RP-Serie Innenansichten Unterwegs mit Duisburgs Lebensrettern

Duisburg · Schwere Verehrsunfälle, Wiederbelebungen, Todesfälle. Der Rettungsdienst der Duisburger Feuerwehr geht regelmäßig an die psychische Belastungsgrenze. Der Liebe zum Beruf tut das keinen Abbruch. Wir waren für einen Tag dabei.

 Einsatz in der Duisburger Innenstadt: Dr. Frank Marx (2. v.l.), Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, versorgt einen Patienten mit schwerer Alkoholvergiftung.

Einsatz in der Duisburger Innenstadt: Dr. Frank Marx (2. v.l.), Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, versorgt einen Patienten mit schwerer Alkoholvergiftung.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Als der kleine Digitalfunkempfänger am Hosenbund von Dr. Michael Groenke (51) lautstark auf sich aufmerksam macht, bleibt nicht viel Zeit. Eine Patientin, die auf der Intensivstation des städtischen Klinikums liegt, muss in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Über eine Kurzmitteilung erhält der freiberufliche Anästhesist, der im Rettungsdienst der Duisburger Feuerwehr tätig ist, nur grobe Informationen über die Patientin. Es ist der erste Einsatz an diesem grauen, verregneten Tag. "Verhältnismäßig ruhig heute", sagt Groenke gelassen, der sich im AvE - einem speziell ausgestatteten Notarzteinsatzfahrzeug - umgehend auf den Weg macht.

Am Steuer sitzt Jannis Stephan. Der 21-Jährige studiert Rettungsingenieurwesen an der Fachhochschule Köln und absolviert ein sechsmonatiges Praktikum beim Rettungsdienst der Feuerwehr Duisburg. Martinshorn und Blaulicht bleiben während der rund zehnminütigen Fahrt aus - die Verlegung ist geplant. "Eine Fahrt mit Blaulicht birgt immer ein gewisses Risiko, so dass wir nur im Notfall davon Gebrauch machen", erklärt Jannis Stephan, der sich nach seinem Abschluss um eine Stelle als Brandoberinspektor bewerben möchte.

 Praktikant Jannis Stephan und Dr. Michael Groenke (v.l.) kurz vor ihrem Einsatz.

Praktikant Jannis Stephan und Dr. Michael Groenke (v.l.) kurz vor ihrem Einsatz.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Am Klinikum am Kalkweg erhalten die beiden nähere Infos über die Patientin. Die Intensivstation mit 25 Betten ist komplett belegt. Der Anblick von schwer bis lebensbedrohlich kranken oder verletzten Menschen ist nicht leicht zu ertragen - für den Rettungsdienst ist es Alltag. Im Krankenzimmer kümmern sich bereits Rettungssanitäter des Malteser-Hilfsdienstes um die Patientin - eine von mehreren Hilfsorganisationen, mit denen die Duisburger Berufsfeuerwehr kooperiert. Die Patientin ist 76 Jahre alt und hatte eine Gehirnblutung gefolgt von langanhaltender Bewusstlosigkeit. Nun soll sie für das sogenannte Weaning - der Entwöhnung vom Beatmungsgerät - ins Bethesda-Krankenhaus gebracht werden. "Dieser Prozess kann Monate dauern", erklärt Groenke kurz bevor die ersten Komplikationen auftreten: Das System für die invasible Blutdruckmessung ist nicht kompatibel mit dem portablen System der Sanitäter. Ein Ersatz ist jedoch schnell zur Hand. Mit dem breiten Aufzug geht es schließlich nach draußen, wo der Rettungswagen bereitsteht.

Im RTW ist es eng und übersichtlich. Auf den wenigen Quadratmetern sitzt jeder Handgriff. Infusion anlegen, durchgehend die Herzfrequenz checken, nebenbei spricht Fahrzeugführer Dennis Bakum behutsam mit der Patientin und erklärt ihr die nächsten Schritte. Der Blutdruck der 76-Jährigen ist stark abgefallen. "Der Zustand ist kritisch, darum fahren wir jetzt mit Blaulicht", kündigt Michael Groenke an. Es fällt auf - in diesem Job ist Gelassenheit oberste Tugend. Hektik oder gar Panik kommt in keiner Situation auf. Schnell gelingt es dem Team, den Blutdruck der Dame zu stabilisieren. Nach der Patienten-Übergabe im Bethesda werden Trage, Geräte und Hände desinfiziert.

Warum entscheidet man sich für einen Beruf, in dem die psychische Belastung so hoch ist? "Es macht unglaublich viel Spaß, Menschen schon mit einfachen Mitteln helfen zu können. Zu sehen, wie ein blau angelaufener Patient mit Atemnot sich wieder stabilisiert, ist wunderbar", sagt Groenke, der in Bochum und Essen Medizin studiert und bereits Einsätze im gut vierstelligen Bereich absolviert hat. "Ich habe sofort nach dem Studium den Notarztschein gemacht. Das wollte ich unbedingt", sagt er schmunzelnd. Bei Einsätzen mit Todesfällen oder schwersten Verletzungen hat Groenke eine Art Schutzmechanismus: "Bei einem Einsatz werde ich vollständig gefordert, das schützt mich auf gewisse Art und Weise davor, mich emotional damit zu beschäftigen. Das geschieht aber womöglich unterbewusst - man kann die Psyche schließlich nicht austricksen."

Auch Jannis Stephan hat einen Weg gefunden, sich mit den psychischen Herausforderungen zu arrangieren. "Man entwickelt mit der Zeit eine professionelle Distanz. Dennoch gibt es immer wieder Einsätze, die einen berühren. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, wie er die Belastung verarbeitet. Mir bringt es viel, mit Freunden, Eltern oder mit den Kollegen zu sprechen", sagt der 21-Jährige.

Unfälle und Kriminalität 2013 in Duisburg
5 Bilder

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Mit trauriger Mine erzählt er von einer 90-jährigen, dementen Dame, die gegenüber dem Pflegepersonal derart aggressiv und gewalttätig auftrat, dass eine psychiatrische Zwangseinweisung unumgänglich war. Dabei war sie lediglich wegen einer Oberschenkelfraktur im Krankenhaus. "Manche fangen an zu trinken. Für die Folgen von schlimmen Einsätzen haben wir eine psychologische Betreuung", erklärt Dr. Frank Marx, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes und berichtet von Fällen, in den Kinder in den Händen von Rettungssanitätern verblutet sind.

Um kurz nach 16 Uhr sitzt Dr. Marx am Steuer seines Notarzteinsatzfahrzeugs, als die Leitstelle ihn und Praktikant Jannis Stephan zu einem Notfall ruft. Informationen gibt es nicht viele. Ein Mann habe in den vergangenen zwei Tagen sechs Flaschen Wodka getrunken und klagt über starke Magenschmerzen. Mit Blaulicht und Martinshorn geht es in die Innenstadt. "Kreuzungen sind besonders gefährlich", sagt Dr. Marx. Beim Eintreffen der beiden ist ein Rettungswagen bereits vor Ort. Die Wohnung des Patienten befindet sich in der vierten Etage. "Feuerwehr-Parterre", sagt Dr. Frank Marx scherzhaft.

Der Mann hat eine schwere Alkoholvergiftung. Nachbarn wurden auf sein Stöhnen aufmerksam und kontaktierten seine Schwester, die umgehend den Notruf wählte, weil ihr Bruder bereits Blut erbrochen hatte. Die Wohnung macht einen aufgeräumten und gepflegten Eindruck. An den Wänden hängen Gemälde und eine russische Fahne. Hektik kommt auch bei diesem Einsatz nicht auf. Um seinen Kreislauf zu stabilisieren, legen die Sanitäter ihm eine Infusion an. Der Patient kann sitzen, macht jedoch nicht den Eindruck, als würde er die Situation realisieren. Nach dem knapp 20-minütigen Einsatz wird der Mann im RTW ins Bethesda-Krankenhaus gebracht. "Es besteht keine akute Lebensgefahr", versichert Dr. Marx und erklärt das weitere Vorgehen: "Im Krankenhaus wird nun eine Magenspiegelung gemacht, um eine Blutung durch Veröden zu verschließen."

Ein weiterer Mensch, dem der Rettungsdienst der Duisburger Feuerwehr, der im vergangenen Jahr rund 70 000 Einsätze verzeichnete, wohl das Leben gerettet hat. "Unsere Botschaft ist, dass wir für Duisburg da sind. Langweilig wird es dabei jedenfalls nie", sagt Dr. Frank Marx lächelnd.

(RP)
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