Duisburger Geschichte und Geschichten Die „Arisierung“ der Hahnschen Werke
Duisburg · Bei der „Arisierung“ der Hahnschen Werke in Duisburg war Friedrich Flick die treibende Kraft im Hintergrund. Die Geschichte einer skrupellosen Machtübernahme vor 80 Jahren.
Die Hahnschen Werke nahmen seit 1888 einen großen Teil von Großenbaum ein. Gründer des Stahl-und Walzwerks war der jüdische Industrielle Albert Hahn (1824-1898). 50 Jahre nach Gründung musste die Familie Hahn ihr Unternehmen verkaufen. Bei der „Arisierung“ der Hahnschen Werke in Duisburg war Friedrich Flick die treibende Kraft. Flicks Firmenimperium wuchs durch ansteigende Rüstungsaufträge in der NS-Zeit. Die engen Kontakte zu den Nationalsozialisten nutzte er, um sich in großem Stil jüdische Unternehmen anzueignen. Ein Profiteur der Arisierung.
Friedrich Flick hatte schon lange zuvor die Hochofenwerke Lübeck AG ins Visier genommen. Teilhaber war die Familie Hahn. Dieses Werk war mit der Erzimportfirma der jüdischen Familie Eisner verbunden. Beide Familien hielten 80 Prozent der Aktienanteile der Hochofenwerke Lübeck, die hochwertiges Roheisen herstellten – eine ideale Ergänzung des Flickschen Unternehmensportfolios. Nachdem die Eisner-Familie unter massivem Druck ihr Aktienpaket verkauft hatte, fehlten Flick nur noch die Aktien der Familie Hahn. Flick bot den Hahns diskret Verhandlungen zum Kauf des restlichen Aktienpaketes an. Gleichzeitig drohte er, das Heeresamt könnte das notwendige Rohstoffkontingent streichen. Flicks skrupelloses Verhandlungsgeschick mit erpresserischen Argumenten war in der Branche bekannt. Es kam wie es kommen musste. Die Aktien der Hochofenwerke Lübeck wurden von Flick für den Dumping-Preis von 3,4 Millionen Reichsmark übernommen. Rudolf Hahn gelang es, eine „Schutzerklärung“ für das Werk in Duisburg-Großenbaum zu erreichen. Die Firma wollte die Familie unbedingt behalten. Rudolf Hahn sicherte zu, dass er den Erlös aus dem Aktienverkauf in das Großenbaumer Werk investieren werde. Tatsächlich erhielt er aus Berlin diese „Schutzerklärung“, die aber kurze Zeit später vom Reichswirtschaftsministerium als gegenstandslos angesehen wurde.
Anfang 1938, als das Großenbaumer Werk erneut von den Rohstofflieferungen abgeschnitten werden sollten, musste die Familie Hahn das Werk an die Mannesmann-Röhrenwerke zähneknirschend unter Wert verkaufen. Im Duisburger Stadtmuseum findet sich dazu eine Texttafel. Aus Sicht des Mannesmann-Konzerns war die Übernahme „zu vergleichsweise fairen Bedingungen“ in Verhandlungen erfolgt. Verhandlungspartner war der Mannesmann-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Zangen. Die Familie Hahn emigrierte gerade noch rechtzeitig nach England. Dass der Familie gestattet wurde, immerhin 25 Prozent des Erlöses ins Ausland mitzunehmen, gehörte zu den ganz seltenen Ausnahmen der Arisierung jüdischer Betriebe in der NS-Zeit.
Rudolf Hahn traf Flicks Vertrauten Otto Steinbrinck zufällig bei seiner Ausreise nach London. Ungerührt soll der überzeugte Nationalsozialist dem Emigranten erklärt haben: „Sie haben Glück gehabt, dass Sie überhaupt noch rauskommen.“ Während die Familie Hahn in England Zuflucht gefunden hatte, lief der Betrieb in Großenbaum weiter. Ein Doku-Film über Luftschutzübungen im Werk, die der Kriegsvorbereitung dienten, befindet sich im Archiv des Filmforums. Die Hahnschen Werke wurden im Gegensatz zu den anderen Duisburger Industriebetrieben vom späteren Bombenhagel der Royal Air Force verschont. Ob Aktienanteile in englischer Hand dabei eine Rolle spielten, bleibt bis heute Spekulation.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Gründerfamilie wieder an der Leitung des Unternehmens beteiligt. 1952 bekam die Familie Hahn im Restitutionsverfahren zur Wiedergutmachung 55 Prozent der Aktien zurück. Der andere Teil verblieb bei Mannesmann. Wilhelm Zangen bekleidete wieder die Funktion des Vorstandsvorsitzenden. In Zeiten des Wirtschaftswunders profitierten auch die Hahnschen Werke von der wachsenden Stahlnachfrage. 1958 waren dort 2600 Mitarbeiter beschäftigt. Mannesmann übernahm später das gesamte Unternehmen.
Als Rudolf Hahn 1964 im Alter von 67 Jahren in England starb, schaltete Mannesmann eine Todesanzeige für den Mann, „der dem Unternehmen über die Hahnschen Werke eng verbunden war“. Und wie erging es Hahns ehemaligen Kontrahenten Flick? Am 22. Dezember 1947 verurteilte ein amerikanisches Militärgericht Flick als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Gefängnis. Am Jahresende 1950 wurde der 68-jährige Flick vorzeitig entlassen und fing von vorn an. Wieder gelang es ihm, zum erfolgreichsten deutschen Unternehmer aufzusteigen. Doch der Name Flick bleibt mit dem unrühmlichen Teil deutscher Wirtschaftsgeschichte verbunden.