Zeitzeugenbericht So überlebte er die Kämpfe

Emmerich · Ein Zeitzeugenbericht von Walter Günther über den Beginn der Operation Veritable am 8. Februar 1945. Der Emmericher erlebte die Kämpfe im Reichswald als Soldat und schildert, wie er sich der Übermacht der kanadischen Truppen stellte.

 kampf um den reichswald

kampf um den reichswald

Foto: reinders

Im nördlichsten Teil des Kreises Kleve beginnt am 8. Februar 1945 die „Operation Veritable“, der Angriff der Alliierten auf den linken Niederrhein. Ziel ist es, das Gebiet zwischen den Flüssen Maas und Rhein bis auf die Linie Wesel/ Venlo von deutschen Truppen freizukämpfen.

Im Raume Nimwegen und Groesbeek hat der britische Feldmarschall Montgomery dazu eine riesige Streitmacht versammelt. Die I. Kanadische Armee und das britische 30. Corps stehen bereit, um von Norden aus vorzustoßen. Sie sollen über Kleve, Goch und Xanten bis nach Wesel vorrücken, um dort die noch intakten Rheinbrücken in ihre Gewalt zu bringen.

 Oben: Alliierte Infanteristen rücken im Reichswald vor, Februar 1945.                                                      Rechts: Walter Günther kurz vor seiner Einberufung zur Wehrmacht, 19. April 1943.

Oben: Alliierte Infanteristen rücken im Reichswald vor, Februar 1945. Rechts: Walter Günther kurz vor seiner Einberufung zur Wehrmacht, 19. April 1943.

Foto: reinders

Doch zunächst muss der Reichswald westlich von Kleve eingenommen werden, ein etwa 10 km breiter und 15 km tiefer Wald, der von deutschen Truppen stark befestigt worden ist. Schützen- und Panzergräben, Stacheldraht und Mörsernester machen ihn zu einem gefährlichen Hindernis, das unbedingt ausgeschaltet werden muss. Hier liegen Verbände der 1. deutschen Fallschirmjägerarmee.

 Kanadische Artillerie feuert auf deutsche Stellungen im Reichswald, Februar 1945.

Kanadische Artillerie feuert auf deutsche Stellungen im Reichswald, Februar 1945.

Foto: reinders

Mit dabei ist Walter Günther, ein 19-jähriger Soldat, Angehöriger des 20. Fallschirmjägerregiments. Seine Einheit bezieht eine Auffangstellung am Südrand des Reichswaldes nordostwärts von Gennep zwischen Grunewald und Zelderheide. Walter Günther ist heute 94 Jahre alt.

Hier seine Schilderung:

Ich glaube am 7. Februar hieß es, Stellung beziehen. Es wird erwartet, sagte man uns, dass die Alliierten eine Offensive beginnen. Und dann sind wir in den Reichswald hinein. Dort fanden wir erstaunlicherweise schon fertige Bunker beziehungsweise Unterstände vor. Die stammten wahrscheinlich noch aus der Zeit der Luftlandeoperation „Market Garden“ im September 44. Hier konnten wir uns erst mal einnisten. Und am nächsten Tag, am 8. Februar, mussten wir früh morgens raus und Stellung in den weiter vorne liegenden Gräben beziehen. Der Boden in den Gräben war noch schlammig. Wir stapften mühsam vorwärts. Auf einmal machte es ‚klatsch‘. Da fiel der Mann, der vor mir ging, einfach um. Offensichtlich war er von einem Scharfschützen getroffen worden. Er war sofort tot. Das hat unsere kleine Gruppe natürlich sehr belastet. Wir haben uns dann noch mehr geduckt, um nicht über die Graben-Deckung zu ragen. Und dann haben wir abgewartet, auf das, was kam. Ja, und es kam erst mal ein furchtbares Trommelfeuer. Ich muss dazu sagen, dass wir damals schon ziemlich demoralisiert waren. Denn wir hatten praktisch nur Misserfolge erlebt, zuletzt im Elsaß. Dort sollten wir gegen die vorrückenden Amerikaner kämpfen. Ja, furchtbar. Meine Kameraden sind dort wie die Fliegen gefallen. Wir waren zunächst eine Kompanie von 105 Leuten und sind Ende Januar mit 10 Mann herausgekommen. Und ich war unverletzt. Erst am Niederrhein wurde uns eine Anzahl junger Unteroffiziersschüler zugeteilt, so dass unsere Einheit nun aus etwa 50 bis 60 Mann bestand.

Aber im Reichswald waren wir weit auseinander gezogen, standen dort in kleinen Gruppen. Und wir haben in diesen Tagen auch immer gehofft, noch Verstärkung zu bekommen, also beispielsweise Panzer oder dergleichen. Aber die kam nicht. Wir waren also auf das angewiesen, was wir selbst hatten, und das war nicht viel. Wir hatten ein paar Panzerfäuste, jeder einen Karabiner und zwei Maschinengewehre. Und damit sollten wir gegen die Alliierten kämpfen.

Unsere Gräben lagen vor einer Waldlichtung. Davor war freies Feld. Und die Unterstände lagen ein Stück zurück im Wald, aber nicht weit weg, vielleicht 100 Meter oder noch weniger. Die Nacht vom 8. auf den 9. Februar haben wir dann wechselweise vorn im Graben verbracht.

Am nächsten Morgen, am 9. Februar, da ging‘s los. Da hörte man zuerst die Panzer röhren, man sah sie noch nicht, es war ja noch dunkel zunächst. Und dann kamen sie heran. (Walter Günther demonstriert am Wohnzimmertisch das Zittern mit den Händen.) Ja natürlich haben wir gezittert, das kann ich Ihnen wohl sagen. Denn es war ja nicht so, dass wir noch ein funktionierender Haufen waren. Also es war hell, etwa 10 Uhr morgens, vielleicht auch etwas früher. Die Panzer fuhren durch die Waldschneisen neben uns und feuerten. Und Infanteristen kamen kamen in der Deckung der Panzer heran.

Und ich kann Ihnen sagen, da hab ich Todesangst gehabt. Man denkt: Was machst du jetzt? Und dann kriegt man einen derartigen Adrenalin-Stoß, dass man gar nicht mehr weiß, was man tut. Ich hatte auch kaum eine Chance, mich abzusetzen, denn ich musste ja erst mal aus dem Graben heraus. Ich glaube, ich hab kein Feuer mehr eröffnet. Nein, unser Maschinengewehr, ja, das hat noch geschossen. Und die Panzerfaust konnten wir nicht einsetzen, weil die Panzer ja links und rechts von uns durch die Waldschneisen fuhren. Ich meine, dass etliche sich davon gemacht haben. Und einige Kameraden links und rechts von mir sind auch gefallen. Irgendwann blieben die Panzer stehen, und die Infanteristen kamen weiter in Schützenreihe vor. 30, 40 Meter waren die jetzt nur noch entfernt. Ja, was macht man nun? Schießen? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaub‘, ich hab irgendwann die Hände hoch gehoben.

Ja, die Hände hoch genommen – und bin aus dem Graben heraus. Und da kam ein ganz junger kanadischer Soldat auf mich zu, ganz böse guckend, und der hat mich abgetastet. Hat mir die Uhr weggenommen und den Federfüllhalter. Und ich konnte nur sagen: Why do you take that? - Shut up!, bekam ich zur Antwort. Da hab ich meinen Mund gehalten. Kurze Zeit später hat man mich und einige Kameraden in einen Graben geführt. Denn wir trugen unter unseren Uniformen englische Kraftfahrer-Westen. Die hatten wir im Januar von der Kleiderkammer als zusätzlichen Wärmeschutz bekommen. Die müssen noch als Beutegut von den Kämpfen bei Dünkirchen 1940 übrig gewesen sein.

Wir mussten die Westen ausziehen. Und dann hoben die Kanadier ihre Gewehre. Da dachte man, jetzt ist es aus. Nein, - sie haben nicht geschossen. Es kam wohl ein polnischer Offizier, der auf seiner Brust den Schriftzug ‚Poland‘ stehen hatte, und von ihm hab ich mit seinem Stock eins ins Kreuz gekriegt. Aber das war dann alles. Ja, das war wohl die schwärzeste Stunde meines Lebens.“

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