Loveparade-Chef Schaller beschuldigt Polizei Retter wird zum Anti-Helden

Bis vor wenigen Tagen kannte kaum jemand Rainer Schaller. Doch der Selfmade-Millionär und Loveparade-Chef steht plötzlich im Rampenlicht. Er steht zunehmend im Fokus der Kritik am tragischen Verlauf der Loveparade in Duisburg. Als Veranstalter war er für die Zustände auf der Zugangsrampe verantwortlich, die für viele zur tödlichen Falle wurde. Die Schuld an der Katastrophe weist Schaller jedoch der Polizei zu.

Pressekonferenz am Tag nach der Tragödie
9 Bilder

Pressekonferenz am Tag nach der Tragödie

9 Bilder

Rechtlich ist die Sache eindeutig: die Hauptverantwortung für ein Massen-Event trägt der Veranstalter. Das war in Duisburg das Unternehmen Lopavent. Geschäftsführer: Rainer Schaller. Sein Unternehmen war auch zuständig für den Zugang zum Veranstaltungsgelände um den alten Güterbahnhof, wo am Samstag die wohl letzte Loveparade der Geschichte stattfand. Es war die Zugangsrampe, wo im panischen Gedränge 20 Menschen zu Tode kamen.

Neben den Verantwortlichen der Stadt Duisburg steht daher auch der sonst so erfolgsverwöhnte Unternehmer Schaller am Pranger. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung — vorerst gegen unbekannt. Zusätzlich bringt eine Äußerung des in die Planungen involvierten Panikforschers Michael Schreckenberg die Veranstalter weiter in die Bredouille.

Der Süddeutschen Zeitung sagte der Duisburger Professor, die Veranstalter hätten nicht mit ihm zusammenarbeiten wollen und stattdessen eigene Gutachter bestellt. Wer das war, was unternommen wurde, welche Pläne vorlagen - dahinter stehen Fragezeichen. Auch Schaller selbst hat sich zu diesen Fragen bisher nicht geäußert. Nur eins hat er bislang klargestellt: Diese Loveparade war die letzte. Dabei hatte er das Event 2006 gerettet.

Stattdessen macht er der Polizei schwere Vorwürfe. Angaben des WDR zufolge will Schaller erhebliche Fehler im Einsatz der Sicherheitskräfte erkannt haben. Demnach hat die Polizei die Anweisung gegeben, alle Schleusen vor dem westlichen Tunneleingang zu öffnen. Mit fatalen Folgen: die Besucher strömten unkontrolliert in den Tunnel. Bis 14 Uhr haben man zehn der 16 Schleusen geschlossen gehalten, weil eine Überfüllung drohte. Schuld an dem Desaster könne die Anweisung der Polizeieinsatzleitung gewesen sein. Die Vorwürfe, er habe aus Profitgier Sicherheitsinteressen hintenan gestellt, wies Schaller zurück und kündigte Aufklärung an.

Rainer Schaller ist "100 Prozent risikobereit", hat er einmal dem "Handelsblatt" erzählt. Diese Risikobereitschaft hat der kahlköpfige Unternehmer unter Beweis gestellt, als er die Loveparade 2006 "reanimierte". Nachdem die unter Zuschauerschwung leidende Kult-Veranstaltung in den beiden Vorjahren ausgefallen war, stieg Schaller ein und sorgte für ein Revival.

2006 fand der Umzug noch in Berlin statt, dann kam der Umzug ins Ruhrgebiet. Schallers Konzept ging auf: 2007 in Essen war schon ein Erfolg, ein Jahr später folgte mit 1,6 Millionen Menschen der Besucherrekord in Dortmund.

Das Engagement bei der Loveparade ist keinem Altruismus, sondern profanen Geschäftsinteressen geschuldet. Mit dem "Kultur-Sponsoring" sollte der Bekanntheitsgrad seiner Fitnessstudiokette McFit gesteigert werden. "Wir haben uns lange überlegt, was wir denn Verrücktes machen können, um bekannter zu werden" erzählte er dem "Handelsblatt". Die Loveparade sei ein "Himmelfahrtskommando" gewesen - allerdings ein lohnenswertes.

Zwei Millionen Euro sollen ihn die Rechte an der Loveparade 2006 gekostet haben, geschätzte drei Millionen investierte er jährlich in die Ausrichtung. Für die Schaltung von Werbespots bei einem ähnlichen Effekt hätte der 41-Jährige deutlich mehr auf den Tisch legen müssen.

Start im Supermarkt

Schallers Karriere begann im Einzelhandel. Nach der Mittleren Reife lernte er im fränkischen Schlüsselfeld nahe Bamberg den Beruf des Einzelhandelskaufmanns beim Lebensmittelhändler Edeka. Mit 22 eröffnete er seine erste eigene Filiale, wie zuvor schon der Großvater und die Mutter.

Drei weitere folgten, ehe Schaller die Lust verlor, zwei Filialen verkaufte, in Würzburg eine Möbelhalle zum Fitnessstudio ausbaute und McFit gründete. Damals war er Putzfrau, Empfangsdame und Trainer in Personalunion. In der lokalen Werbung kündigte er an: "McFit - jetzt auch in Würzburg." Doch es war keine große amerikanische Kette, die nach Würzburg kam, aber der Beginn einer Erfolgsstory.

Einfaches Prinzip

Das Prinzip von McFit ist einfach - nicht umsonst wird die Kette das "Aldi" unter den Fitnesstudios genannt. Der Preis ist das schlagende Argument bei McFit: 16,90 Mitgliedsbeitrag pro Monat, die Konkurrenz ist mindestens doppelt so teuer. Die über 120 vorwiegend in Deutschland befindlichen Filialen sind zudem 24 Stunden zugänglich - nur beim Service muss man Abstriche machen. Fünf Minuten duschen kostet 50 Cent. Heute soll das Unternehmen nach eigenen Angaben rund 900.000 Kunden in der Kartei haben, der Umsatz über 135 Millionen Euro betragen.

"Einfach gut aussehen", lautet der Slogan von McFit. Daran wird Schaller bei der sonntäglichen Pressekonferenz zusammen mit den Verantwortlichen von Stadt und Sicherheitsbehörden nicht gedacht haben. Mit brüchiger Stimme liest er seine Statements von einem Zettel ab, meidet den Blick in die Kameras. "Worte reichen nicht aus, um das Maß meiner Erschütterung zu erklären." Die Loveparade sei immer eine fröhliche und friedliche Veranstaltung gewesen. Sie wäre in Zukunft stets von den tragischen Ereignissen in Duisburg überschattet worden. Das bedeute das Aus der Loveparade. So ist Schaller für viele vom Heiland zum Totengräber der Loveparade geworden.

Kritik am Chef

Jetzt steht der Vorzeige-Unternehmer in der Kritik. Massive Zweifel an dem Veranstaltungskonzept in Duisburg wurden schon lange vor dem Techno-Spektakel laut. So hatten Polizei und Feuerwehr wiederholt auf Sicherheitsbedenken hingewiesen, die nach Medienberichten offenbar auch bei der Organisationsleitung vorgetragen wurden. Zudem gibt es Vorwürfe, dass nicht genug Sicherheitskräfte vor Ort waren. Schaller ließ bislang viele Fragen offen und versprach eine "lückenlose Aufklärung der Tragödie".

Am Montag wurde bekannt, dass Schallers Unternehmen Lopavent die Veranstaltung bei der deutschen Tochter des französischen Versicherungskonzerns Axa versichern ließ. "Lopavent ist mit einer Gesamtdeckungssumme von 7,5 Millionen Euro bei der Axa versichert", sagte ein Sprecher des Versicherers der "Financial Times Deutschland". Sollten Ansprüche über diese Deckungssumme hinaus entstehen, wird laut der Zeitung der Veranstalter dafür privat haften müssen. Axa trägt demnach die Deckung allein.

Ob am Ende Axa zahlen wird, ist angesichts der schwer wiegenden Vorwürfen gegen Lopavent fraglich. Der Loveparade-Gründer Dr. Motte hat den Veranstaltern bereits kurz nach der Katatrophe einen schweren Management-Fehler vorgeworfen. "Die Veranstalter sind schuld", sagte er dem "Berliner Kurier". und warf den Veranstaltern "reine Profitgier" vor. "Da ging es doch nur ums Geldmachen. Die Veranstalter haben nicht das geringste Verantwortungsgefühl für die Menschen gezeigt." Mottes Meinung ist in diesen Tagen durchaus repräsentativ.

(ndi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort