Duisburg Vom Ehemann bespitzelt

Duisburg · Die Journalistin und Schriftstellerin Ellen Thiemann saß wegen Republikflucht in der DDR im Gefängnis. Ihr eigener Ehemann hatte sie an die Stasi verraten. Im Albert-Einstein-Gymnasium erzählte die 72-Jährige aus ihrem Leben.

Rumeln-Kaldenhausen In der DDR war ja gar nicht alles so schlecht. Solche und ähnliche Sätze hört man oft. Doch das Unrecht der SED-Diktatur darf nicht in Vergessenheit geraten. Um der Verklärung entgegenzuwirken, hat die Lehrerin Beate Kramer die Geschichts-AG "20 Jahre Mauerfall – Das Leben in der SED-Diktatur" am Albert-Einstein-Gymnasium ins Leben gerufen. Jetzt war die Zeitzeugin Ellen Thiemann bei der Gruppe zu Gast. Packend berichtete sie von ihrer Inhaftierung in der DDR.

Thiemann saß ein wegen Republikflucht. Ihr Verbrechen war der Wunsch, die DDR zu verlassen, als sie merkte, dass dort Rechte wie freie Meinungsäußerung oder das Postgeheimnis mit Füßen getreten wurden – für sie als Journalistin "ein unhaltbarer Zustand", wie sie erzählte. Sie habe angefangen sich zu beschweren, sei ohnehin durch viel Westverwandtschaft aufgefallen.

Briefe kamen nie im Westen an

Nachdem ein erster Fluchtversuch gemeinsam mit ihrem Mann, dem Spitzensportler und Sportjournalisten Klaus Thiemann, und ihrem Sohn von Polen aus gescheitert war, heckte das Ehepaar gemeinsam mit einer Tante aus dem Westen einen neuen Plan aus. "Doch das Haus war verwanzt, die Stasi wusste von den Plänen", berichtete Thiemann. Briefe, in denen sie der Tante mitteilte, dass die Fluchtpläne aufgeschoben seien, hätten die Tante nie erreicht.

Am 29. Dezember 1972 startete die Familie dann doch einen erneuten Fluchtversuch. Der erste, der, versteckt im Kofferraum eines umgebauten VW-Busses, über die Grenze kommen sollte, war Thiemanns elfjähriger Sohn. Doch an der Grenze warteten die Soldaten schon, nahmen das Auto in Empfang. "Sie wollten, dass ich meinen Mann ans Messer liefere", erinnerte sich Thiemann. Doch sie habe ihn nicht verraten und alle Schuld auf sich genommen.

Thiemann wurde verurteilt und für drei Jahre und vier Monate ins Frauengefängnis Hoheneck gesteckt. 16 Stunden Zwangsarbeit am Tag, eine gemeinsame Zelle mit 41 weiteren Frauen – es war der Horror. Und dann verließ ihr Mann sie auch noch für eine andere Frau.

Was Ellen Thiemann zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste und erst nach dem Mauerfall erfuhr: Ihr Mann war Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit. Er hat viele hochrangige Sportler und Sportjournalisten bespitzelt – auch seine eigene Frau. Die Briefe an die West-Tante hatte er nie eingeworfen, sondern sie fein säuberlich in ihre Akte eingeheftet.

(RP)
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