Weeze/Haldern „Wollte nicht auf Hilfe angewiesen sein“

Weeze/haldern · Wie ist es, wenn jemand ständig von anderen abhängig ist? Kann man seinen Beruf trotz Behinderungen ausüben? Die Ausstellung „Talente“ im Weezer Rathaus  zeigt positive Beispiele wie Eva Kersting-Rader aus Haldern.

 Die Haldernerin Eva Kersting-Rader (Mitte) auf einem Foto, das auch in der Ausstellung in Weeze gezeigt wird.

Die Haldernerin Eva Kersting-Rader (Mitte) auf einem Foto, das auch in der Ausstellung in Weeze gezeigt wird.

Foto: axel breuer/Axel breuer

Körperliche Einschränkungen erschweren die Arbeit, doch wer sind die Personen, die mit ihnen zu kämpfen haben? Um verschiedene Frauen mit Behinderungen in den Fokus zu rücken, die erfolgreich sind und sogar noch ganz besondere Qualitäten in ihren Beruf miteinbringen, wurde die Ausstellung „Talente“ im Rathaus Weeze eröffnet.

Dabei wäre statt des Wortes „Ausstellung“ der Begriff „Begegnung“ passender, denn am Samstag hatten die Besucher die Chance, direkt mit Eva Kersting-Rader zu interagieren und Fragen zu stellen. Sie ist die Leiterin der Trauer-Werkstatt und des Bestattungshauses Kersting-Rader in Haldern — und sie ist sehbehindert.

Doch das war nicht immer so. Sie kam nicht blind zur Welt. Ein Autounfall 1994 raubt ihr nach und nach das Augenlicht. 2004 machte sie ihre Küchenmeisterprüfung „und ich bin zwei Mal erfolgreich durchgefallen“, erinnert sie sich heute daran mit einem Lächeln. „Ich wusste damals noch nicht, dass es so etwas wie Assistenzkräfte gibt.“ Sie lernte nämlich jedes Detail auswendig: Die Position der Gegenstände, die Abmessungen der Küche, einfach alles. Aber warum?

„Ich hatte unglaubliche Angst aufzufallen. Ich wollte nicht auf Hilfe angewiesen sein. Nur meine engsten Familienangehörigen wussten davon.“

Sie heiratete noch einmal und merkte etwa 2005, dass bei ihrem Mann Friedrich keinerlei Trauerverarbeitung nach dem Tod seiner letzten Frau stattfand. Wie so oft, handelte Eva Kersting-Rader und machte Ausbildungen zur Bestatterin und Trauerbegleiterin, um sich darüber eine neue Berufswelt zu eröffnen.

„Das hat mir dann auch geholfen, eigene Sachen zu verarbeiten“, verriet sie. Über die Jahre merkte sie auch, dass sie mit dem weiteren Wegfall ihres Augenlichts mehr über die Emotionen der einzelnen der Leute erfuhr. „Das hilft mir natürlich in meinem Beruf“.

Dennoch hatte sie ihre Behinderung kaum öffentlich gezeigt. Erst wegen des Fotoshootings mit dem Reeser Fotografen Axel Breuer für die „Talente“-Ausstellung des Kompetenzzentrums Frau und Beruf Niederrhein ging sie vor anderthalb Jahren mit Blindenbutton und Stock auf den Friedhof. „Dann auch noch ausgerechnet am Gründonnerstag, wo natürlich alle sich um die Gräber kümmern.“ Doch es gab größtenteils positive Reaktionen von anderen Menschen.

Ihr größtes Problem: „Ich bin ja immer in Begleitung, ich bin nie alleine. Meine Assistenzkräfte kennen die Nummern von meinen Konten, und mein Mann ist immer mit dabei, das ist manchmal für die Ehe nicht leicht.“

In letzter Zeit kombiniert Eva Kersting-Rader ihre Trauerbegleitung mit ihrem Können als Küchenmeisterin. Sie achtet darauf, dass bei Beerdigungen Gerichte zubereitet werden, die von den Trauernden mit der verstorbenen Personen verbunden werden und sie arbeitet gerade an einem Buch, das Rezepte und Erinnerungen an geliebte Menschen miteinander verbindet. Wer dabei helfen möchte, kann sich gerne melden, denn es wird noch nach Material gesucht.

Sie hat bei der „Talente“-Aktion teilgenommen, „weil ich zeigen will, dass Menschen wie ich einfach arbeiten wollen. Meist sind Behinderte sogar viel kreativer, da sie auch mit ihrem Handicap viel kreativer umgehen müssen und so Qualitäten einbringen können, die andere vielleicht nicht haben.“

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