Rees Amtsgericht anno dazumal

Rees · In einem Vortrag für den Reeser Geschichtsverein Ressa berichtete Helmut Heckmann über das ehemalige Amtsgericht.

Als der Neubau des Reeser Amtsgerichts am 29. November 1909 eingeweiht wurde, haben es einige der 58 geladenen Herren mit dem Feiern offenbar ein wenig übertrieben. Nach dem Essen im Restaurant Deymann, bei dem neben Rehrücken auch viele erlesene Weine gereicht wurden, übergab sich ein Gast auf dem Heimweg in seinen Zylinder. So berichtete es damals der "Niederrheinische Volksbote", und so berichtete es nun auch Helmut Heckmann bei seinem Vortrag für den Reeser Geschichtsverein Ressa im Kolpinghaus.

Die Einladung und die Speisekarte von 1909 sind bis heute erhalten geblieben, ebenso die Glückwunsch-Telegramme einzelner Bürgermeister der Nachbarstädte. Sie wollten der feierlichen Übergabe des Reeser Amtsgerichts an die Justizverwaltung nicht beiwohnen - immerhin hätten sie die vier Mark für das Festessen bei Deymann selbst zahlen müssen.

Der Einweihung des neuen Gebäudes waren mehrjährige Verhandlungen und Bauarbeiten vorausgegangen, die Stadt Rees hatte gratis das 40 mal 60 Meter große Grundstück an der Empeler Straße zur Verfügung gestellt und obendrein 20 000 Mark gezahlt. Damit wollte die Stadt aus einem ominösen Knebelvertrag herauskommen, mit dem sie sich im Jahr 1878 verpflichtet hatte, dem Amtsgericht kostenfrei die erste Etage des historischen Rathauses zur Verfügung zu stellen. Zudem durfte mietfrei ein Aktenarchiv auf dem Dachboden angelegt werden, auch die Gefängniszellen im Erdgeschoss und im Turm waren kostenfrei zu haben.

Preußischen Vorschriften, die ab Ende des 19. Jahrhunderts eine bestimmte Größe und Einrichtung der Gefängnisse vorgaben, konnten die feuchten und nachts unbewachten Zellen im Reeser Rathaus nie erfüllen. Dagegen boten die drei Einzelzellen sowie die Gemeinschaftszelle für bis zu sieben Personen im Westflügel des neuen Amtsgericht alles, was das Häftlingsleben ein wenig angenehmer machte.

Im Laufe der Jahrzehnte kamen elektrisches Licht und eine Zentralheizung dazu, doch die kommunale Neugliederung im Jahr 1975 machte das Reeser Amtsgericht letztlich überflüssig. Der Jurist Peter Bongers berichtete im Kolpinghaus anschaulich, wie er von 1982 bis 1992 im verlassenen Amtsgericht wohnte, um stolze 450 000 Grundbuchakten und andere Dokumente für die Nachwelt zu sichten und zu archivieren. "Meine Kinder haben sich gefreut, dass wir dieses große Haus für uns allein hatten", sagte Bongers. "Sie haben auf den langen Fluren Fahrradfahren gelernt."

Nach einem Einbruch mit Brandstiftung, bei dem ein Teil der Akten verbrannte, wurden alle Dokumente zur Sicherheit nach Rheinberg und Krefeld ausgelagert, 1995 wurde das Amtsgericht schließlich verkauft und zu einer betreuten Wohneinrichtung umgestaltet. Der frühere Sitzungssaal wird seit einigen Jahren vom Standesamt genutzt, um dort Trauungen vorzunehmen.

Helmut Heckmann ging in seinem Vortrag auch auf die frühen Anfänge der Justiz auf heutigem Reeser Stadtgebiet ein. So wurden nach alter germanischer Tradition Volks- und Gerichtsverhandlungen an sogenannten Thing-Stätten abgehalten.

(ms)
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