Rees Als die Büdchen in Rees noch brummten

Rees · Unter dem Motto "Kumpels, Klümpchen & Kultur" feiern die Trinkhallen sich heute selbst. In Rees schloss die letzte 2011.

 Christian Overveld betrieb bis 2011 die letzte Reeser Trinkhalle. Die Leuchtreklame hat er aufgehoben, doch an eine Renaissance der Kioske glaubt er nicht.

Christian Overveld betrieb bis 2011 die letzte Reeser Trinkhalle. Die Leuchtreklame hat er aufgehoben, doch an eine Renaissance der Kioske glaubt er nicht.

Foto: Michael Scholten

Das Ruhrgebiet feiert heute den ersten Tag der Trinkhallen und würdigt seine Kioske und Büdchen als Orte der Begegnung. "Kumpels, Klümpchen & Kultur" lautet das Motto des Aktionstages, bei dem 50 Trinkhallen zwischen 16 und 22 Uhr auch Kabarett und Kleinkunst oder Jazz und Klassik bieten. Das Programm, an dem sich auch Xanten und Dinslaken beteiligen, gibt's auf www.tagdertrinkhalle.ruhr.

In Rees schloss der letzte Kiosk im Jahr 2011. Damit ging eine lange Ära der "bunten Tüten" und des Alkohols nach Ladenschluss zu Ende. Namen wie "Schöter", "Freddy", "Pilla Lola" oder "Möllmann" wecken heute noch Erinnerungen bei vielen Reesern. Vermutlich gibt es niemanden, der als Kind nicht mal kurz von der Grundschule zu Käthe Schöter lief, um sich für 50 Pfennig eine Tüte mit weißen Mäusen oder ein Eis der Sorte "Brauner Bär" zu kaufen. "Freddy" am Busbahnhof war als Raucherhöhle bekannt, die lose verkauften Gummischnuller und Lakritzschnecken entfalteten im Mund ihren unfreiwilligen Nikotin-Geschmack. Bei "Pilla Lola" in der Fallstraße gab es bis 2004 Süßes, Flüssiges und Sonstiges. "Möllmann" am Markt war, ähnlich wie "Lodewick" am Groiner Kirchweg, eher ein kleiner, begehbarer Laden als ein Kiosk. Doch dank der Möglichkeit, lose Süßwaren für fünf oder zehn Pfennig das Stück in kleine Tüten abfüllen zu lassen, bleiben auch sie in guter Erinnerung. Ähnliche Glücksgefühle stellen sich heute noch beim Ponyhof Leiting in Isselburg ein, wo die bunte Tüte weiterhin Konjunktur hat.

Christian Overveld, Platzwart auf dem Wohnmobilstellplatz am Stadtbad, erinnert sich noch gut an seine Kindheit, als er immer wieder sonntags bei Käthe Schöter die Großpackung Schoko-Schaumwaffeln für fünf Mark kaufte. So wurde vielleicht der Grundstein gelegt für seine Liebe zum Kiosk. Denn 1995 übernahm er die Trinkhalle an der Ebentalstraße/Ecke Grüttweg und betrieb sie bis 2011. "Ich hatte mehr als 50 Sorten Bonbons und war einer der Ersten, bei dem man sonntags Brötchen kaufen konnte", sagt der 42-Jährige, der in allen Kiosk-Jahren von seinen Eltern unterstützt wurde und daher täglich von 9 bis 21 Uhr öffnen konnte.

Anfangs liefen die Geschäfte gut: "Wenn andere Läden um 18.30 Uhr schlossen, steppte bei mir der Bär", sagt Overveld. Vor allem Alkohol und Zigaretten boomten in den Abendstunden, meist verbanden die Stammkunden den Einkauf mit einem kurzen Plausch. Sonntags konnte er bis zu 400 Brötchen verkaufen, bei gutem Wetter strömte die Kundschaft aus dem Freibad zum Kiosk, auch bei Pfingstturnieren auf dem Sportplatz standen die Käufer Schlange. Dann schob Christian Overveld Sonderschichten und verkaufte alles, was er zuvor mit seinem Vater beim Handelshof in Bocholt eingekauft hatte.

Die Zeiten änderten sich: Deutschland hob die strengen Ladenöffnungszeiten auf, viele Discounter verkauften ihre günstigen Waren nun bis 21 Uhr, der Real-Markt sogar bis 22 Uhr, und immer mehr Bäcker öffneten sonntags. "Rein rational hätte ich den Kiosk viel früher schließen müssen", sagt Overveld. Den Ausschlag gab ein Verbrechen. An einem Abend im Herbst 2011 lauerte ein maskierter Täter dem Kioskbetreiber und dessen Mutter auf und forderte mit vorgehaltener Waffe die Tageseinnahmen. "Ich warf das Geld auf den Boden und bedrohte ihn mit einer Eisenstange, woraufhin er ohne Beute floh", schildert Overveld den Vorfall. In diesem Moment wusste er: "Jetzt ist Feierabend, für die paar Kröten, die der Kiosk noch abwirft, riskiere ich nicht mein Leben."

Die "Trinkhalle"-Leuchtreklame hat Overveld bis heute aufgehoben, außerdem ein paar Schilder und die Bonbon-Schippen. Als Platzwart auf dem Wohnmobilstellplatz verkauft er in seiner Holzbude weiterhin Eis und Getränke, doch einen Kiosk würde er nicht mehr betreiben wollen: "Das lohnt sich allenfalls direkt an der Rheinpromenade, aber vermutlich wäre die Miete zu hoch - und die Gastronomie am Rhein würde sich über die Konkurrenz auch nicht freuen."

(ms)
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