Emmerich Ein mysteriöser Tod im Rhein

Emmerich · Die Leiche der Französin Geneviève Lantelme (23), Schauspielerin und Stilikone, wurde am 26. Juli 1911 in Obermörmter an Land angespült. Schriftstellerin Aurore Mosnier begibt sich von Dienstag an im Xantener Stadtarchiv auf Spurensuche.

 In Obermörmter wurde die Leiche der französischen Schauspielerin Geneviève Lantelme am 26. Juli 1911 angespült. Nun will sich eine Schriftstellerin in Xanten auf die Spuren der Toten begeben.

In Obermörmter wurde die Leiche der französischen Schauspielerin Geneviève Lantelme am 26. Juli 1911 angespült. Nun will sich eine Schriftstellerin in Xanten auf die Spuren der Toten begeben.

Foto: OO

Die Staatsanwaltschaft in Kleve hatte keinen Zweifel: Geneviève Lantelme, deren Leiche am 26. Juli 1911 nachmittags um 16 Uhr in Obermörmter im Rhein angespült wurde, ist durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen. Das glaubt Aurore Mosnier allerdings nicht: Die Schriftstellerin aus Frankreich stellte Anfang November 2015 eine kleine Anfrage ans Xantener Stadtarchiv, in der sie um Auskunft über den Tod der damals gerade einmal 23 Jahre alten Geneviève Lantelme bat. Eine Frau, die am 20. Mai 1888 als Mathilde Fossey in Paris geboren wurde und nach der Scheidung der Eltern (sie war zu dem Zeitpunkt zwölf Jahre alt) beim Vater aufwuchs. Eine Frau, die mit 18 ihre Schauspielkarriere begann, sich den Künstlernamen Geneviève Lantelme zulegte, als Stilikone, Schauspielerin und Kurtisane galt und von den Franzosen als eine der schönsten Frauen der "Belle Époque" verehrt wurde.

 Bild vom Geneviève Lantelme im Jahrbuch des Kreises Wesel 2018.

Bild vom Geneviève Lantelme im Jahrbuch des Kreises Wesel 2018.

Foto: Repro

Am Dienstag, 19. Juni, kommt Aurore Mosnier nach Xanten, wird am Bahnhof von Michael Lehmann und Valerie Petit abgeholt, die den viertägigen Besuch der französischen Schriftstellerin als Dolmetscherin begleiten wird. Petit, die eine Sprachschule für Französisch an der Marsstraße hat, will dem Gast erst die Stadt zeigen. Dann möchte Aurore Mosnier zum Fundort und im Stadtarchiv nach Dokumenten, nach Belegen für den Tod von Geneviève Lantelme suchen. Denn die Franzosen hatten den Fall damals anders bewertet als die Deutschen, von einem gewaltsamen Tod gesprochen.

Michael Lehmann, Heimatschriftsteller, Verwaltungsangestellter beim Dienstleistungsbetrieb Xanten (DBX) und historisch sehr bewandert, hat in die Quellen zum "Unglück am Rhein" von 1911 geblickt und seine Erkenntnisse im Jahrbuch des Kreises Wesel 2018 veröffentlicht. Am 5. Juli 1909 wurde Geneviève Lantelme Ehefrau Nummer fünf des 27 Jahre älteren Alfred Edwards, ein erfolgreicher Journalist aus Konstantinopel (dem heutigen Istanbul), der in Paris die Tageszeitung "Le Matin" gegründet hatte. 1911 waren die Eheleute mit Freunden auf Edwards Yacht, der "L'Aimee" auf einer Schiffsreise, die auch über den Rhein führte.

Damals war Theodor Jordans Bürgermeister der Gemeinde Marienbaum. Am 25. Juli gaben vier Männer bei ihm eine Vermisstenanzeige auf: Geneviève Lantelme sei auf dem Rhein bei Vynen von einem Vergnügungsdampfer über Bord gefallen. Einer der Männer war der Pariser Komponist Charles Cuvillier. Er habe in der Nachbarkabine geschlafen, als er plötzlich einen Hilfeschrei gehört habe, gab er zu Protokoll. Die Kabinentür sei verschlossen gewesen. Er habe sie gewaltsam geöffnet, das Fenster offen stehen gefunden und annehmen müssen, "dass Madame Edwards in den Rhein gefallen ist".

Am Nachmittag des 26. Juli 1911 wurde die Leiche von Geneviéve Lantelme wenige Kilometer rheinabwärts von Marienbaum geborgen. Der Xantener Arzt Dr. Spiegelhoff untersuchte die Tote und stellte "typische Zeichen des Ertrinkungstodes namentlich der Lunge" fest. Anzeichen eines gewaltsamen Todes verneinte er. Die Staatsanwaltschaft Cleve gab den Leichnam einen Tag später zur Bestattung frei; die sterblichen Überreste wurden nach Emmerich gebracht und anschließend mit dem Zug nach Paris überführt. Alfred Edwards verkaufte nach dem Tod seiner Frau die Yacht. Knapp drei Jahre später starb er im Alter von 58 Jahren nach einer starken Grippe.

Lehmann ist überzeugt, dass Aurore Mosnier ihre Erkenntnisse, die sie im Xantener Stadtarchiv gewinnt, in einem Bericht niederschreiben wird. Aber: "So tragisch der Tod der schönen, jungen Lantelme auch war, es lässt sich anhand der vorliegenden Quellen und Ermittlungsakten wohl ausschließen, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelte", so Lehmann.

(RP)
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