Duisburg Senioren leiden an "doppelter Fremdheit"

Duisburg · Die Generation der "Gastarbeiter" kommt ins Alter der Pflegebedürftigkeit. Doch zu wenige Seniorenheime sind darauf eingestellt, Migranten mit Demenz zu versorgen. Das Homberger "Haus am Sandberg" zeigt, worauf es dabei ankommt.

 Bei einer Feier des islamischen Opferfestes Anfang Oktober. Einrichtungen wie das "Haus am Sandberg", die sich auf pflegebedürftige Migranten eingestellt haben, sind noch Mangelware.

Bei einer Feier des islamischen Opferfestes Anfang Oktober. Einrichtungen wie das "Haus am Sandberg", die sich auf pflegebedürftige Migranten eingestellt haben, sind noch Mangelware.

Foto: Stefan Arend

Auf den ersten Blick ist das "Haus am Sandberg" in Homberg ein ganz normales Seniorenheim. Und doch ist einiges anders: Hier ein Bild mit Koranversen, dort ein Samowar oder eine Wasserpfeife. Und wer in den mit bunten Kacheln und Teppichen ausgestatteten Gebetsraum für Muslime schaut, dem wird klar, warum sich das Heim des Deutschen Roten Kreuzes "multikulturelles Seniorenzentrum" nennt.

Solche Einrichtungen, die sich auf pflegebedürftige Migranten eingestellt haben, seien allerdings noch Mangelware, sagt Reinhard Streibel, Leiter des Demenz-Servicezentrums für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Gelsenkirchen. Besonders für demenzkranke Einwanderer fehlten passende Angebote. Dabei nehme deren Zahl zu: Inzwischen gebe es rund 120 000 demenzkranke Einwanderer, schätzt das Servicezentrum.

Zwar existieren flächendeckend Beratungsstellen, Tagespflege-Einrichtungen, Seniorenheime oder ambulante Pflegedienste. Aber die Versorgung demenzkranker Migranten sei dennoch oft ein Problem, sagt Streibel. In deutschen Einrichtungen kämen Einwanderer mit Demenz oft nicht zurecht. Der Grund: Sie vergäßen ihre deutschen Sprachkenntnisse. Demenzkranke erinnerten sich nämlich oft nur noch an Ereignisse aus jungen Jahren. Fähigkeiten, die sie sich im Laufe ihres Erwachsenenlebens angeeignet hätten, würden dagegen oft verlernt. Aus diesem Grund bemühen sich Senioreneinrichtungen bei der Pflege von Demenzkranken, an deren Erinnerungen anzuknüpfen: Zum Beispiel, indem sie Musik aus früheren Tagen abspielen oder Alltagsgegenstände aus der Jugendzeit der Bewohner in die Einrichtung integrieren.

Einwanderer könnten diese Erinnerungen aber meist nicht teilen, sagt Michael Heveling-Fischell vom Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen. "Ein türkischer Demenzkranker erinnert sich nicht an deutsche Schlager, sondern vielleicht an alte Volkslieder aus seiner Heimat. Demenzkranke Migranten litten somit oft an einer "doppelten Fremdheit".

Sie verhielten sich aufgrund ihrer speziellen Lebenserfahrungen oft anders als deutsche, weiß Ralf Krause, Leiter des "Hauses am Sandberg". Er erzählt zum Beispiel von einer Heimbewohnerin, die nicht im Bett bleiben wollte und sich immer wieder wie ein kleines Kind zusammengekauert auf den Boden legte. "Wir haben das dann so gedeutet, dass sie als Kind auf dem Boden geschlafen hat", sagt Krause. Einfache Lösung: Ihre Matratze wurde auf den Boden gelegt. Bei vielen Bewohnern sei ein besonderes Verständnis der Lebensumstände gefragt, sagt Krause.

Problematisch sei, dass Demenz bei Migranten häufig deutlich später diagnostiziert werde als bei Deutschen, stellt der Soziologe Heveling-Fischell fest. Häufig sei es bei Migranten aufgrund von Sprachproblemen schwierig, die Krankheit festzustellen. Denn die Diagnoseinstrumente setzten oft ein sprachliches Verständnis voraus. Viele Migranten wüssten auch zu wenig über die Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen.

"Teilweise besteht auch die Sorge, dass die Angehörigen für die Pflege ganz allein bezahlen müssten", weiß Heveling-Fischell. Er fordert deshalb, Einwanderer besser über Hilfen zur Pflege zu informieren, etwa mit Broschüren in den jeweiligen Sprachen. Dabei könnten auch die Migrantenvereine wichtige Arbeit leisten. Und: In der Ausbildung von Altenpflegern müsse interkulturelles Verständnis ein fester Bestandteil werden.

Im "Haus am Sandberg" wurden die Weichen gleich bei der Eröffnung 1997 so gestellt, damit sich alle Senioren wohlfühlen. Krause stellte Pfleger ein, die türkisch und russisch sprechen. Außerdem arbeitet das Heim mit jüngeren, ehrenamtlichen Migranten zusammen. So kommen regelmäßig Frauen, die türkisches Frühstück zubereiten und mit den Bewohnern traditionelle Feste feiern. Auch deutsche Bewohner sind dann gerne dabei. Nur statt des türkischen Tees trinken sie meist lieber Kaffee.

(RP)
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