Duisburg Vom Lehrstuhl auf den Lehnstuhl?

Duisburg · Der bekannte Soziologe Prof. Dr. Hermann Strasser, der viele Jahre an der Duisburger Universität lehrte, wird am Montag 75 Jahre alt. Für eine Fortsetzung seiner Autobiografie beschäftigt er sich auch mit dem Alter.

Duisburg: Vom Lehrstuhl auf den Lehnstuhl?
Foto: rp-Archiv

Prof. Dr. Hermann Strasser ist ein Vollblutsoziologe. Von 1977 bis 2007 hat er an der Universität in Duisburg gelehrt. Bekannt war der aus Österreich stammende Wissenschaftler aber nicht nur in Akademikerkreisen, sondern einem großen Publikum. Strasser beschäftigte sich als Wissenschaftler mit soziologischer Theorie, mit dem sozialen Wandel, mit sozialer Ungleichheit, mit Drogen, Arbeitslosigkeit, Kultur und sozialem Kapital. Er leitete Forschungsprojekte, die Überschriften tragen wie "Polizisten im Alltagskonflikt", "Bürgerschaftliches Engagement und Altersdemenz", "Kinderarbeit - Kulturarbeit mit Kindern" oder auch "Gewaltprävention bei ausländischen Jugendlichen". Kurzum: Hermann Strasser ist ein Wissenschaftler, der die Probleme der Gegenwart im Auge hat, der nah an der Wirklichkeit forscht - und dem es zu wenig ist, sein Brot als Uni-Gelehrter im Elfenbeinturm zu verdienen.

Vor zehn Jahren wurde Strasser emeritiert. Zur Ruhe gesetzt, hat er sich aber nicht. Seit 2007 hat er viele Bücher und Aufsätze publiziert, nicht zuletzt seine lesenswerte Autobiografie "Die Erschaffung meiner Welt: von der Sitzküche auf den Lehrstuhl" (die RP berichtete damals ausführlich): In dieser Autobiografie wird ein weiter Bogen gespannt von der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs, Deutschlands und der USA über die familiäre Vorgeschichte, die Kindheit im Krieg und die Jugend im Salzburger Land sowie der Studienzeit und die ersten beruflichen Engagements in Paris, Innsbruck, Berlin, New York, Oklahoma und Wien bis zur Berufung auf den Lehrstuhl für Soziologie an der damaligen Gesamthochschule Duisburg Ende der siebziger Jahre.

Damit war auch die Übersiedlung von Österreich nach Deutschland verbunden. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte waren soziologische Theorie, soziale Ungleichheit und sozialer Wandel. Zuletzt widmete er sich vor allem der Sozialkapitalforschung, in der es in mehreren Projekten um Fragen des bürgerschaftlichen Engagements bei Kindern, ausländischen Jugendlichen und Demenzkranken ging.

Der Reiz seiner Autobiografie besteht in der Verbindung von persönlicher und allgemeiner Geschichte, wobei der Blickwinkel des Soziologen auf die jüngste Geschichte besonders interessant ist. "Vom Zeitgenossen zum Zeitzeugen" hieß die Überschrift in unserer Besprechung des Buches.

Zeitlich endete Strassers Autobiografie mit der Berufung als Professor für Sozialwissenschaften an die Duisburger Universität. Bereits beim Erscheinen des Buches "Die Erschaffung meiner Welt: von der Sitzküche auf den Lehrstuhl" deutete Strasser an, dass er an eine Fortsetzung denkt. Die ist mittlerweile schon weit gediehen. Das Arbeitspapier sei, so verriet er der RP, bereits auf rund 800 Seiten angewachsen. Seit seiner Emeritierung vor zehn Jahren habe er eine Lebensmitschrift zu Papier gebracht, die er selber "Gesprächiges Schweigen eines Unterhundertjährigen" nennt, wobei er den Unterhundertjährigen gerne als "Uhu" abkürzt. Strasser beschreibt in seinem neuen Buchprojekt auch sein persönliches Erleben des Alterns. Wie im ersten Autobiografie-Band möchte er auch diesmal Familiäres, den Freundeskreis, die Uni sowie die Gesellschaft hier in Euro und in der Welt miteinbeziehen. Strasser: "Für mich ist das Schreiben so etwas wie eine neue Liebe geworden - eine Liebe, die auf der Suche nach dem passenden Wort ist." Er wolle, so sagt er, auch "einige Fallen aufzeigen, in die man mit dem Älterwerden tappen kann". Das gehe nur, wenn man bestimmte Spielregeln einhält. Strasser: "Das ist natürlich leichter gesagt als getan, wie ich auch selbst an der einen oder anderen Stelle schmerzlich feststellen musste, wenn ich nur an die Fortsetzungsfalle oder die Verdrängungsfalle denke. Zugleich sammle ich fleißig Material, um auch die akademischen Geräusche zwischen 1978 und 2007 festzuhalten. Ich könnte mir sogar vorstellen, sie dann unter dem Titel 'Meine preußischen Jahrzehnte in guter Gesellschaft' zu publizieren." Seinen zur Ironie neigenden Humor hat Strasser nicht verloren. "Vom Lehrstuhl auf den Lehnstuhl?" ist der Arbeitstitel seines neuen Buches, wobei er viel Wert darauf legt, dass das Fragezeichen nicht vergessen wird.

Am Montag, 28. November, feiert Hermann Strasser Geburtstag. Auf die Frage, was sich der "75er" zum Geburtstag wünscht, antwortet Strasser schmunzelnd in der dritten Person: "Dass er das Aufräumen noch schafft, das Vergessen in Grenzen halten kann und es bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich am 4. Dezember nicht zum Hofburg-Debakel mit Norbert Hofer kommt und mein Studienkollege und lebenslanger Freund Alexander Van der Bellen das Rennen gewinnt."

(pk)
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