Duisburg Studie: Starkes Tarifsystem hilft gegen Niedriglohn

Duisburg · Die Universität Duisburg-Essen hat die Tarifflucht als eine Ursache für die zunehmende Lohn-Ungleichheit ausgemacht.

Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland ist größer geworden, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs. Es braucht wieder ein starkes Tarifsystem, um die Einkommensungleichheit zu verringern. Das ist das Ergebnis einer Studie über Einkommensungleichheit aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), die an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt worden ist.

Wichtigster Grund für die Kluft bei den Einkommen: die abnehmende Tarifbindung, die überhaupt erst die Entstehung eines großen Niedriglohnsektors möglich gemacht hat. Immer weniger Betriebe halten sich an die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Branchentarifverträge. Die IAQ-Forscher Prof. Dr. Gerhard Bosch und Dr. Thorsten Kalina haben EU-weit den engen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Niedriglohnbeschäftigten und der Tarifbindung untersucht und dafür aktuelle Daten verwendet.

Die Studie liefert eindeutige Ergebnisse: In Ländern mit hoher Tarifbindung in den 80er Jahren, wie in Deutschland oder Schweden, waren nicht nur die Lohnunterschiede geringer, sondern auch die Produktivität zwischen großen und kleinen Betrieben wich weniger voneinander ab als in Ländern mit dezentralisierten und fragmentierten Verhandlungssystemen, wie den USA oder dem Vereinigten Königreich. Die Flächentarife waren ein starker institutioneller Rahmen, der die Lohngleichheit garantierte. Sie schränkten die Optionen der Betriebe ein, aus den Tarifsystemen auszusteigen, und zwangen sie, ihre Produktivität an die Löhne anzupassen - Tarifpolitik galt als "Produktivitätspeitsche".

In Deutschland genossen vor der Wiedervereinigung rund 85 Prozent der Beschäftigten eine Tarifbindung, ab Mitte der 90er Jahre sank diese Zahl schrittweise auf 59 Prozent in Westdeutschland und nur noch 49 Prozent in Ostdeutschland. Gleichzeitig gab es mehr und mehr Niedriglohnbeschäftigte.

Geschwächt wurde das Tarifsystem dadurch, dass die Gewerkschaften nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft an Verhandlungsmacht verloren. Es war schwierig, das westdeutsche Tarifmodell auf die weniger produktiven Ost-Betriebe zu übertragen. Viele Unternehmen scherten aus den Arbeitgeberverbänden aus, lagerten zunehmend Tätigkeiten in nicht tarifgebundene Gesellschaften oder auf Werkvertragnehmer vor allem aus Osteuropa aus, die nicht an deutsche Tarife gebunden waren. "Das vormals starke Tarifsystem wurde so löchrig", sagen die Wissenschaftler. "Immer mehr Arbeitgeber haben sich aus der Verantwortung stehlen können und keine Tarifverträge mehr abgeschlossen."

(jlu)
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