Duisburg Vom Glück der Heimat in zwei Kulturen

Duisburg · Hatice Akyün - "deutsches Herz, türkische Seele" - las für den Verein für Literatur und Kunst in der Zentralbibliothek.

Globalisierung ist zum Beispiel, wenn eine gebürtige Türkin ihren Lebensabend in jenem ehemaligen Zechenhaus in Marxloh verbringen möchte, in dem sie aufgewachsen ist und sich zuhause fühlt.

Hatice Akyün wurde 1969 in einem anatolischen Dorf geboren, von 1972 bis zum Jahr 2000 lebte sie in Duisburg, seitdem als freie Journalistin und Schriftstellerin in Berlin. Jetzt las sie für den Verein für Literatur und Kunst in der schon seit Tagen ausverkauften Zentralbibliothek im Stadtfenster aus ihrem jüngsten Buch mit dem ebenso drastischen wie langen Titel ",Verfluchte anatolische Bergziegenkacke'. Oder wie mein Vater sagen würde: Wenn die Wut kommt, geht der Verstand".

Der Band enthält 97 ihrer Kolumnen, die sie unter der Überschrift "Meine Heimat" im Berliner "Tagesspiegel" veröffentlichte. Darin geht es um ihr deutsches Herz und ihre türkische Seele, um die Logik oder den Unsinn hinter dem alltäglichen Treiben und nicht zuletzt um die Sprichwörter und Lebensweisheiten ihres anatolischen Vaters. Eine Welle der Warmherzigkeit überflutet die Leser und noch mehr die Zuhörer, nicht ohne milden Spott. Der übliche Spruch "Sie sprechen aber gut Deutsch" macht bei ihr insofern Sinn, als sie tatsächlich viel Freude an klarer und schöner Sprache hat, zugleich oft farbenprächtige türkische Ausdrucksweisen ins Deutsche überführt. "Türken kaufen nicht wie die Deutschen in Gramm und kleinen Portionen ein, sondern in Kisten und Kanistern, und zweimal nicht Brot vom Vortag zum halben Preis", stellt sie fest und lacht spontan: "Das ist so deutsch!" Ihre Mutter zitiert sie mit den Worten: "Deutsche Frauen führen ihren Mann vor. Türkische Frauen führen ihren Mann." Den Rosengarten am Zechenhaus hatte die Mutter durch einen Gemüsegarten ersetzt, denn damals gab es in Deutschland ja kein "richtiges" Gemüse wie Aubergine und Zucchini und sie fürchtete, ihre Kinder würden ebenso blass und blond werden wie die der Nachbarn. Die Bestsellerautorin war an diesem Abend erstmals seit zehn Jahren bei einer Lesung nervös, denn in der ersten Reihe saßen ihr Vater, den wir ja alle schon aus ihren Büchern kennen und der angeblich immer noch nicht verstehen kann, warum so viele Menschen kommen, um seiner Tochter zuzuhören, ihre Schwester und diverse Nichten. Der Vater hat sich übrigens längst den Traum vom Häuschen am Meer bei Izmir erfüllt, kehrt aber gleichfalls immer wieder gerne zurück an den Striepweg.

(hod)
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