Leichtathletik Daumendrücken der Eltern hilft Schrader zu WM-Silber

Duisburg · Zehnkampf bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau. Noch vor der offiziellen Eröffnung betreten die "Könige der Athleten" die gewaltige Schüssel des Luschniki-Stadions. 36 an der Zahl, einer von ihnen ist Michael Schrader aus Duisburg.

 Jutta und Harald Schrader fieberten vor dem heimischen Fernseher mit ihrem Sohn Michael mit.

Jutta und Harald Schrader fieberten vor dem heimischen Fernseher mit ihrem Sohn Michael mit.

Foto: Andreas Probst

Der 27-Jährige war mit seiner Leistung, mit der er Ende Mai seine verletzungsbedingte Leidenszeit förmlich mit einem Paukenschlag beendete, einer der ersten deutschen Leichtathleten, der die WM-Norm erreicht hatte.

Später dann folgte die Kader-Nominierung — an der Seite seines Freundes und Trainingspartners Rico Freimuth und Pascal Behrenbruch. Ein erster Traum hatte sich für den "echten Duisburger Jungen", wie ihn seine Mutter Jutta im Gespräch bezeichnete, erfüllt. Einen anderen Traum, den von einer Medaille bei einem internationalen Wettbewerb, wollte er bis zuletzt nicht an sich heranlassen. "Ich will nur gesund bleiben", hatte Michael Schrader seine Ziele bewusst niedrig gehalten. Er war sich sicher, dann werde es zwangsläufig eine gute Punktzahl geben. "Wir haben oft bei uns am Küchentisch gesessen und darüber gesprochen", berichtet Jutta Schrader.

Jetzt um 9.30 Uhr Ortszeit an diesem Samstag steht Michael Schrader auf der blauen Mondo-Bahn, die WM-Bühne ist vorbereitet. Irgendwo auf der Tribüne kneten Bruder Daniel, der sich später vom unermüdlichen Anfeuern nur noch krächzend verständigen kann, und Michaels Freundin Karola nervös die Finger. Wenige Stunden vorher hat Michael Schrader noch mit den Eltern, die in Rheinhausen wohnen, telefoniert. "Ich weiß, dass ich's drauf hab, aber ich bin so nervös", gestand der Zehnkämpfer, der trotz der langwierigen Verletzungen immer an sich glaubte. "Ich liebe Zehnkampf", hat der 27-Jährige wiederholt betont.

Und damit diese Zuneigung zu einer den Körper extrem fordernden Disziplin entstehen konnte, hat er einiges in Kauf genommen. Fast übermenschlich hart trainiert, hat dabei die Techniken, die er sich einst am Friesenplatz in Homberg angeeignet hatte, weiter entwickelt, sie verfeinert, Muskeln und Bänder gestählt, so dass sich die 183 Zentimeter Körpergröße auf 83 Kilogramm fein verteilten.

Kraft, pure Kraft ist das, was am ersten Wettkampftag der Weltmeisterschaften danach schreit, von den Leinen gelassen zu werden. Hunderte Kilometer im fernen Duisburg sitzen die Eltern vor dem heimischen Flachbildschirm und zittern mit. Parallel dazu holen sie sich weitere Informationen aus dem Internet. Vater Harald Schrader, der während seiner aktiven Zeit Sprinter war und für Homberg und Uerdingen startete, hält die Mehrkampftabelle in der Hand, um die Leistungen in Windeseile in Punkte umrechnen zu können.

Das Leichtathletikfieber hat das Wohnzimmer der Familie Schrader erreicht. Irgendwie bestreiten sie jetzt alle den Zehnkampf einer WM. Ein eingeschworener Haufen mit nur diesem einen Ziel: gesund ankommen. Je besser es für den Sohn in Moskau lief, "desto nervöser wurden wir", gesteht Jutta Schrader. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus. "Um mich abzulenken, bin ich kochen gegangen."

In ruhigeren Augenblicken während der mehrstündigen Übertragung wird Jutta Schrader an die Zeit am Friesenplatz zurückgedacht haben, wo Sohn Michael sie mit unter vier Jahren zum Mutter- und Kindturnen begleitete. Sie war dort als Übungsleiterin tätig. Auch der von ihr eingefädelte Kontakt zum Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt kommt ihr in den Sinn, als die Leidenszeit ihres Sohnes kein Ende nahm und alle Maßnahmen nicht anschlagen wollten.

Als Michael in Moskau den Diskus in die Hand nimmt und den ersten Wurf jenseits der 40 Meter platziert, sieht Mutter Jutta ihren Sohn am Rheinufer stehen, nach flachen Steinen suchen, um sie übers Wasser hüpfen lassen. Schließlich fliegt der Diskus in Moskau auf Schraders neue persönliche Bestweite von 46,44 Metern. Ein langer Weg bis dahin.

Es sind nervenaufreibende zwei Tage bei den Schraders in Duisburg, die sich in einem Glücksgefühl auflösen. Da steht am Sonntagabend Sohn Michael fast auf Augenhöhe mit dem Weltrekordler Ashton Eaton auf dem Siegerpodest und erhält WM-Silber für 8670 Punkte.

Es ist auch ein ergreifender Moment für die Eltern, als der frisch gekürte WM-Zweite nach der Medaille greift und liebevoll über sie streicht, als könne er ihren realen Wert noch gar nicht begreifen. "Das war immer sein Traum", sagt Jutta Schrader, "sein großer Traum!"

(poe)
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