Duisburg Ruhrort mit Maschen "aufgemischt"

Duisburg · In Ruhrort ist eine umtriebige "Strickguerilla" unterwegs. Bei ihrem jüngsten "Rundgang" durch den Hafenstadtteil war die Rheinische Post unter dem Siegel der Verschwiegenheit dabei.

22 Uhr: Geheimer Treffpunkt der "Strickguerilla" ist eine Kneipe in Ruhrort. Zwei Frauen mit Tüten und einem großen Paket bepackt warten bereits. Sie möchten unerkannt bleiben, ebenso wie die beiden etwas später hinzukommenden.

"Angefangen hat alles "im November 2011 mit einem Aufruf bei Facebook", erzählt die dienstälteste Aktivistin. Dort hieß es: "Für eine Strickguerilla-Aktion werden MitstreiterInnen gesucht! Also, Strickwütige kommt mal vorbei!" Und es kamen tatsächlich mehrere Interessierte zu dem Treffen in einen Laden in Ruhrort, dessen Name hier nicht verraten wird. Noch am selben Abend wurden als "Pioniertat" ein Verkehrsschild und ein Fahrrad "zur Probe" eingestrickt, die beide vor dem Laden standen.

Beim Nachfolgetreffen, wenige Wochen später, kristallisierte sich der harte Kern der heute noch immer aktiven "Strickguerilla" heraus. "Opfer" der zweiten "Strickismus"-Aktion war eine Videostele auf dem Vinckeplatz. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit am nächsten Morgen war groß. Fußgänger blieben stehen und selbst die Autofahrer fuhren überwiegend langsam vorbei.

Doch die Bekleidung hielt nur ganze 13 Stunden. Am Abend war die Stele wieder nackt. Die Strickummantelung wurde gestohlen. "Mit dem Verkleiden von Gegenständen im öffentlichen Raum müssen wir uns von unserer getanen Arbeit verabschieden. Wir müssen loslassen", sagt mir die Frau, die das große Paket dabei hat. "Denn wenn die Sache gestohlen oder — noch schlimmer — zerstört wird, ist das zwar hart, aber wir müssen damit klarkommen. So ist das eben."

"Urban Knitting" oder "Guerilla Knitting" oder "Yarn Bomling" nennt sich diese Straßenkunst, die die Ruhrorter "Strickguerilla" betreibt. Die Texanerin Magda Sayeg gilt als ihre Erfinderin. Sie begann 2005, mit ein paar Freundinnen unfertige Strickereien über Parkuhren, Straßenschilder und Wegpfosten zu stülpen. Sayeg wollte damit dem Großstadtgrau ein paar Farbtupfer verleihen, gegen die Betonwelt anstricken. Mittlerweile ist die gestrickte Verschönerung in vielen Städten der USA, in Großbritannien, Frankreich, Schweden, Spanien und mittlerweile natürlich auch in Deutschland zu sehen.

Für die aktuell hier beschriebene nächtliche "Streetart"-Aktion haben sich die Guerilleras ein Handarbeitsmotto verordnet: "Krabbeltiere". So haben die vier Frauen Käfer, Spinnen, Ameisen aber auch Raupen und Schmetterlinge im Gepäck, mit denen sie kurz vor Mitternacht schließlich aufbrechen, das Kreativquartier Ruhrort mit "Maschen aufzumischen", wie sie sagen. Denn sie möchten den Hafenstadtteil mit ihrer Art von Kunst, mit ihren "Strickgraffitis", verschönern. Mit den gestrickten Graffitis wollen sie den Blick auf eher Alltägliches lenken. Dabei beschädigen sie nichts, machen nichts kaputt — nicht so, wie beim Sprühgraffiti, bei dem Wände mit Farbe bemalt werden und das meist ungefragt, unerwünscht und häufig auch unschön.

Der erste Gang führt zur Rückseite des Firmengeländes von Haniel an die Landwehrstraße Ecke Hafenstraße. Jetzt lüftet die Frau mit dem großen Paket ihr mitgebrachtes Geheimnis: Ein kniehohes Reh mit dem dazu passenden Namen "August" kommt zum Vorschein. Denn dieses Kunstwerk wird an die Originalstelle des seit 2010 verschwundenen "Rehlein" platziert, das der Bildhauer August Kraus 1908 als Bronzefigur geschaffen hat. Unter Zuhilfenahme mitgebrachter Kabelbinder wird das "Knit-Graffiti-Reh" mit dem Efeu am Boden verankert, um den "Dieben und Vandalen" das Leben wenigstens einigermaßen schwerer zu machen.

Beim letzten "Streetart-Gang" vor einigen Monaten hatten die "Strickistinnen" alle Zaunkugeln auf dem Gustav-Sander-Platz mit Mützen versehen. Viele dieser Kopfbedeckungen sind noch da, einige sind verschwunden, wieder andere sind beschädigt. "Kampf den Radikalen" lautet sodann auch der ausgegebene Schlachtruf der "Strickguerilla", um die "Vollständigkeit wieder herzustellen".

Inzwischen ist es weit nach Mitternacht. Die letzte Aktion steht an. Elf Ameisen sollen an der etwa drei Meter hohen Traverse vom Steiger Schifferbörse krabbeln. Da wird flugs einer der Ehemänner herbeigerufen, eine Leiter zu bringen. "Eineinhalb Spielfilme habe ich gesehen, um eine Ameise herzustellen", sagt mir stolz die Frau, die der "Generation Pinguin-Pullover" angehört, weil sie etwas später zum "harten Kern der subversiven Strickkeimzelle" vorstieß. "Demnächst brauche ich wieder neue Videos und DVDs. Aus diesem Grund habe ich gleich ein paar Ameisen mehr gemacht, weil ein bisschen Verschnitt immer dabei ist."

(RP)
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