Hochhaus-Sprengung in Duisburg Mach’s gut, altes Haus

Duisburg · Am Sonntag wird eines der als „Weiße Riesen“ bekannten Hochhäuser in Duisburg-Hochheide gesprengt. Unser Autor ist in der Nähe aufgewachsen. Am Freitagmorgen hat er Abschied genommen.

Stau auf der A40 gehört für jeden, der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, zum Morgenprogramm. So auch an diesem sonnigen Freitag. Vor der maroden A40-Rheinbrücke in Neuenkamp geht es in beiden Richtungen nur im Schneckentempo voran. Ich will heute in den linksrheinischen Teil der Stadt. Nach Hochheide. In den Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin, und in dem sie sich als Hochheider begreifen und nicht als Duisburger. Es ist eine Reise in meine Vergangenheit.

Normalerweise gibt es nur einen Grund, der mich über den Rhein treibt. Meine Eltern leben in Hochheide. Die Tour durch den Stau und der Blick von der A40 auf die Hochhäuser, die sich über dem Ortsteil erheben, haben für mich eine besondere Bedeutung. Die „Weißen Riesen“ sind für mich das, was für die Düsseldorfer der Fernsehturm oder das Arag-Hochhaus, die Kölner der Dom und für die Frankfurter der Blick auf ihre Skyline ist: Ein Auslöser dieses wohligen Gefühls, nach langer Zeit endlich wieder Zuhause zu sein. An diesem Morgen aber fahre ich nicht nach Hause. Ich komme, um Abschied zu nehmen.

Am Sonntag wird einer der Riesen gesprengt. Und ich weiß nicht so Recht, was ich davon halten soll. Die Vernunft sagt, es ist richtig. Die Betonklötze müssen weg. In den 1970ern gebaut, entsprechen sie längst nicht mehr der Vorstellung von zeitgemäßem Wohnen. Die Folge: Leerstand, Verfall, Müll, eine Veränderung der Sozialstruktur, steigende Kriminalität und damit ein stetiger Abstieg dieses einst florierenden Stadtteils. Auf der anderen Seite aber waren die Riesen einfach immer da. Sie waren Teil meiner Jugend, meines Alltags, sind bis heute Bestandteil meiner Identität.

 In den 90er Jahren in Hochheide aufzuwachsen, war nicht immer einfach. Die Probleme waren schon damals deutschlandweit bekannt. Speziell die Zone zwischen den „Weißen Riesen“ galt als „No-Go-Area“. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Hochheide immer viel mehr war als das. Sicher, jemand wie Karl Lagerfeld („Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“) hätte es schwer gehabt, sich zwischen dem ganzen Flecktarn, dem Feinripp und den Badeschlappen wohl zu fühlen, die in Hochheide bis heute zum Ortsbild gehören. Doch für uns war das einfach normal. Wenn ich heute an meine Jugend zurückdenke, erstaunt es mich, wie wenig die Menschen im Ortsteil auf soziale Unterschiede gegeben haben und immer noch geben.

Hochheide war und ist viel vielschichtiger, als es die öffentliche Wahrnehmung der vergangenen Jahre vermuten lässt. Neben den Weißen Riesen mit all ihren sozialen Problemen gibt es diverse Ortsteile, in denen Besserverdienende und Akademiker leben: Die sogenannten Haesen, das Grenzgebiet zur Nachbarstadt Moers und Teile Alt-Hombergs zum Beispiel. Außerdem ist da die alte Zechensiedlung, die sich in Richtung Rhein erstreckt. Hier wohnen viele Arbeiterfamilien. Diese Gebiete ziehen sich wie ein Ring um die Ortsmitte mit den Riesen. Und die Bolzplätze, die Fleischer, die Frisöre, die kleine Ladenstraße – all das sind und waren Orte, an denen all diese unterschiedlichen Menschen zusammenkommen und sich auf Augenhöhe begegnen.

Neben einem gewissen Hang zur Sozialromantik machen mir auch die vielen Erinnerungen den Abschied vom Riesen nicht leicht. Da sind die unzähligen Abkürzungen des Schulwegs über den von „Gangs“ beherrschten Roten Weg, der zwischen den Riesen verläuft, und die uns unsere Eltern strikt verboten hatten. Außerdem sind da die vielen Partys im Jugendheim, das inmitten der Riesen liegt, und in dem wir die Liebe kennenlernten, die Einkaufstouren mit Mama, die mir und meinem Bruder immer ein Eis in der Ladenstadt einbrachten, und die sportlichen Erfolge mit den Schulmannschaften, die wir in der Glückauf-Halle zu Füßen der Weißen Riesen gefeiert haben.

Der Weiße Riese (Vordergrund) wird am Sonntag gesprengt.

Der Weiße Riese (Vordergrund) wird am Sonntag gesprengt.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Nach gut zwei Stunden im Viertel habe ich genug. Ich steige in mein kleines Auto und reihe mich wieder ein in die Blechlawine auf der A40. Dieses Mal in anderer Richtung. Im Rückspiegel taucht noch einmal der weiße Betonklotz auf, der nach Sonntag Geschichte sein wird. Ich lächle und denke „mach’s gut, altes Haus.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort