Emmerich/Goch/Kranenburg/Kleve Infizierte Leiharbeiter: Lockerung in Gefahr?

Emmerich/Goch/Kranenburg/Kleve · Offiziell sind in Emmerich vier Leiharbeiter erkrankt. Doch die Dunkelziffer auf den Schlachthöfen dürfte viel höher sein. Besonders weil die Menschen, die im Kreis Kleve leben, auf den Schlachthöfen in Holland arbeiten. Und da wird nicht getestet.

 Blick in einen Schlachthof. Die osteuropäischen Leiharbeiter arbeiten in solchen Betrieben in den Niederlanden und wohnen im Kreis Kleve. 

Blick in einen Schlachthof. Die osteuropäischen Leiharbeiter arbeiten in solchen Betrieben in den Niederlanden und wohnen im Kreis Kleve. 

Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

3600 Menschen aus Osteuropa leben in Emmerich. Viele von ihnen, besonders die Männer, sind Leiharbeiter. Und sie arbeiten sehr oft in Schlachthöfen in den Niederlanden. Genaue Zahlen gibt es im Emmericher Rathaus nicht. Ebenso wenig wie in Kleve, Kranenburg oder Goch, wo ebenfalls viele Leiharbeiter leben, die in den Niederlanden arbeiten.

Deshalb schrillen die Alarmglocken, wenn Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze einen Brief an NRW-Minister Laumann schickt. Übrigens auch im Namen von Kleve, Goch und Kranenburg. Wir berichteten am Dienstag.

Der Hintergrund: Das Land Nordrhein-Westfalen will nun 20.000 Mitarbeiter in den Schlachthöfen in NRW testen, weil sich herausgestellt hat, dass viele von ihnen an Covid-19 erkrankt sind. Der Kreis Kleve teilte auf Anfrage unserer Redaktion mit, dass man Coronatests in zwei Schlachtbetrieben des Kreises veranlasst habe. Ergbnisse der Untersuchungen würden noch nicht vorliegen, so Sprecherin Ruth Keuken.

 Peter Hinze.

Peter Hinze.

Foto: Stadt Emmerich/Markus van Offern

Das Problem der grenznahen Städte im Kreis Kleve: Die Kontrollen sind gut, doch sie helfen nicht, wenn die Leiharbeiter in den Niederlanden beschäftigt sind. Dort kann NRW nicht testen lassen.

Oder besser gesagt: Noch nicht?

Vielleicht gibt es ja auch eine Amtshilfe der Niederlande. Es gibt darauf aber noch keine Antwort aus Düsseldorf. Notwendig wird einer der beiden Schritte wohl sein, denn nach der derzeitigen Rechtslage kann das Gesundheitsamt nicht in eine der Massenunterkünfte gehen, in denen die Leiharbeiter leben, und dort kontrollieren.

Deshalb lässt sich nicht einmal mehr erahnen, wie hoch die Zahl der infizierten Leiharbeiter zum Beispiel in Emmerich ist. Offiziell sind es vier, wie Stadtsprecher Tim Terhorst am Dienstag sagte. Und sie sind in Quarantäne geschickt worden. Ebenso ihre Kontaktpersonen. Sie leben „teilweise“ in Massenunterkünften, so Terhorst.

Die Erkrankung bei Leiharbeitern wird den Behörden bekannt, wenn die Menschen zum Arzt gehen und dieser sie feststellt.

Was aber, wenn die Arbeiter nicht zum Arzt gehen, weil sie von heute auf morgen von den Leiharbeiterfirmen aus den Niederlanden auf die Straße gesetzt werden können?

Am Wochenende wurde bekannt, dass in einem Schlachthof in Coesfeld von den 300 getesteten Arbeitern mehr als 50 Prozent positiv getestet worden sind. Deutschlands größter Fleischverarbeiter, die Firma Tönnies, erklärt, man habe in der Krise auf Bitten der Politik ähnlich wie Krankenhäuser und Pflegeheime weitergearbeitet, um die Lebensmittelversorgung sicherzustellen.

 In dem Brief von Bürgermeister Hinze an den Minister steht, dass in Emmerich nichts bekannt ist über die Infektionsschutzmaßnahmen in den niederländischen Schlachthöfen. Auflagen hat die Stadt Emmerich für den Transport der Leiharbeiter in Kleinbussen erteilt, schreibt Hinze. Und für das Verhalten in der Öffentlichkeit und in den Unterkünften. Doch Kontrollen gebe es aufgrund der Vielzahl der Leiharbeiter kaum. Und die Leiharbeiterfirmen kooperieren mit der Stadtverwaltung nur mangelhaft.

Das Problem ist groß. Nicht nur für die vier Leiharbeiter-Städte im Kreis Kleve, sondern für alle Menschen im Kreis Kleve.

Man stelle sich vor, dass von den 3600 Menschen in Emmerich zehn Prozent oder mehr tatsächlich an Covid-19 erkrankt wären. Und weitere zehn Prozent oder mehr der Leiharbeiter in den anderen Städten. Plus mögliche Fälle unter den Beschäftigten der Fleischindustrie innerhalb des Kreises Kleve, die definitiv bald getestet werden. Ihre Zahl ist ebenfalls hoch. Zuletzt im März meldete sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Nordrhein zu Wort und teilte mit, dass im Kreis Kleve nach Angaben der Arbeitsagentur rund 1330 Menschen in der Schlachtung und Fleischverarbeitung beschäftigt seien.

Müssten die Corona-Lockerungen dann im Kreis Kleve wieder rückgängig gemacht werden, weil die Zahl der neu Infizierten innerhalb von sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) nach oben schnellt?

In Emmerich gibt es 40 Sammelunterkünfte für Leiharbeiter. In Goch sind es 24. Das Risiko, dass ein Infizierter seine Mitbewohner ansteckt, ist groß. „Während überall Abstandsregeln und Kontaktsperren gelten, wohnen in den Gemeinschaftsunterkünften oft bis zu sechs Osteuropäer in einer 60-Quadratmeter-Wohnung. Dafür ziehen die Subunternehmer dann aber jedem Einzelnen auch noch 250 Euro vom ohnehin kargen Lohn ab“, berichtet die Gewerkschaft NGG. Vor allem die Gesundheitsämter müssten die Unterkünfte von Beschäftigten wesentlich intensiver ins Visier nehmen. Hier brüte überall im Land eine enorme Corona-Gefahr, so die NGG.

 Vor wenigen Monaten hat sich Emmerich im Kampf um die Machenschaften der Leiharbeiterfirmen Verstärkung geholt. Vertreter des Euregionalen Informations- und Expertisezentrums (EURIEC) trafen sich im Emmericher Rathaus mit Bürgermeister Peter Hinze. Das Behördennetzwerk ist zur Kriminalitätsbekämpfung im deutsch-niederländischen Grenzraum gegründet worden. Hinze hatte dessen Vertreter ins Rathaus eingeladen. Mit am Tisch saßen die Leiterin des Ordnungsamtes, Karin Schlitt, Vertreter der Euregio Rhein-Waal sowie Volker Beem, Leiter des Kriminalkommissariats Emmerich. „Die Vermutung liegt nahe, dass bei der Leiharbeit in einzelnen Fällen kriminelle Energie im Spiel ist. Dabei macht man sich die Grenzsituation zunutze. Dass in dem einen Land gewohnt und im anderen gearbeitet wird, erschwert uns und anderen Behörden die Ermittlungsarbeit“, so Hinze damals.

Während der Kreis Tests in den Schlachtbetrieben durchführt, soll es solche Untersuchungen bei den Erntehelfern nicht geben. Das sehe der aktuelle Erlass des Ministeriums nicht vor, so Ruth Keuken.

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