Emmerich Große Fußstapfen

Emmerich · Joris Derks hat die Werkstatt von Josef Eijkholt in Kranenburg übernommen. Der 24-Jährige will sein Handwerk des Schuhmachers wieder populär machen und arbeitet dafür mit Geräten, die fast dreimal so alt sind wie er.

Emmerich: Große Fußstapfen
Foto: Markus van Offern

Jeden Samstag dreht Joris Derks am Rad. In der Regel irgendwann zwischen neun und 16 Uhr. Denn seine Säulen-Nähmaschine aus den 60er Jahren funktioniert ohne Strom, er muss sie noch mit der Hand ankurbeln. Derks zieht einen Reitstiefel über die Halterung. Die Naht des braunen Leders ist aufgerissen. Nun drückt der Schuhmacher den Fußballen gegen das Trittbrett am Boden und die Nadel beginnt wie ein überdimensionaler Stachel in das Leder zu stechen.

Die kleine Werkstatt an der Großen Straße gehört dem 24-Jährigen erst seit einigen Wochen. Er hat sie Josef Eijkholt, der das Geschäft 51 Jahre lang geführt hat, abgekauft. Nun führt Derks seine eigenen zwei Räume und repariert dort alles am Schuh - vom abgebrochenen Absatz bis zur kaputten Sohle. Bisher allerdings nur samstags, da er unter der Woche Vollzeit bei Mönks und Scheer als Orthopädie-Schuhmacher medizinische Maßschuhe fertigt. "Auf dem Stüppkesmarkt war ich auf der Suche nach einem Schuster mit steinalten Maschinen", sagt Derks. "Dass ich allerdings so ein Schätzchen finde, hätte ich nicht gedacht."

Nur im Lichtstrahl, den das kleine Fenster durchlässt, sieht man die feinen Schleifstaub-Körner durch die Luft gleiten. Der Geruch von altem Klebstoff hat sich in der Tapete und im Dielenboden eingenistet. Von einem Porträt an der Wand grüßt ein Nürnberger Dichter mit den Worten "Ich Hans Sachs - Schuhmacher und Poet dazu".

Mit Versen hat der 1,90 Meter große Mann mit grüner Schürze nichts zu tun. Aber damit die Ferse nicht drückt, macht er jeden Schuh passend. Marlene Ahnz reicht Derks ihre roten Turnschuhe. "Der Rechte sitzt jetzt perfekt, aber der Linke drückt immer noch", sagt die Kundin. Ein klarer Fall für die Weiterungs-Maschine. Derks stülpt den Schuh über eine Stahlform. Dann wird wieder gedreht, bis sich das Leder knautschend nach außen dehnt. Mindestens 24 Stunden muss der Schuh in dieser Position verharren. Fünf Euro kostet das.

Wenn man Joris Derks fragt, warum er mit 24 Jahren als Schuhmacher arbeitet und sich eine über 50 Jahre alte Werkstatt in Kranenburg gekauft hat, muss er schmunzeln. "Ich will das alte Handwerk wieder an die Leute bringen", sagt der gebürtige Kellener. "Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, das gilt auch für Schuhe." Und irgendwie hat er das Handwerkliche ja auch im Blut: Immerhin ist er mit dem Urbäcker aus dem Kleverland, Matthias Derks, verwandt.

Von der Wand im hinteren Zimmer ist kein Zentimeter mehr zu sehen. Schwere Arbeitsutensilien wie die Schusterausputzmaschine aus dem Jahr 1964 verdecken die Sicht. Der Rest ist mit Bildern verklebt. In der rechten Ecke hängt ein Mannschaftsfoto von Tottenham Hotspur aus der Saison 1984/85.

"Ich habe in diesen Räumen viel erlebt und mein Herzblut reingesteckt", sagt der 86-jährige Vorbesitzer Josef Eijkholt. "Aber ich bin erleichtert, dass ich jemanden gefunden habe, der es in meinem Sinne weiterführt." Ein Stück von ihm wird auch weiterhin im Laden bleiben: Eijkholts Gesellenschuhe aus dem Jahr 1946 hat Derks direkt hinter der Verkaufstheke platziert.

Von sich selbst sagt Derks, er sei kein Schuh-Fetischist. Nur zehn Paar stehen in seinem Schrank zuhause, mehr als 100 Euro würde er niemals für ein Paar ausgeben. "Ich kaufe nicht gerne Schuhe", sagt er. Doch wenn der Schuhmacher einmal Schuhe kauft, mustert er sie ganz genau. "Ich verbiege die Schuhe, und prüfe die Verklebungen." So mancher Verkäufer habe bei ihm schon die Augenbrauen hochgezogen.

Deswegen möchte der 24-Jährige nicht nur Schuhe reparieren, sondern auch eigene in seiner Werkstatt herstellen. "Jetzt gerade macht mir die Arbeit hier tierisch viel Spaß", sagt er. "Aber ich werde es wohl nicht ein Leben lang machen." Schließlich möchte er auch irgendwann mal wieder ein ganzes Wochenende für sich haben und nicht jeden Samstag am Rad drehen.

(laha)
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