Politik Gemeinsamer Blick in die Geschichte

Rees · Auf Einladung des Reeser Geschichtsvereins kamen viele Gäste ins Bürgerhaus, um nochmal über den Schnellen Brüter zu sprechen.

   Nach dem Vortrag im Bürgerhaus trafen sich (von links) Stef Beumer, Willibald Kunisch, Thomas Velten, Bauer Josef Maas’ Kinder Günter Maas und Ursula van Dick, der RESSA-Vorsitzende Heinz Wellmann und Helmut Wesser zum Gruppenfoto. 

Nach dem Vortrag im Bürgerhaus trafen sich (von links) Stef Beumer, Willibald Kunisch, Thomas Velten, Bauer Josef Maas’ Kinder Günter Maas und Ursula van Dick, der RESSA-Vorsitzende Heinz Wellmann und Helmut Wesser zum Gruppenfoto. 

Foto: scholten

Viele Besucher aus Kalkar waren ins Bürgerhaus gekommen. Auch die Witwe und zwei Kinder des verstorbenen „Helden von Kalkar“, Bauer Josef Maas, gehörten zu den 125 Zuhörern. Sie alle lauschten dem Gastvortrag des Klever Oberstudienrates Thomas Velten, der auf Einladung des Reeser Geschichtsvereins RESSA über den nie ans Netz gegangenen „Schnellen Brüter“ in Kalkar referierte.

Gleich zu Beginn verdeutlichte ein Luftbild, dass es sich durchaus um ein „Reeser Thema“ handelte, weil das geplante Atomkraftwerk am Rheinufer von Hönnepel nur wenige Kilometer vom Reeser Stadtkern entfernt gearbeitet hätte. Velten wog die Argumente der Befürworter und Gegner ab: Auf der einen Seite standen der „Energiehunger der Menschheit“ und die angebliche „Verdoppelung des Energieverbrauchs im Zehn-Jahres-Takt“, auf der anderen Seite stand die Sorge vor einem GAU.

Einstige Weggefährten trafen sich in Rees zum Gespräch über den Schnellen Brüter
Foto: scholten

Ausschnitte aus der Rheinischen Post dokumentierten, dass Rees und Wesel bereits 1971 Einspruch erhoben. Die Beschwerde aus Emmerich folgte 1972. Thomas Velten, der die Archive der Bürgerinitiative „Stop Kalkar“ und des 2008 verstorbenen Bauern Maas verwaltet, zeigte ein Foto des ersten Protestschildes. Darauf sprachen sich die Pächter der in Kirchenbesitz befindlichen Felder gegen den Verkauf aus. Das Bistum Münster setzte den Kalkarer Kirchenvorstand ab, der gegen einen Verkauf war, und ersetzte ihn durch einen Vorstand, der dem RWE-Konzern wohlgesonnen war. Nur Bauer Maas verkaufte nicht und kämpfte über Jahre. Velten zeigte Quittungen über Spenden des Rheinberger Likörfabrikanten Emil Underberg und des späteren Bischofs Reinhard Lettmann, die Bauer Maas’ Rechtsstreit unterstützen.

Als der deutsche Widerstand nicht mehr als Unterschriftenaktionen hervorbrachte, waren die Niederländer einen Schritt weiter: 10.000 von ihnen radelten 1974 nach Kalkar und gaben den Niederrheinern Nachhilfe in Sachen zivilem Ungehorsam. Einen ersten Höhepunkt erlebte der Widerstand am 24. September 1977, als die Initiative „Stop Kalkar“ um Bruno Schmitz zur Großdemo aufrief. Ein bis dahin nicht gekanntes Polizeiaufgebot sorgte dafür, dass viele der 40.000 Demonstranten nur schwer nach Kalkar vordringen konnten.

Kalkar kam in den folgenden Jahren nicht mehr aus den Schlagzeilen. „Die Zahl der Atom-Gegner nahm kontinuierlich zu“, betonte Thomas Velten, der interne Unterlagen für das geplante „Stop Kalkar“-Fest im Juli 1982 zeigte.

Nachdem es 1984 zu einem Natriumbrand im fast einsatzbereiten Schnellen Brüter in Kalkar gekommen war, der laut Thomas Velten als „Dachpappenbrand“ verharmlost wurde, bewies der Reaktorunfall von Tschernobyl zwei Jahre später endgültig: „Ein Atomkraftwerk ist nicht sicher.“

Der Widerstand in der Bevölkerung nahm zu, 1987 sprach sich die NRW-Regierung gegen eine Inbetriebnahme des Schnellen Brüters aus, 1991 verkündete schließlich die Bundesregierung das endgültige Aus für Kalkar. Sieben Milliarden D-Mark waren sinnlos verbaut worden, ab 1995 machte der niederländische Unternehmer Henny van der Most aus dem rückgebauten Atomkraftwerk den Freizeitpark „Wunderland Kalkar“.

Im Anschluss an den Vortrag schilderten die Grünen-Politiker Willibald Kunisch (Kalkar) und Helmut Wesser (Rees) sowie der Niederländer Stef Beumer, wie die Teilnahme an den damaligen Demonstrationen ihre politische Gesinnung geschärft hat. Alle lobten die „Fridays for Future“-Schülerdemonstrationen, die vor zwei Wochen auch erstmals in Rees stattfanden. „Die jungen Leute hören heute dieselben Argumente wie wir vor 40 Jahren: Dass Kinder und Jugendliche angeblich keine Ahnung haben und die Sache lieber den Experten überlassen sollen“, sagte Helmut Wesser, der die Schüler aufforderte, „kritische Fragen“ zu stellen. Willibald Kunisch zeigte sich „begeistert, dass die Jungen den Alten den Spiegel vorhalten: Sie beziehen sich auf Untersuchungen, die seit 20 Jahren bekannt sind, die von den jetzigen Politikern aber nicht umgesetzt werden.“

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