dringlichkeit, bisweilen übertreibt er es mit der Coolness. Ein Song wie „Angel“ mit Tom Misch lullt zu sehr ein. Live aber, so darf man ahnen, hat die Show ein ganz anderes Kaliber.
Klingt nach: Kate Tempest, Nas
Punkte: 3,5/5
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Daughters - You Won‘t Get What You Want
Schwere Kost, hart zu verdauen, wahrlich kein Freudentänzchen: Was die amerikanische Band Daughters auf ihrem Debütalbum „You Won‘t Get What You Want“ im wahrsten Wortsinne fabriziert, ist brachialer Industrialrock, der etwaige Freuden an der Melodie und Harmonie bisweilen geschickt zu tarnen imstande ist. Man muss nur das einleitende „The City“ hören, jenen Nervtöter aus kreischenden Gitarren und einem tiefschwarzen Gesang, um zu wissen: Die nächste Dreiviertelstunde wird ein Ritt durch die Hölle. Auf dem Weg dorthin grüßen Nick Cave und Joy Division. Daughter senden musikalisch immer wieder Momente der Eintracht - doch das sind nur Atempausen auf dem Weg zur nächsten Orgie.
Klingt nach: Swans, Metz
Punkte: 3/5
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Jungstoetter - Love is
Es fällt schwer, sich Nick Cave als einen jungen 18-Jährigen vorzustellen, frei nach vom Ballast eines langen Lebens. Er würde vielleicht so klingen wie Fabian Altstoetter, Sänger der Band Sizarr und unter dem Namen Jungstoetter als Solokünstler unterwegs. Er hat die Stimme eines jungen Nick Cave - in der musikalischen Stilrichtung aber gleicht er dem Altmeister des Folk Noire. Die Songs - ein langes Seufzen. Sie atmen den Geist eines Ermatteten in Berlin, müde vom Alltag, von der zerklüfteten Welt der Hauptstadt. Dieses intime Album changiert würdevoll zwischen Pathos, Drama und Resignation. Und nicht selten weht auch der Geist des verstorbenen Mark Hollis (Talk Talk) durch den Raum. Eine Inszenierung der Vergangenheit - von einem Musiker der Zukunft.
Klingt nach: Tindersticks, Scott Walker, Mark Hollis, Ahnoni, Nick Cave
Punkte: 3,5/5
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SYML - SYML
Musik wie ein mit extra viel Weichspüler gewaschener Wollpulli. Der Kuschelpop des Amerikaners Brian Fenell ist Musik für die Softies unter den Festivalfreunden. Früher spielte er in der Band Barcelona, als Referenz an seine walisischen Wurzeln nannte sich der Mann aus Washington fortan SYML, was im Walisischen so viel wie simpel bedeutet. Das ist hübsches Understatement, denn so simpel, wie er vorgibt, sind die Melodien nicht. Fenell beherrscht den Radiohit („Clean Eyes“) ebenso wie die softe Ballade („Where‘s my love?“). Damit wird er nicht den Innovationspreis der Popbranche gewinnen. Aber wir haben schon simplere Musik gehört.
Klingt nach: Keane, Ben Howard
Punkte: 3/5
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Fontaines D.C.- Dogrel
Humor haben sie auch noch: Das Debütalbum der irischen Band Fontaines D.C. heißt „Dogrel“ und wenn man das vom Irischen ins Deutsche übersetzt, dann heißt das so viel wie „plumper Vers von geringem Wert“. Der Titel passt zu dieser Working Class-Rockmusik, die für den Pub geschrieben wurde. Das Quintett aus Dublin zählt ebenso wie ihre Labelfreunde von den Idles zu den Bands der Stunde. Frontmann Grian Chatten macht sich gar nicht erst die Mühe, zu diesem ungestümen und doch immer stark an Melodie orientierten Punkrock zu singen, er schimpft seine Verse von geringem Wert in die Kneipe. An der Theke sitzen die Pogues, The Clash und Maximo Park und hören staunen, wie jemand ihr musikalisches Erbe mit größter Rafinesse in die Jetztzeit transformiert. Großartig!
Klingt nach: The Clash, Maximo Park, Idles
Punkte: 5/5
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Durand Jones & The Indications - American Love Call
Der Amerikaner Durand Jones ist eigentlich Saxofonist - für “American Love Call” hat er sich eine vierköpfige Begleitband eingeladen. Der Retro-Soul dieses Albums wird in Amerika gefeiert. Nach dem Tod von Charles Bradley, der bereits in Haldern auftrat, gilt Durand Jones als der legitimierte Nachlassverwalter des musikalischen Erbes von Marvin Gaye, Otis Redding und Curtis Mayfield. Tatsächlich beherrscht Durand einige der Disziplinen der Motown-Großmeister des Genres: die Lässigkeit, die mit charmanter Beiläufigkeit hingeschmissenen Melodien, eine immense Spielfreude. Diese Musik macht Freude, und transportiert im Subtext doch immer auch eine Gesellschaftsanalyse des Amerika im 21. Jahrhundert.
Klingt wie: Marvin Gaye, Otis Redding
Punkte:4/5
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David Keenan - Evidence Of Living (Single)
Der Popzirkus kann sich noch so wild drehen, Haken schlagen und neue Hypes ausrufen. Am Ende gewinnt doch immer wieder: der beste Song. Mit dem Iren David Keenan schlägt ein Songwriter in Haldern seine Zelte auf, der die Kunst des Liedermachens beherrscht. Er ist nicht einer der weiteren Männer mit Gitarre vor dem Bauch. Bei seinen bisher erschienenen Singles schätzt man das Filigrane, jene Unaufgeregtheit, mit der er intoniert. Er steht hier in einer Traditionslinie mit Tim Buckley, auch Glen Hansard und Damien Rice. Für diesen Auftritt sollte man sich die eine oder andere Träne zurückhalten.
Klingt nach: Damien Rice, Tim Buckley
Punkte: 4/5
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Kirill Richter - Chronos
Der russische Pianist Kirill Richter ist ein aufstrebender Künstler der neuen Klassik. Das Genre der Neoklassik erfährt auch in Deutschland Beliebtheit - in Haldern treten seit einigen Jahren Musiker auf, die Klassik mit den Elementen von Pop verbunden. Nils Frahm und Martin Kohlstedt waren schon da. Mit Kirill Richter tritt nun ein Musiker auf, der für das amerikanische Fernsehen Fox Sports sogar schon die Erkennungsmelodie für die Fußball-WM 2018 komponierte, Im Falle von Richters Album Chronos bedeutet dies: spielerische Melodie, ein wiederkehrendes Motiv, bisweilen Eingängigkeit. Streicher ergänzen das Pianospiel; das tut dem Sound gut, denn bisweilen läuft das Genre der Neoklassik Gefahr, der Beliebigkeit anheim zu fallen, nur Klangtapete zu sein. Chronos ist mehr als Rauhfaser
Punkte: 3/5
Klingt wie: Martin Kohlstedt, Carlos Cipa
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Kikagaku Moyo - Masana Temples
Wenn Räucherstäbchen Musik machen könnten, würden sie wahrscheinlich nach Kikagaku Moyo klingen. Das japanische Kollektiv aus Tokyo spielt einen entrückten Krautrock, der mit der Zeit bewusstseinserweiternde Wirkung versprüht. Die sphärischen Klänge, diese zart sägende E-Gitarre und der treibende Bass entfalten im Ensemble mitunter hypnotische Kraft. Das ist keine Musik für Instant-Genuss, man sollte das Album auf Wiedervorlage legen und mit der Zeit staunen, wie melodisch in einem Song wie „Dripping Sun“ die japanische Sprache sein kann.
Punkt: 3,5/5
Klingt nach: Ghost, Acid Mother Temples
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Jeremy Dutcher - Wolastoqiyik Lintuwakonawa
Und dann passiert es manchmal, dass Dich Musik magisch packt, obwohl sie nicht in dein bisheriges Verständnis von Musik passte. Der kanadische Komponist, Multiinstrumentalist, Tenor, man muss schreiben: ein Wunderkind, sprengt selbst solche Grenzen, die wiederum schon gesprengt wurden. Sein Album mit dem fantastischen Titel „Wolastoqiyik Lintuwakonawa“ klingt wie experimentelle Oper in Esperanto, wie ein von Streichern und Piano begleiteter fantastischer Trip. Seine familiären Wurzeln liegen in der Tobique First Nation, einem Aborigines-Stamm. Das zweite Fundament, auf dem diese Songs gebaut sind, ist das Statement für die Queer-Community. Nah an Antony Hegarty, Joanna Newsom - hochkomplex, hochbegnadet, aufregend. Wir werden von ihm hören.
Punkte: 5/5
Klingt nach: Antony & The Johnsons
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Soap & Skin - From Gas To Solid: You are my friend
In einen Wald aus Schwermut hat sich die Österreicherin Anja Plaschg alias Soap & Skin verirrt. Mit Gesang versucht sie sich zu befreien. Die tonnenschweren Kompositionen ihres nunmehr dritten Albums versprechen abermals Rettung. Plaschg war immer eine Chanteuse des morbiden Fachs; früher sang sie davon, eine Made im Leichnam ihres Vaters zu sein. Die Endzwanzigerin ist nun Mutter geworden, da entdeckt man auch einmal die eine oder andere Lichtung im dunklen Lebenswald. Entsprechend klingt hier manches heiterer, unbeschwerter. Ein Song wie das federleichte “Italy” würde bei anderen Sängern immer noch als Trauerkloß durchgehen. Für Soap & Skin, die mit diesem Werk internationalen Rang erreicht, ist es ein Happy Song. Der Albumtitel und die Weltraumaufnahme spielen auf den Prozess der Transformation an; es geht um Veränderung. Auch Soap & Skin hat sich verändert; und zwar dergestalt, dass man hoffnungsvoll sein kann, noch ein paar starke Alben dieser Liga von ihr hören zu können.
Klingt nach: Kate Bush, Portishead, Joanna Newsom
Punkte: 4/5
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Blanco White - Nocturne (EP)
Jedes Haldern-Festival hat mindestens einen Künstler, dem man den großen Sprung zutraut, dessen Melodien so überragend sind, dass sie einem größeren Publikum kaum verborgen bleiben können. Man sollte in dieser Hinsicht den Londoner Songwriter Blanco White, bürgerlich Josh Edwards, auf dem Radar haben. Die schlicht arrangierten akustischen Songs seiner nunmehr dritten EP, allen voran das emotionale Lied „Sol“, sind von solcher Schönheit, dass es für sie kaum einen besseren Ort gibt als dieses Festival.
Klingt nach: Charlie Cunningham
Punkte: 5/5
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Kat Frankie - Bad Behaviour
Es hat einige Jahre gedauert, bis die Karriere der aus Australien stammenden Wahlberlinerin Kat Frankie so richtig Fahrt aufnahm. Von Melbourne kam sie in die Bundeshauptstadt, eigentlich für ein Auslandsjahr. Daraus wurde ein Daueraufenthalt. Die ersten Songs veröffentlichte sie im Eigenverlag, Zusammenarbeiten mit Olli Schulz als dessen Gitarristin, mit Get Well Soon und zuletzt als Duettpartnerin von Clueso machten die Chanteuse einem größeren Publikum bekannt. So landete Kat Frankie auf dem Grönemeyer-Label “Grönland”. Das Album “Bad Behaviour” ist musikalisch ein großer Wurf, clever arrangiert, immer an der Grenze zwischen Pop, Elektro und Jazz. Es ist ein Kunststück, Musik für die Masse zu machen, die dennoch an Subtilität nicht einbüßt. Mit Songs wie “Versailles” oder “Swallow you whole” gelingt dies mühelos.
Klingt nach: Feist, Cat Power
Punkte: 5/5
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Father John Misty - God‘s favourite Customer
Der US-Songwriter Father John Misty ist der König der Chansonniers in der Gegenwart. Sein in 2018 erschienenes mittlerweile viertes Werk „God‘s favourite Customer“ zeigt ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Die Songs sind von großer Grandezza, komplex arrangiert und doch stets auf den Punkt. Was soll auch anders aus Dir werden, wenn Du in einem Städtchen namens Rockville in Maryland groß geworden bist. Joshua Tilman wurde musikalisch als Schlagzeuger der Fleet Foxes einem größeren Publikum bekannt, startete mit „Fear Fun“ seine Solokarriere. Mit dem gefeierten Vorgänger „Pure Comedy“ hat Tillmann den Zustand der Gesellschaft analysiert. In der gemächlichen Spielart des Midtempo-Americana seziert er diesmal altersweise sein eigenes Ich. Manchmal wirkt er müde, erschlafft, der Sound zuckt nur noch. Und doch bleibt das hörenswert von vorne bis hinten.
Klingt nach: Jonathan Wilson, Ben Folds
Punkte: 5/5
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Elektro Guzzi - Polybrass
Alle Welt redet vom Energiesparen, die österreichische Technoband Elektro Guzzi praktiziert es. Die spielt nämlich auf „Polybrass“ eine elektronische Musik, die gänzlich ohne Elektrik auskommt. Dieser Techno wird allein mit Instrumenten gespielt, mit Gitarre, Schlagzeug, Bass sowie Posaunen. Scharf an der Grenze von analog und digital, ist dieses Album klanglich ein echtes Erlebnis, schwer tanzbar, bisweilen hypnotisch. Die Posaunen sorgen für die nötige Wärme im Sound. Das Album auf Strecke zu hören, gerät zur Anstrengung. Zu loben ist aber diese immense Spielfreude.
Klingt nach: Brandt, Brauer, Frick
Punkte: 3/5
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Junius Meyvant - Across the border
Man sollte alle Klischees über isländische Musik vergessen, bevor man das wunderbare Album „Across the border“ des Barden Junius Meyvant hört. Die isländische Musik wird für gewöhnlich charakterisiert durch sphärische Klänge, in Melodie gegossenen Geysir. Meyvant aber spielt luftig-leichten Soul-Folk, wie er auch in Kalifornien hervorragend gedeihen könnte. Ihm zur Seite steht ein ganzes Orchester, die Harmonien wurden glänzend instrumentiert. In einem Song wie „High Alert“ meint man gar einen Tom Jones zu hören. Dass man das über einen isländischen Musiker mal schreiben würde.
Klingt nach Jonathan Jeremiah, Nick Mulvey
Punkte: 4,5/5
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Kadavar - Rough Times
Das Berliner Trio Kadavar ist mutmaßlich die erste Band, die sowohl beim Wacken-Festival als auch beim Haldern Pop auf der Bühne stand. Wacken gilt als das Live-Epizentrum des Heavy Metal - Kadavar spielen einen schweren Stoner-Rock, der von fetten Gitarren getragen wird. Im Vorprogramm von Ozzy Ozbourne und den Scorpions traten sie schon auf, die Männer mit Rauschebart und wallendem Haupthaar passen zum Comeback der Siebziger in der Rockmusik. Authentischer Gitarrenrock ist wieder in; es braucht eben doch nicht immer eine Metaebene. Manchmal reicht es auch, sich einfach die Musik um die Ohren fegen zu lassen. Funktioniert mit dem Album „Rough Times“ ganz wunderbar.
Klingt nach: Black Sabbath, Wolfmother, Smashing Pumpkins
Punkte: 4/5
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Brandt Brauer Frick - Echo
Elektronische Musik mit den Mitteln der Klassik zu spielen, ist nicht mehr die heißeste Neuerfindung. Das Berliner Trio Brandt Brauer Frick gilt aber als einer der Pioniere dieses Genres, das mit analogen Mitteln einen Sound für die Digitale kreiert. Auf ihrem neuen Album „Echo“ ist es kein reiner House mehr wie in früheren Jahren, den die Band spielt. Die warmen Töne flattern und vibrieren, es rappelt ganz kräftig im Karton, in den rechten Momenten kommt die Musik aber wieder auf den Boden. Und bisweilen muss man sich kitzeln und daran erinnern, dass hier kein DJ am Knöpfchen dreht, sondern echte Menschen echte Instrumente spielen. Es müssen Zauberer sein.
Klingt nach: John Hopkins
Punkte: 4/5
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Money For Rope - Picture Us
Die Musikszene von Melbourne ist eine äußerst fruchtbare: Dort gedeiht noch handgemachte Rockmusik, die sich einen Teufel um Hypes schert und gerade so zum Hype werden kann. Die Band Money For Rope liefert mit „Picture Us“, erschienen auf dem festivaleigenen Haldern-Pop-Label, einen der Rocksounds der Stunde. Schwitzend, dampfend ratternd ist hier ein nicht zu stoppender Soul-Blues-Train unterwegs, Europa zu erobern. Bisweilen meint man die frühen Mando Diao zu hören. Money For Rope trauen sich mehr als die Schweden. Sie gewähren sich Zeit, ruhige Passagen, um im nächsten Moment wieder loszuschnaufen. Schenkt den Männern die Hauptbühne!
Klingt nach: Mando Diao, The Saints
Punkte: 5/5
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Alyona Alyona - Puschka
Die ukrainische Rapperin Alyona Alyona ist eine starke Frau: Sie gilt als erste Rapperin in ihrem Heimatland, die in einem männlich dominierten Genre Erfolge feiert. Ihre Single “Puschka” wurde im Heimatland ein Youtube-Phänomen. Spannend ist hier, wie harte Beats mit einer für westeuropäische Ohren harten Sprache korrespondieren. Dieses Album ist auch ein Soundtrack der Emanzipation. In einem Lied wie “Ribki” (“Fischlein”) korrigiert die Endzwanzigerin, die bürgerlich Aljona Sawranenk heißt das Frauenbild ihrer Heimat. “Ribki” heißt übersetzt “Fischlein” - so nennt man in der Ukraine Frauen verächtlich. Aber: Leg Dich nicht mit Alyona an!
Klingt nach: Alezia Banks
Punkte: 3/5
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Another Sky - Life I Coming In Through The Blinds (EP)
Das Verblüffendste beim Südlondon-Quartett Another Sky ist die Stimme. Es ist tatsächlich eine Frau, die da singt, obwohl das alles so dunkel und männlich klingt. Im Refrain eines Songs wie „The Cracks“ kann sie sich mit Kopfstimme ein paar Oktaven höher schrauben. Dunkle Postrockmusik schreiben Another Sky, die Lieder wurden mehrfach in Pathos gewendet, haben aber immer genug Drive und die nötige Vertracktheit.
Klingt nach: Radiohead, Keane
Punkte: 4/5
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Balthazar - Fever
Die belgische Band Balthazar klang schon immer dann am besten, wenn sie Menschen auf die Tanzfläche locken wollte. Der Indiepop dieser Musiker aus Gent wurde schon immer für die Hüfte geschrieben. Auf „Fever“, dem Album No. 4 nach einer längeren Bandpause, gelingt der Tanzappell ganz hervorragend. Song wie das erste Stück „Fever“ oder Wrong Faces“ mit einem aufregenden Bass-Saxophon-Auftakt klingen auf angenehme Weise cool. In die Wiege gelegt wurde dieser Band zudem ein großes Gefühl für Melodie, diesmal mit einem orientalischen Einfluss. „Fever“ ist ein Sommeralbum und wärmstens empfohlen.
Klingt nach: dEUS, Beck
Punkte: 4/5
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Barns Courtney - The Attractions Of Youth
Er sei aus dem Musikzirkus nicht mehr wegzudenken, schrieb ein Musikmagazin kürzlich über den britischen Songwriter Barns Courtney - was wahrscheinlich mehr über den Zustand des Pop-Journalismus als über den Künstler Barns Courtney aussagt. In Wahrheit ist er nämlich noch ein ziemlicher No-Namer, könnte aber mit den vielen Heimlich-Hits seines Debüts aus 2017 vielleicht etwas bekannter werden. Die Songs sind rotzig-rockig, immer auch soulful. Eine Single wie „Glitter & Gold“ zeigt: Der Kerl hat Talent.
Klingt nach: Dermot Kennedy
Punkte: 4/5
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Black Midi - Talking Heads
Sie wollen es nicht anders. Wer eine seiner drei bei Spotify zu hörenden Singles wirklich „Talking Heads“ nennt, der muss sich den Vergleich mit den britischen Underground-Helden gefallen lassen. Black Midi gelten in London als eine der Underground-Bands der Stunde, sie spielten im Vorprogramm von Shame. Auf spannende Weise wird hier das Ungestüme des Punkrock mit der Punktgenauigkeit von Math Rock vereint. Als würde man Action Painting mit dem Lineal betreiben - so in etwa machen Black Midi Musik.
Klingt nach: Talking Heads
Punkte: 4/5
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Dermot Kennedy - Power Over Me (Single)
Der 27-jährige Songwriter Dermot Kennedy aus Dublin hat geschafft, was heute nur noch wenige Songwriter erreichen: Mit seiner Single „Power Over Me“ landete er einen Radiohit, den auch die Formatsender nicht scheuen. Dieser Erfolg ist erarbeitet, und wenn man diese unglaubliche Reibeisenstimme hört, auch äußerst verdient. Wer sich auf Spotify einige der weiteren erschienen Singles anhört, der erkennt ein Muster. Seine simplen Popsongs versieht er mit Trap- und Blueselementen. Erstaunlicherweise reüssiert er damit auch bei der jungen Generation. Power For The People.
Klingt nach: Welshly Arms, Rags’N’Bones, Mumford & Sons
Punkte: 5/5
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Dylan Cartlidge - Monsters Under The Bed
Für den britischen NME ist er ein „Essential new Artist“ für das Jahr 2019. Es hängt also ein Kranz von Vorschusslorbeeren unter dieser Storchennestfrisur. Dylan Cartlidge rappt den Funk, er funkt den Rap. Auf satte Basslinien legt er einen smoothen Sprechgesang. Musikalisch ist er oft nahe beim Indie und Blues, weshalb er mit Bands wie den Black Keys ebenso in einer Traditionslinie steht wie mit einem Jamie T.
Klingt nach: Jamie T, The Black Keys
Punkte: 3/5
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Flamingods - Levitation
Flamingos, das sind die lustigen rosafarbenen Vögel, die zur Not auch auf einem Bein stehen können. Das Londoner Quartett Flamingods, das sich im Namen gleichermaßen auf den Vogel wie den lieben Gott bezieht, klingt wie das, was man wahrscheinlich bei Überkonsum bewusstseinserweiternder Substanzen vor Augen hat: Flamingos, überall Flamingos, in buntesten Farben. Die Flamingods haben Wurzeln im Bahrain, entsprechend nehmen sie viele Anleihen bei der asiatischen Musik. Ihr am Krautrock geschulter und vom Funk geprägter Rock lässt einen bisweilen ratlos-staunend zurück, weil man kein Ziel erkennt. Der Weg ist hier das Ziel - und manchmal hilft es dabei sogar, - siehe Flamingo - sich auf einem Bein einfach die Zeit zu vertreiben.
Klingt nach: Kikagaku Mojo und King Gizzard and the Lizard Wizard
Punkte: 3/5
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Haiku Hands - Dare You Not To Dance (Single)
In ihrer Heimat Australien gilt das Trio Haiku Hands als einer der angesagtesten Dancefloor-Acts. Das hier ist aber kein Dancefloor im Sinne der Neunziger, kein billiger Eurotrash. Die drei Damen verstehen sich hervorragend auf das Basteln schmissiger Tanzflurhits. Die Beats in der Single „Dare You Not To Dance“ animieren zum munteren Zappeln. So klingt Rave für das 21. Jahrhundert. Es sollte nicht verwundern, wenn man von dieser Truppe nach dem Festival noch mehr hört.
Klingt nach: Ting Tings, Bloc PArty
Punkte: 4/5
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Idles - Joy As An Act Of Resistance
Das Haldern-Pop-Festival hat diese Band dem europäischen Festland vertraut gemacht. Nur folgerichtig also, dass die Punkband The Idles als einer der Acts der Stunde im Punkrock das Festival beehrt. Das Album „Joy As An Act Of Résistance“ zeigt die riesige Spielfreude dieser Mannen, die stets zum gepflegten Pogo einladen. Ein jeder Song ist eine musikalische Abrissbirne, und doch ist das nie rohe Gewalt, sondern stets von enormer Raffinesse. Mit „Danny Nedelko“ hört man zudem einen der größten Rocksongs des Jahres 2018. Sind die Idles überhaupt noch zu stoppen?
Klingt nach: Shame, Fontaines D. C.
Punkte: 5/5
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Sophie Hunger - Molecules
Mit ihren sechs stets herausragenden Platten hat sich die Schweizerin Sophie Hunger zu einem der europäischen Stars im Genre des Singing-Songwriting entwickelt. Mehr noch: Die Hunger ist eine der großen Chanteusen unserer Zeit. Wenige schreiben sie großartige Songs, wenige intonieren mit so viel Inbrunst. „Molecules“ weicht nur vordergründig von der Idee der vorherigen fünf Alben hat. Natürlich ist der Auftakt „She Makes President“ elektronischer, natürlich wird hier häufiger mal mit Synthies und Drumcomputer gearbeitet, etwa im flotten Tanzsong „Tricks“. Das sollte aber für die Puristen unter den Musikhörern kein Grund sein, die Qualität dieses Werks in Frage zu stellen. Die Songs sind auch diesmal zu groß. Songperlen wie „Sliver Lane“ gelingen Sophie Hunger im Schlaf - andere verschwenden ein Leben darauf.
Klingt nach: Hundreds, Norah Jones, Joan As Police Woman
Punkte: 5/5
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James Leg - Blood On The Keys
Großer Mann, lange Haare, nackter Oberkörper: Der Amerikaner James Leg bewirbt sich als Hauptdarsteller für das Biopic über Iggy Pop. Auch stimmlich entdeckt man Parallelen zum Frontmann der Stooges. Aber James Leg ist mehr: Mindestens ebenso sehr ist die Musik auf dem Album „Blood On The Keys“ dem Blues gewidmet. Leg haut in die Tasten wie ein Berserker. Er orgelt und wummert sich durch diesen wilden Rock, das man ihm ein Sauerstoffzelt reichen will. Echte Energieleistung.
Klingt nach: Iggy Pop, Tom Waits
Punkte: 3/5
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Jesse Mac Cormack - Now
Die Wurzeln des Sounds von Jesse Mac Cormack, 30-jähriger Kanadier mit einer Debütveröffentlichung namens “Now” sind weit verzweigt. Sie reichen vom Afrobeat über Sixties-Soul bis in die Elektromusik zu Bands wie Hot Chip und Caribou. Das Fundament bilden Loops, warme Keyboards-Sounds, eine bisweilen glockenhelle Kopfstimme. Das Album funktioniert eher auf Strecke als im einzelnen Moment. Mitunter fehlt die Spannung.
Klingt nach: The Barr Brothers, Caribou
Punkte: 2,5/5
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Keir - Night & Day (Single)
Erster Eindruck nach dem Hören der Single „Night & Day“ des Songwristers Keir aus Bristol: Stimme hat er, Pathos kann er. Man spürt, wie hier ein junger Mann volle Kraft in den Gesang legt, wie er jeden Song arbeitet. Mit diesem Bluesrock ist er manchmal nah bei Jeff Buckley, dann wieder bei den White Stripes oder Led Zeppelin. Diese Musik ist zeitlos, man wird auch in 50 Jahren dazu noch die Matte schwingen.
Klingt nach: The White Stripes
Punkte: 3/5
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Kuersche - Tried To Call (Single)
Der Sänger Kuersche stammt aus dem Umfeld von Fury In The Slaughterhouse. Das Maschmeyer-Schröder-Klaus-Meine-Hannover war musikalisch in den frühen Neunzigern einige Jahre Zentrale der deutschen Rockmusik. Während die Scorpions international immer noch die großen Bühnen füllen, ist Kuersche ein Mann für die kleine Bühne geblieben. Und doch tourte er beharrlich, zuletzt auch mit Mitgliedern von Fury In The Slaughterhouse. Jetzt veröffentlicht er eine neue Single. „Tried To Call“ ist beschwingter Gitarrenpop, der niemals wehtut, weil er nicht unter die Haut kommt.
Klingt nach: Jeremy Days, Fury In The Slaughterhouse
Punkte: 2,5/5
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Michael Kiwanuka - Money (Single)
Der britische Soulsongwriter Michael Kiwanuka scheint sich abermals in eine neue musikalische Richtung zu entwickeln. Auf dem famosen Album „Love And Hate“ erinnerten lange sphärische Gitarrenpassagen bisweilen an Pink Floyd. Die nSingle „Money“, Vorbote des neuen Albums, wurde gemeinsam mit Tom Misch produziert; und wo der mitmischt, da entwickelt sich ein Song in Richtung Hit. Den Chorus hätte Curtis Mayfield nicht besser singen können, die Verse grooven großartig vor sich hin.
Klingt nach: Curtis Mayfield, Marvin Gaye
Punkte: 5/5
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Pictures - Hysteria
Ist das nun endgültig der Anfang der Wiederkehr des Britpop? Man will ja schon lange sein Privatvermögen beim Buchmacher darauf verwetten, dass die Retrowelle irgendwann auch die britische Popmusik in ihrer Neunziger-Prägung anschwemmt. Mit dem Album “Hysteria” jedenfalls gelingt der Berliner Band Pictures ein Album, das in seinen besten Momenten an Oasis und The Verve erinnert. Die große Geste, der gewaltige Chorus, und kurz vor dem Finale ein sattes Gitarrensolo - das Rezept für einen Britpopsong hat sich nicht verändert. Auch wenn sich hier mancher Song zu harmlos, nach Fools Garden statt Gallagher, klingt, ist “Hysteria” ein erfrischendes Werk geworden.
Klingt nach: Oasis
Punkte: 3/5
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Sea Girls - All I Want To Hear You Say
Die Band benennt sich nach einem Verhörer. Nick Caves Song heißt „City Girls“, doch die Sea Girls, die diesen Song sehr mögen, hören immer „Sea Girls“. Der Name bleibt. Und die Sea Girls liefern. Mehrere EPs haben sie veröffentlicht, das Muster bleibt das gleiche. Wie in der Single „All I Want To Hear You Say“ hört man Power-Pop mit Wucht-Chorus. So klingt am Ende eben doch nur Pop von der Insel.
Klingt nach: Embrace
Punkte: 2,5/5
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Stella Donelly - Beware Of The Dogs
Feminismus in Folk: Die Australierin Stella Donnelly singt in ihren Liedern von Gewalt gegen Frauen und wie man sich dagegen wehren kann. Es sind bittersüße Folksongs, die man auf ihrem Album “Beware Of The Dogs” hört, sie sind bar jeder musikalischen Aggression. Donnellys Stilmittel ist die süße Rache. Die Songs zünden allesamt, sie haben Ohrwurmqualität. So bleibt die Botschaft hängen.
Klingt nach: Laura Marling, Joni Mitchell
Punkte: 5/5
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The Districts - Popular Manipulations
Rockmusik ohne Haken und doppelten Boden schreibt die amerikanische Band The Districts. Mit „Popular Manipulations“ liegt ihre dritte Platte vor. Hier werden noch einmal euphorisch die 2000er Jahre abgefeiert. Bisweilen meint man die Editors oder Killers zu hören. Diese Kumpelsband aus Pennsylvania versteht sich aber keinesfalls als Kopie oder Retrophänomen. The Districts zeigen, wie man eine Sache, die man einmal begonnen hat, auch mit Würde zu Ende bringt. Souverän, aber niemals glänzend.
Klingt nach: The Killers
Punkte: 3/5
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Thirsty Eyes - Touch The Weather (Single)
Soll man zu dieser Musik in der Sonne surfen oder in die dunkle Gruft legen? Der Sound der österreichischen Band Thirsty Eyes changiert zwischen schwarzem Bluesrock und fluffigem Surfpop. Man kann sich diese Musik als Soundtrack für einen schrulligen Spaghettiwestern verstellen. Bei „Touch The Weather“ sägen die Gitarren, die Stimme wurde mit Kreide geölt.
Klingt nach: Tito & Tarantula
Punkte: 3/5
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