Rees 1945: Aus Königsberg gen Westen - Millionen Menschen auf der Flucht

Rees · "Wir sehen Bilder im Fernsehen, die uns tief betroffen machen. Gleiches gab es vor siebzig Jahren - alles aufgeben müssen, kein Eigentum mehr, keine Kleider, Monate oder Jahre unterwegs. Lassen Sie sich einfach davon mitnehmen", führte Heinz Wellmann, Vorsitzender des Reeser Geschichtsvereins Ressa, in den Vortrag von Heimatforscher Norbert Behrendt und dem heute 84-jährigen Horst Moldehnke ein. "365 Tage von Königsberg in den Westen" lautete das Thema der Flucht von Horst Moldehnke und seiner Familie - ergänzt von Schilderungen von Horst Moldehnke selbst.

Damals seien 60 Millionen Flüchtlinge in Europa unterwegs gewesen - soviel seien es heute weltweit, ordnete Behrendt das Geschehen ein. Fünfzehn Millionen deutsche Flüchtlinge seien von West- und Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland gen Westen aufgebrochen.

Der damals 13-jährige Horst Moldehnke brach am 29. Januar 1945 in dem von der russischen Armee eingeschlossenen Königsberg mit seiner Familie auf. Sie legten in einem Jahr 3000 Kilometer zurück. Bei minus 20 Grad und 30 Zentimeter Schnee ging es Richtung Pillau. In Pillau warteten 50.000 Menschen auf die Passage auf ein Schiff. Drei Tage lang marschierten sie dann nach Danzig - auf von Wehrmacht und Flüchtlingen verstopften Straßen, unter Beschuss der Russen. Nach zwei Wochen Wartezeit schafften sie es über Bekannte an Bord eines Tankers, der im März in Kiel landete.

In Plön kamen sie zur Ruhe, Bekannte in Hermskretschen im Sudetenland verschafften ihnen eine sechswöchige Pause, ehe die Russen kamen und sie zu einem wochenlangen Fußmarsch nach Berlin zwangen. Zurück nach Thüringen, warteten sie sechs Monate auf Pässe, um dann ins fränkische Obermässing zu kommen. "Dort musste man sich auch registrieren lassen, und wurde da hingeschickt, wo Kapazitäten waren", zog Moldehne den Vergleich zu heute. Damals seien 430 Einwohner, die vom Krieg weitestgehend verschont geblieben waren, mit 200 Flüchtlingen konfrontiert worden. "Die haben beschimpft, uns Zigeuner genannt und gesagt, "Ihr habt doch nichts!" Ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl bleiben für sechs Personen, später gab noch ein zweites Zimmer.

Über die Heirat der Schwester mit einem Einheimischen gelang die Integration, Horst ging nach Gelsenkirchen als Grubenholzschlepper in die Zeche, anschließend nach Anholt auf einen Bauernhof, lernte seine Frau kennen. 1955 gründete er eine Familie, baute 1963 sein Haus, wurde später Zugbegleiter und in Millingen heimisch. Sein Fazit der Ereignisse war kurz und bündig: "Dankbar für das Leben... und für das Überleben auf der Flucht."

(aflo)
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