Nachruf auf Schriftsteller Walter Kaufmann Duisburg als Ausgangspunkt einer langen Reise

Duisburg · Der in Duisburg aufgewachsene Schriftsteller Walter Kaufmann ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Mit der Stadt verband ihn eine besondere Beziehung. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Duisburg denke“, bekannte er einmal. Ein Nachruf.

 Der renommierte Schriftsteller Walter Kaufmann ist am Donnerstag in Berlin gestorben.

Der renommierte Schriftsteller Walter Kaufmann ist am Donnerstag in Berlin gestorben.

Foto: Kaufmann

Walter Kaufmann, geboren am 19. Januar 1924 in Berlin, wuchs als Adoptivsohn von Sally und Johanna Kaufmann in Duisburg auf. Der Adoptivvater ist Dr. Sally Kaufmann, angesehener Rechtsanwalt in Duisburg, alteingesessen und prominent. Ein Mann, den das Schicksal dazu bestimmt, die Jüdische Gemeinde in den Jahren der Verfolgung zu führen.

Das Fazit seines langen schriftstellerischen Lebens: Er hat wer weiß wie viele Bücher veröffentlicht, wurde mit zahlreichen Literatur-Preisen ausgezeichnet worden - unter denen nicht zuletzt der Heinrich-Mann- und der Theodor-Fontane-Preis (beide 1967 verliehen) herausragen.

„Stimmen im Sturm“, das ist sein Duisburg-Roman. Es hat beinahe ein halbes Jahrhundert gedauert, ehe man sich in seiner Heimatstadt an den Sohn der Stadt erinnerte, ihm eine späte Ehrung zuteil werden ließ und ihm den Literaturpreis Ruhrgebiet im Jahre 1993 zusprach. In der Laudatio heißt es: „Walter Kaufmann ist ein Schriftsteller von internationalem Rang [...], alles Regionale (erscheint) in einem weltbürgerlichen Horizont“.  

Walter Kaufmann hatte wirklich etwas zu erzählen. Sein mehr als neun Jahrzehnte reiches Leben war gekennzeichnet durch die Tyrannei des 20. Jahrhunderts, ein Jahrhundert, das es nicht immer gut mit ihm meinte und der dennoch zufrieden auf das Geleistete zurückblicken kann.

Über seine Duisburger Jahre hat Walter Kaufmann in seiner Autobiographie „Spiegel eines Lebens“ geschrieben. Hier deutet er die sich seit 1933 immer mehr zuspitzenden bedrückenden Jahre seiner Jugend in Duisburg an. Bei den Freunden, den Hockeykameraden vom Club Raffelberg bemerkt er als erstes einen subtilen Antisemitismus.

Walter Kaufmann erlebt in seiner Jugend alle möglichen Diskriminierungen - nicht nur auf dem Realgymnasium (Steinbart-Gymnasium), das er bis 1938 besuchte - die ihren Höhepunkt im Novemberpogrom 1938 erreichen. Das Elterhaus wird verwüstet, der Vater als „Schutzhäfling“ nach Dachau verschleppt. Für Walter Kaufmann war wichtig, dass er eine wohl behütete Kindheit und erste Jugendjahre im Elternhaus auf der Duisserner Prinz-Albrecht-Str. in Duissern erleben durfte.

Im Gegensatz zu seinen Adoptiveltern Johanna und Sally Kaufmann konnte Walter Kaufmann der Vernichtung durch die Nazis entkommen, rettete sich an seinem 15. Geburtstag am 19. Januar 1939 als Jugendlicher mit einem Kindertransport nach England. Die Eltern starben im Gas von Auschwitz.

Bei Kriegsbeginn wird er im Mai 1940 von der britischen Polizei als „feindlicher Ausländer“ interniert und mit dem berüchtigten Schiff „Dunera“ nach Australien deportiert, wo er noch fast zwei Jahre in einem Internierungslager verbringen musste. 18 Monate verbringt er in Wüstencamps zwischen Stacheldraht und Wachtürmen. Er ist siebzehn Jahre alt, als er das Internierungslager verlassen kann. Mit Gelegenheitsjobs schlägt er sich durch und wartet doch nur auf eine Nachricht von den Eltern. Die Nazis haben ihn längst ausgebürgert.

Kaufmann wurde australischer Soldat. Der junge Emigrant aus Duisburg schlug sich in Australien mit allen möglichen Arbeiten durchs Leben. Meistens im Bereich des Hafens, auf Schleppern und Frachtern. Dann aber auch als Straßenphotograph, Schlachthausarbeiter, Obstpflücker, Docker und lange Jahre als Seemann. Bewusst entschied er sich Mitte der 1950er Jahre für ein Leben in der DDR. Er behielt seinen australischen Pass, durfte als Journalist und Schriftsteller reisen und verarbeitete diese Erfahrungen in zahlreichen Reportagen und Büchern, die in der DDR in extrem hohen Auflagen erschienen. Von 1985 bis 1993 stand er als Generalsekretär dem PEN-Zentrum vor. Das Exil ist zwar schwer, aber als „bitter“ hat er es nicht empfunden.

Die einfachen Menschen, denen er – zur See und zu Lande – begegnet, outcasts wie er, ihre sozialen Nöte regen ihn zum Schreiben an. Seine Kurzgeschichten, seine realistische Prosa „treffen“, wie er sagt, „den Nerv der Zeit“.

1956 siedelt er nach Berlin/DDR um: „Ich entschied mich für die DDR, weil ich am Aufbau eines sozialistischen Deutschlands teilhaben wollte. Eine andere Alternative gab es damals für mich nicht.“ Die DDR sah er als Verkörperung eines anderen Deutschlands, das er als Jugendlicher verlassen musste. In der DDR war er Präsidiumsmitglied des P.E.N.-Zentrums und von 1985-93 Generalsekretär des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost).

 „Staatsnah“ ist Walter Kaufmann in der DDR nie gewesen. Im Gegenteil: Die Stasi hat ihn im Visier. Beim Einblick in seine Stasi-Akte stößt er auf mindestens 20 Decknamen. Er wird von einer prominenten Schriftstellerkollegin bespitzelt - Christa Wolf.

In fast allen seinen Büchern reiht Kaufmann autobiographische Geschichten auf, wie Perlen an einer Kette. Sie führen von seiner Heimatstadt Duisburg weit in die Welt des vergangenen Jahrhunderts und immer wieder zurück in die Gegenwart, den Leser immer mitnehmend. Längst als Autor erfolgreich, fährt er noch einmal auf verschiedenen Frachtern zur See, erkundet mit Entdeckerlust eines Jack London fremde Ufer, schreibt darüber voller Leuchtkraft und Lebendigkeit. Das gilt auch für sein Buch „Schade, dass Du Jude bist. Kaleidoskop eines Lebens“, in dem er sich, wie stets, an seine Heimatstadt Duisburg erinnert. Das gilt umso mehr für sein 2018 erschienenes Buch „Die meine Wege kreuzten“, in dem er Menschen porträtiert, denen er während langer neun Jahrzehnte begegnete - Bekannte und weniger Bekannte, Sympathische und Verachtenswerte, Hilfsbereite und Hilfe Versagende, Männer und Frauen, Deutsche aus Ost und West, Engländer und Australier und solche aus anderen Ländern und Kontinenten. Auch einfache Menschen, „kleine Leute“, die ihm etwas sagten. Da sind der Sportlehrer, der ihn 1937 gegen einen HJ-Führer verteidigte; der brutale britische Feldwebel, „The Lionhunter“, der den jungen 16-jährigen Walter Kaufmann auf das Deportationsschiff „Dunera“ prügelte; die australische Schauspielerin, in die er sich verliebt hatte oder der Anwalt Otto Schily, der sich vergeblich um das Elternhaus bemühte, das Nazi-Profiteure an sich gebracht hatten, nicht zuletzt seine Eltern und all die anderen. Insgesamt siebzig Skizzen, Episoden, in denen Walter Kaufmann wie durch ein Brennglas auf Menschen blickt, die ihn geprägt haben, Porträts in dichter, empathischer Sprache gezeichnet.

Seine Bücher führen ihn von seiner Heimatstadt Duisburg weit in die Welt des vergangenen Jahrhunderts und immer wieder zurück in die Gegenwart. Duisburg war der Mittelpunkt seines jungen Lebens und ist die Stadt geblieben, die für ihn – neben Sydney und Berlin, wo er lebt – die größte Bedeutung hat.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit besuchte Walter Kaufmann die Stadt, in der er seine ersten sechzehn Lebensjahre verbracht hat. Meistens kam er zu Lesungen aus einem seiner Bücher, in denen die Stadt Duisburg breiten Raum einnimmt.

Im Februar 2008 kam er nach Duisburg, um im Rahmen der rollenden Ausstellung „Zug der Erinnerung“ aus seinen autobiographischen Büchern zu lesen. Dabei betonte er – wie stets – kein „Opfer“ zu sein. Er habe in seinem Leben die Welt erleben können. Aber es vergehe kein Tag, an dem er nicht an seine Eltern denke, die in Auschwitz ermordet wurden. Über die deportierten jüdischen Kinder, die in der Ausstellung im „Zug der Erinnerung“ zu sehen waren, bemerkte er, er hätte sehr wohl eines der dort abgebildeten Kinder sein können.

Duisburg, seine Eltern und das Haus, in dem er aufwuchs, haben Walter Kaufmann zeitlebens nie losgelassen. In seinen Werken spiegelt sich die Erinnerung an die Stadt auf extreme Weise – im Guten wie im Bösen. Immer wieder. So oder so. Sein Bekenntnis: „Ich bin immer ein Sohn der Stadt Duisburg  geblieben“.

Bis zuletzt nahm Walter Kaufmann am politischen Weltgeschehen regen Anteil und blieb schriftstellerisch tätig.

Der Dokumentarfilm „Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ der Berliner Regisseure Karin Kaper und Dirk Szuszies wird im Rahmen von „321 – 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ voraussichtlich ab Frühherbst bundesweit in den Kinos zu sehen sein.

Demnächst werden auch die Briefe von Johanna und Sally Kaufmann an ihren Sohn Walter aus den Jahren 1939 – 43 in den Duisburger Geschichtsquellen mit dem Titel „Alles Schreiben hat ja den Zweck, daß wir uns wiedersehen“ erscheinen. Walter Kaufmanns lange Reise ist nach 97 ereignisreichen Jahren friedlich an ihren Endpunkt gelangt.

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