Rees Auskiesung: Hitzige Debatten im Bürgerhaus

Rees · WDR-Stadtgespräch: Mehr als 300 Teilnehmer kamen zur Diskussion mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Naturschutz.

Ludger Kazmierczak (WDR) fing Stimmen im vollbesetzten Bürgerhaus ein. Die Gegner der Reeser Welle hatten zahlreiche Protestplakate mitgebracht.

Ludger Kazmierczak (WDR) fing Stimmen im vollbesetzten Bürgerhaus ein. Die Gegner der Reeser Welle hatten zahlreiche Protestplakate mitgebracht.

Foto: Michael Scholten

Die 320 Stühle im Bürgerhaus waren schnell vergeben und von zwei großen Lagern besetzt: auf der einen Seite die Mitarbeiter der hiesigen Kiesindustrie, die in firmeneigenen Kleinbussen zum "WDR 5 Stadtgespräch" transportiert worden waren. Auf der anderen Seite die Abgrabungsgegner, die sich mit Transparenten und Schildern gegen die geplante Reeser Welle in Esserden und weitere Baggerseen positioniert hatten.

Als Gesprächspartner auf der Bühne (v.l.): Josef Tumbrinck (Naturschutzbund NRW), Christian Strunk (Hülskens Holding), Hans Hugo Papen (Regionalrat Düsseldorf) und der Hydrogeologe Manfred Dümmer.

Als Gesprächspartner auf der Bühne (v.l.): Josef Tumbrinck (Naturschutzbund NRW), Christian Strunk (Hülskens Holding), Hans Hugo Papen (Regionalrat Düsseldorf) und der Hydrogeologe Manfred Dümmer.

Foto: Scholten

Ludger Kazmierczak, Leiter des WDR-Hörfunkstudios in Kleve, hatte sich extra die bequemen Sportschuhe angezogen, um schnell zwischen beiden Lagern pendeln zu können und deren Stimmen und Stimmungen einzufangen.

Moderator Thomas Koch interviewte auf der Bühne die geladenen Experten: Josef Tumbrinck vom Naturschutzbund NRW, der sich gegen die Auskiesung der Reeser Welle auf einer Größe von 100 Fußballfeldern aussprach: "Damit geht wieder ein Stück Landwirtschaft, wieder ein Stück Natur, wieder ein Stück Heimat verloren".

Hydrogeologe Manfred Dümmer hielt eine Auskiesung in Rheinnähe, unmittelbar vor Esserden, für "nicht verantwortbar". Hans Hugo Papen, CDU-Fraktionsvorsitzender im Regionalrat Düsseldorf, befürwortete dagegen eine Auskiesung der Reeser Welle mit "geordneter Planung", da andernfalls Ersatzflächen gefunden werden müssten, um den Bedarf der Bauindustrie zu stillen. Der vierte Interviewpartner war Christian Strunk, Geschäftsführer der Hülskens Holding und Mitbegründer der Initiative "Zukunft Niederrhein" von 13 Kiesunternehmen. Er spaltete das Publikum in der 55-minütigen Livesendung am stärksten und erhielt von den Gegnern viele Buh-Rufe und Pfiffe. Unter anderem für seine These, der Niederrhein habe vor allem deshalb Naturschutzgebiete, weil die Kiesindustrie dort Wasserflächen geschaffen habe.

Naturschützer Josef Tumbrinck hielt dagegen, die Wildgänse bräuchten die Wiesen, um sich zu ernähren, und nicht die Baggerseen. Deshalb werde der NABU in Esserden "dieses Tafelsilber der Natur mit Zähnen und Klauen" verteidigen.

Christian Strunks Hinweis auf den wirtschaftlichen und touristischen Nutzen der Baggerseen, am Beispiel der Nord- und Südsee in der Stadt Xanten, deren Bürgermeister Strunk einst war, fiel in Rees nicht auf fruchtbaren Boden. Ratsmitglied Nadine Dierkes erinnerte an die gescheiterten "Bad Himmelblau"-Pläne am Reeser Meer und sah auch langfristig keine Option für die Reeser Bürger, einen Baggersee als Freibad nutzen zu können. "Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Auskiesung", betonte Dierkes. Christian Strunk wies darauf hin, dass durch die Reeser Welle "endlich mal ein stadtnaher" Baggersee für Rees geschaffen werde, der dann für Freizeit und Wohnen genutzt werden könne. Ein vorab aufgezeichneter Einspieler wies auf die wirtschaftliche Bedeutung der regionalen Kiesindustrie mit ihrem Umsatz von 75 Millionen Euro hin: 2000 Arbeitsplätze hingen direkt und 5000 weitere indirekt von diesem Industriezweig ab. Leo Rehm von der Initiative Eden ("Erhaltet den einzigartigen Niederrhein") hielt das für die "halbe Wahrheit": Pro ausgekiestem Hektar würden 24 direkte und indirekte Arbeitsplätze in der Landwirtschaft auch noch in 100 Jahren wegfallen, während eine Auskiesung nur Arbeit für 15 bis 20 Jahre garantiere und Baggerseen als "Landschaftsabfall, der keinem mehr nützt", hinterlasse.

Josef Tumbrinck vom NABU wertete "den ersten, zweiten, dritten und vierten Baggersee" durchaus als Bereicherung für den Naturschutz, aber nicht 30 oder 40. "Irgendwann muss Schluss sein, aber dieser Schluss ist nicht abzusehen. Wir brauchen nicht mehr Wasser, wir brauchen unsere niederrheinische Kulturlandschaft", sagte Tumbrinck. Er teilte die Meinung vieler Zuhörer aus dem EDEN- und "Zukunft Esserden"-Lager, dass die Bauwirtschaft verstärkt auf recyclete Baustoffe setzen solle und zuallererst der wachsende Export von Kies ins Ausland eingedämmt werden müsse.

Um die Frage, wie viel Kies ("als nationaler Rohstoff") jährlich ins Ausland exportiert werde, entbrannte eine lautstarke Diskussion im Bürgerhaus. Alle Studien, die von den Naturschützern vorgebracht wurden, nannten Vertreter der Kiesindustrie "Märchenzahlen". Andererseits konnte oder wollte selbst Hülskens-Geschäftsführer Christian Strunk keine konkreten Export-Zahlen nennen: "Das weiß niemand." Nachfragen der Moderatoren gab es darauf nicht.

Manfred Dümmer forderte abschließend ein hydrogeologisches Gutachten für den gesamten Niederrhein statt für einzelne Abgrabungsgebiete. So würden vielleicht auch die Gefahren für Esserden deutlich und es komme ein alternatives Abgrabungsgebiet in Frage, das weiter vom Rhein und von einer Siedlung entfernt liegt.

Die Kiesindustrie warf Dümmer "Befangenheit" vor, da er Mitglied der Bürgerinitiative "Zukunft Esserden" sei. Eine eigene Studie habe ergeben, dass den Bürgern in Esserden bei Hochwasser weder nasse Keller noch ein Dammbruch drohe. "Wir werden an der Reeser Welle keinen Unsinn machen, sondern verantwortungsvoll handeln", sagte Christian Strunk. "Wir werden etwas Gutes gestalten und gemeinsam mit der Stadt ein Naherholungsgebiet für Rees schaffen."

(RP)
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