Theater in der Kneipe „Kein Marthaler, ein Ruhrthaler“

Duisburg · Das Theaterstück „Vor Sonnenuntergang“ feierte Premiere in der Ruhrorter Hafenkneipe „Zum Hübi“.

 Die Hafenkneipe lieferte die passende Kulisse.

Die Hafenkneipe lieferte die passende Kulisse.

Foto: MediaDevice

Um es vorwegzunehmen: Mit Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Drama hat der Ruhrorter Theaterabend „Vor Sonnenuntergang“ kaum etwas gemein – allenfalls die begriffliche Metapher, dass es hier wie dort um den männlichen Lebensabend geht und dass das Naturschauspiel eines Sonnenuntergangs ein naturalistisches Ereignis darstellt. Schon näher kommt dagegen das am vergangenen Wochenende in der Hafenkneipe „Zum Hübi“ uraufgeführte Erzähltheater dem Vergleich (wie es eine Besucherin scherzhaft formulierte), dass dieser Abend hier „kein Marthaler, sondern ein Ruhrthaler“ sei. Zur Erklärung: Christoph Marthaler, derzeit „Artiste associé“ der Ruhrtriennale, ist ein Schweizer Theaterregisseur und Musiker, dessen Inszenierungen sich durch eine außergewöhnliche Ästhetik auszeichnen und sich zwischen musikalischen, collagenartigen Abenden und eigenwilligen Klassiker-Interpretationen bewegen.

Von daher hat die Ruhrorter Produktion von „Theater Arbeit Duisburg“ (TAD) etwas Marthaler-haftes: „In der Dramaturgie jeder Marthaler-Inszenierung ist immer ein zeitlich besonders strukturierter Liederabend versteckt“, heißt es. Im Zentrum der Ruhrorter Bühnenarbeit stehen Lebensbiografien von sieben Männern im Alter zwischen 57 und 79 Jahren, die umrahmt sind von zeitgenössischen Texten zwischen Poesie und Prosa. Diese sind fragmentarisch bis collagenartig strukturiert, werden teils sprecherisch, teils musikalisch dargeboten und geben mit einem Blick zurück nach vorn die Sicht frei auf individuelles und gesellschaftliches Leben hierzulande.

Der Produktionsleitung ging es nicht darum die persönlichen Lebens- und Berufsbiografien der sieben Männer durch die Protagonisten originalgetreu erzählen zu lassen, sondern Geschichten und Aussagen stellvertretend und allgemeingültig für diese Generation von Mann aufzustellen. Jene Absicht wurde unabsichtlich, aber sehr wirkungsvoll begünstigt, indem die immer tiefer stehende Sonne das Publikum derart blendete, dass die Männer zum Teil nur noch schemenhaft als Kontur eines Körpers, als Umriss einer Figur wahrgenommen werden konnten.

Damit die wirklichen Lebensverläufe der Männer in der Rezeption textlich abstrahiert bis verfremdet erscheinen, wurden Gedichte von Frahm und Grospietsch, eine Agitprop-Rede von Stegmann sowie andere literarische Texte, darunter Heiner Müllers „Der ewige Maurer“, eingesprochen oder – wie im Falle des „Lotte“-Songs von Stephan Sulke – rezitativ wiedergegeben.

So, wie auf den abendlichen Sonnenuntergang am nächsten Tag ein Sonnenaufgang folgt, endet die Geschichte der Aufführung dort, wo und wie sie einst begonnen hat: Sieben Männer stehen am Fenster und sehen nach draußen. Doch jetzt herrscht Dunkelheit und diese steht im metaphorischen Sinne für den Tod, womit wir dergestalt wieder bei Hauptmann wären.

Am Samstag und Sonntag gibt es jeweils um 15.45 Uhr in der Hafenkneipe „Zum Hübi“, Dammstraße 27, noch eine Aufführung. Infos unter www.theater-arbeit-duisburg.de.

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