Unsere Woche 13. September, 18 Uhr: Haben die Nörgler gewonnen?

Emmerich · Was bringt 2020? Sie werden es vielleicht nicht glauben: Viele Menschen wissen das erst nach dem 13. September ab 18 Uhr. Dann stehen die Ergebnisse der Wahlen in Emmerich und Rees fest. Es geht um einen neuen Rat und die Frage, wer Bürgermeister wird.

Foto: schwarze blanke

Natürlich geht der Blick ins neue Jahr für Otto Normalverbraucher erst einmal nur bis Neujahr, vielleicht auch bis Karneval oder bis zum nächsten Urlaub. Die Jahresplanung der Parteien allerdings hat längst in 2019 angefangen. Es geht um Kandidaten und Wahlbezirke. Und erst am 13. September 2020 nach 18 Uhr, wenn aus allen Wahllokalen die Stimmergebnisse eintrudeln, werden deren Akteure wissen, ob 2020 ein gutes Jahr ist. Oder eben nicht.

Hätte ich diese Zeilen in einer der vielen Emmerich-Gruppen bei Facebook gepostet (also veröffentlicht), wären spätestens zu diesem Zeitpunkt die ersten Kommentare als Antwort eingegangen. Und sie wären nicht freundlich gewesen. Nicht nur gegen mich. Besonders gegen „die Politiker“. Ist ja klar, hätte es geheißen. Denen geht es ja nur um sich selbst, um die Kohle, um die Macht. Und dafür denken sie natürlich nicht an „uns, die Bürger“. Und so weiter.

 Redaktion Emmerich, Christian Hagemann

Redaktion Emmerich, Christian Hagemann

Foto: Stade, Klaus-Dieter (kds)/Stade,Klaus-Dieter (kds)

Dazu hätte noch irgendein Nörgler aus den Tiefen des Internets ein herabwürdigendes Foto herausgekramt, das in irgendwelchen Foren kursiert, in den sich die Frustrierten tummeln. Inhalt natürlich: Irgendwas mit Merkel, Abzocke, Politiker ohne Rückgrat, weg mit denen…

Ich nehme solche Kommentare mittlerweile nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis. Wenn sie kurz vor Mitternacht von einem Menschen daheim ins Netz getippt werden, frage ich mich: Hat dieser Mensch eigentlich nichts anderes zu tun? Hat er Schlafstörungen, keinen Menschen um sich herum, der ihm sagt, dass er vielleicht doch langsam mal ins Bett kommen soll? Muss er am nächsten Morgen nicht raus und zur Arbeit?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht jeder Kommentar bei Facebook oder anderen Medien, der sich mit (Kommunal)Politik befasst, ist dumm. Es gibt viele gute. Und wenn Menschen über Politik reden, reden sie oft über ihre Gefühle, ihren Frust oder vielleicht auch ihre Angst. Das ist in Ordnung.

Aber die Mär von „denen da oben, die mit uns machen, was sie wollen“, gibt es schon immer. „Der kleine Mann“ in der Rolle des Opfers. Perfekt für alle, die sich als gescheitert empfinden. Früher saßen diese Leute an einem Tresen, schimpften mit anderen Leuten über Politik, tranken dabei Bier und waren immerhin in Gesellschaft. Am Stammtisch ließen sie Dampf ab. Und dann hatte sich die Wut erst einmal gelegt.

Heute treffen sich diese Menschen nicht mehr in der Kneipe. Sie schalten den Computer ein und sitzen einsam in ihrer Wohnung. Für ihre Kommentare bekommen sie Likes, also Zustimmung. Vielleicht von Menschen, die sie kennen. Vielleicht auch von Fremden. Psychologen wissen schon lange, dass diese Likes für Menschen, die sich oft in den so genannten Sozialen Netzwerken aufhalten, sehr wichtig sind. Sie sind so etwas wie Lob und Anerkennung. Für einsame und frustrierte Menschen vor dem Computer sind sie lebenswichtige Selbstbestätigung. Sie haben ja sonst nichts.

Und weil es für Kommentare, die sachlich sind und vielleicht über mehrere Sätze gehen, kaum Reaktionen gibt, muss es deftig sein. Wut, Hass und Beleidigungen werden geteilt und fleißig ausgetauscht. So entsteht eine Atmosphäre, in der die Vernünftigen kein Gehör mehr finden. Schreihälse haben das Sagen.

Das ist es, was Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze im RP-Interview in dieser Woche meinte. Diese Stimmung kann sich auch auf die Debatte im Rat übertragen, wenn Menschen glauben, sie dürften andere ausgrenzen. Die Mitte der Gesellschaft ist stabil. Aber die Radikalen glauben vielleicht schon, dass sie eine schweigende Mehrheit hinter sich haben.

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