„Pack die Mutter ein, ich bin Kapitän“ MSV-Legende „Ennatz“ Dietz feiert 75. Geburtstag

Drensteinfurt · Erfolge hat Bernard Dietz als langjähriger Kapitän des MSV Duisburg und der Nationalmannschaft einige aufzuweisen. Der linke Verteidiger verlor trotzdem nie den Kontakt zu seinen Wurzeln.

 Bernard Dietz.

Bernard Dietz.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Der größte Triumph liegt fast 43 Jahre zurück – doch auch auf dem persönlichen Höhepunkt vergaß Bernard Dietz nie seine Wurzeln. „Kaum zu glauben, da stand der kleine Arbeiter aus dem Ruhrpott plötzlich ganz oben und war Europameister“, sagt der linke Verteidiger, der als Kapitän die deutsche Nationalmannschaft zum EM-Titel 1980 geführt hatte und der am 22. März seinen 75. Geburtstag begeht.

Ende 1974 war der Abwehrspieler erstmals von Bundestrainer Helmut Schön für die Auswahl nominiert worden, für die er insgesamt 53 Mal auflief. Vier Jahre nach seinem Start ins Profileben beim Meidericher SV, für den er 374 Bundesligaspiele in zwölf Jahren absolvierte, in denen dem gelernten Stürmer 70 Treffer gelangen. Allein vier Tore bejubelte der „Ennatz“ am 5. November 1977 beim 6:3 gegen Sepp Maier im Tor von Bayern München, weshalb seinem Verein auch der Name „MSV Dietzburg“ verliehen wurde.

Der Nationaltorhüter spielte auch in der Auswahl eine Rolle in der Karriere des gebürtigen Bockum-Hövelers. Als Bundestrainer Jupp Derwall im letzten Länderspiel des Jahres 1978 in Düsseldorf gegen die Niederlande auf Dieter Burdenski statt Maier im Tor setzte, dämmerte es dem gelernten Schmied erst mit Verzögerung, dass ein neues Karriere-Kapitel aufgeschlagen wurde. „Ich lag im Bett und dachte, Maier spielt nicht. Dann bist du ja Kapitän“, sagt Dietz der Deutschen Presse-Agentur im feinsten Ruhrpott-Slang.

Am nächsten Tag rief der neue Spielführer seine Frau an, die sich mit dem Auto auf den Weg nach Düsseldorf machen wollte: „Pack die Mutter ein, ich bin Kapitän.“ So verfolgte Mutter Helene „mit über 80 Jahren mein erstes Spiel im Stadion. Das war ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk“, sagt Dietz und strahlt noch heute große Freude aus. Da Maier kurze Zeit später aufgrund eines Autounfalls seine Karriere beenden musste, blieb Dietz Spielführer und durfte als Erster den EM-Pokal in den römischen Himmel heben.

Ein Jahr zuvor erlebte Dietz mit dem MSV die erfolgreichste Zeit, die erst im Halbfinale des Uefa-Pokals gegen den späteren Sieger Borussia Mönchengladbach endete. Und auch bei der Wahl zum Fußballer des Jahres war Dietz knapp dran. „Ich habe mir keine Gedanken über den Fußballer des Jahres gemacht. Einmal kam der MSV-Präsident Paul Märzheuser donnerstags beim Training vorbei und packte mich an den Arm und sagte: „Ennatz, Du hast die Chance, Fußballer des Jahres zu werden.“ Ich sagte: „Willst Du mich veräppeln?““ Letztendlich siegte Berti Vogts, der in diesem Jahr seine Karriere beendet und mit dem Elfmeter zum 1:0-Erfolg über Roter Stern Belgrad Borussia Mönchengladbach den Uefa Cup-Titel gesichert hatte, knapp vor Dietz.

Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ging es bereits im Jahr der Teilnahme am Uefa-Cup in der Bundesliga bergab. 1982 stieg das Gründungsmitglied der Bundesliga erstmals ab, Dietz wurde aus wirtschaftlichen Gründen nach Schalke transferiert und erzielte noch weitere sieben Treffer in der ersten Liga, sodass der Jubilar mit 77 Toren immer noch der treffsicherste Verteidiger der Bundesliga ist. Dadurch, dass er mit Duisburg und Schalke zumeist im unteren Drittel spielte, ist der 495-malige Profi der Spieler mit den meisten Niederlagen in der Bundesliga.

Dietz selbst wäre gerne beim MSV geblieben. Selbst in den erfolgreichen Zeiten der Duisburger lehnte der bodenständige Verteidiger lukrative Angebote ab. Als einmal durchgesickert war, dass Eintracht Frankfurt den Nationalspieler verpflichten wollte, klopfte nach einem Spiel eine Familie an die Fensterscheibe seines Autos: „Hey Ennatz, Du gehst doch nicht weg von Duisburg, Du lässt uns doch nicht im Stich“, sagte der Vater und weinte dabei.

„Das war für mich wie ein Droge“, sagte Dietz, „ich saß die rund 100 Kilometer auf der Heimfahrt im Auto und habe mich im Rückspiegel angeschaut und gesagt: Das kannst Du den Menschen hier nicht antun. Mein Vater war ein Arbeitstyp, ich wurde gut aufgenommen, das war wie eine Familie.“ Die Absage erfolgte sehr schnell per Telefon ebenso wie für ein Angebot von Trainer Hennes Weisweiler, der Dietz nach dem EM-Triumph zu Cosmos New York locken wollte: „Für mich als Fußballer wäre es kein Problem gewesen, aber meine Frau und Kinder in einer Weltstadt ... Da habe ich Weisweiler abgesagt.“

Ebenso fürsorglich und überlegt wie mit der Familie hat Dietz auch sein weiteres Leben außerhalb des Rasens gestaltet. „Wir haben mit der Familie so einfach gelebt wie normale Bürger auch. Wir haben damals auch nicht das große Geld verdient“, sagt Dietz, der deshalb sein Haus im Ortsteil Walstedde des Ortes Drensteinfurt so gebaut und sein Geld so angelegt hat, „dass – falls es mit der Karriere nicht klappt – keine finanziellen Schwierigkeiten entstehen.“

Auch während seiner Trainertätigkeit im Nachwuchsbereich und als Chefcoach auf Schalke, in Schöppingen, Verl, beim VfL Bochum oder in Duisburg brachte Dietz seinen Schützlingen Bodenhaftung bei. „Ich wollte als Trainer mit jungen Leuten arbeiten, um denen zu vermitteln, was ich erreicht habe“, lautete die Devise. Rund 40 Spieler sind unter Dietz zum Profi aufgestiegen, Paul Freier wurde sogar Nationalspieler.

Ausgerechnet der MSV, bei dem Ehrenmitglied Dietz und seine Frau Dauerkarten auf Lebenszeit besitzen, bringt Dietz an seinem Ehrentag am kommenden Mittwoch in Schwierigkeiten. Die Jahreshauptversammlung samt Neuwahlen stehen an. „Meine Frau will mich überreden, auch weil gewählt wird. Ich bin noch am Zweifeln. Dann geht es wieder los mit Happy Birthday und so“, sagt Dietz, „wir haben den 60. super gefeiert und den 70. mit 400 und 600 Leuten. Das muss nicht immer sein, da muss meine Frau noch ein bisschen an mir arbeiten.“ Eine interne Feier mit Familie und Bekannten wird am Sonntag stattfinden.

Und dann steht auch wieder das monatliche Treffen mit den alten Wegbegleitern vom MSV wie Herbert Büssers oder Michael Bella an, das Dietz seit über 30 Jahren sehr schätzt: „Wir reden zwar immer den gleichen Quatsch. Aber es ist immer wieder schön.“

(lonn/dpa)
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