Rees Diktatur-Opfer berichten Schülern

Rees · Der Geschichtskurs des Gymnasiums Aspel beschäftigt sich mit den Opfern des SED-Regimes. Gestern gab es Besuch aus Berlin und Informationen aus erster Hand.

 Alexander Latotzky und Ulrike Pankrath (Mitte) referierten vor Schülern des Gymnasiums Aspel. Deren Lehrerin Maneja Yazdani (2. v. r.) wird nächstes Jahr mit dem Geschichtskurs zur Gedenkstätte Bautzen reisen.

Alexander Latotzky und Ulrike Pankrath (Mitte) referierten vor Schülern des Gymnasiums Aspel. Deren Lehrerin Maneja Yazdani (2. v. r.) wird nächstes Jahr mit dem Geschichtskurs zur Gedenkstätte Bautzen reisen.

Foto: Michael Scholten

Der Name der sächsischen Kleinstadt Bautzen steht für politische Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR. Die Gedenkstätte im ehemaligen "Stasi-Knast" Bautzen II wird Ende Januar 2017 das Reiseziel von 26 Reeser Schülern sein. Denn der Geschichtskurs des Gymnasiums Aspel will mit ehemaligen politischen Gefangenen und deren Angehörigen reden. Bereits jetzt besuchten Ulrike Pankrath und Alexander Latotzky das Reeser Gymnasium. Im Pädagogischen Zentrum erzählten sie aus ihren sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten, die beide durch die Verbrechen einer kommunistischen Gewaltherrschaft geprägt wurden.

Ulrike Pankraths Vater wurde 1947 wegen angeblicher Spionage verhaftet. Der gelernte Rechtsanwalt wurde zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt, die später in zwölf Jahre Arbeitslager umgewandelt wurde. "1954 war er nicht mehr arbeitsfähig, zwei Jahre später schrieb er meiner Mutter aus dem Krankenhaus in Leipzig, sie solle ihn aufgeben und ein neues Leben beginnen, weil er es nicht mehr schaffe", berichtete Ulrike Pankrath.

Doch die Mutter kämpfte, schrieb Briefe an viele Behörden und Politiker und zog mit den Kindern in den Westen, um von dort aus weitere Anträge zu stellen. Mit Erfolg: "Am 21. Dezember 1956 wurde mein Vater entlassen, das Telegramm hing bei uns am Weihnachtsbaum."

Der Vater fasste beruflich wieder Fuß und wurde erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion offiziell rehabilitiert. "Es ist wichtig, die Rehabilitierung zu beantragen", sagte Alexander Latotzky. "Sie bringt den Opfern zwar keinen finanziellen Vorteil, aber die zwingt diejenigen, die damals verantwortlich waren, zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben."

Alexander Latotzky kam im Gefangenenlager Sachsenhausen zur Welt. Seine Mutter war als vermeintliche Spionin inhaftiert worden, nachdem sie zwei russische Soldaten angezeigt hatte, die ihre Mutter vergewaltigt und umgebracht hatten. Latotzky wuchs im Lager und in wechselnden Heimen auf. "Ich lernte mich durchzuprügeln, um in der Hackordnung nicht unterzugehen", sagte er den Reeser Schülern. Nach vielen Jahren Haft wurde die Mutter entlassen, aber nur unter der Bedingung, dass sie als Stasi-Spionin in West-Berlin arbeitete. Ihr Sohn wurde derweil als Druckmittel in der DDR behalten. Erst 1957, mit neun Jahren, durfte er wieder bei seiner Mutter leben. Sie wurde nur 40 Jahre alt. Jahrzehnte später fand Latotzky heraus, dass sein Vater noch lebte. Er war nicht zum Tode verurteilt worden, wie die Mutter ihm erzählt hatte, sondern lebte in Russland, wo er 2004 starb.

"Das sind nur zwei Geschichten von Millionen", betonten die beiden Gäste. "Aber sie müssen erzählt werden, damit deutlich wird, was eine Diktatur im Leben eines Einzelnen anrichtet." In der DDR seien die Opfer stets gezwungen worden, nicht über ihre Inhaftierungen zu sprechen. "Unrecht zu erleiden, ist schon schwer, aber nicht darüber reden zu dürfen, ist noch schlimmer", so Alexander Latotzky.

Die Gäste aus Berlin stellten sich auf der Bühne den Fragen von Nele Funke und Thomas Rösen sowie den Fragen der Schüler im Plenum. Maximilian Bucksteeg und Kevin Reutke hielten alles mit der Kamera fest. Sie werden auch die Reise nach Bautzen filmen, die von den Geschichtslehrerinnen Maneja Yazdani und Anja Brolle begleitet wird.

(RP)
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