Musikalische Geheimtipps hatten es in sich Platzhirsch röhrt am Dellplatz
Der Platzhirsch ist im Sommer zurück. Nachdem die letzte Ausgabe des Festivals im Winter durchaus ihren Reiz hatte, feierte Duisburg sein „Festival für Artenvielfalt“ auf dem Dellplatz am Wochenende wie eh und je.
Dabei gab’s einige Überraschungen. Eine davon lieferte gleich am Freitag der Texaner Paul Cauthen mit seiner Band auf der großen Dellplatzbühne. Zunächst scheinbar relativ klassischer Country-Rock, hangelte sich die Gruppe quer durch eine Handvoll Musikstile, am prominentesten und überraschendsten vielleicht zum Funk. Gnadenlose Grooves und geschmackvolle Orgeleinwürfe rundeten das Konzert auf der Umsonst-Bühne ab.
In der Kirche St. Joseph gab es derweil sphärische, frei Improvisierte Klangreisen mit Pedal-Steel-Gitarristin Susan Alcorn, die mit vielen Clustern und Klangkaskaden den enormen Hall des Gotteshauses optimal nutzte.
Die beiden musikalischen Highlights des Festivalfreitags kamen eher unscheinbar daher, rissen das Publikum dafür aber vom ersten Ton an mit. Das Quartett „Wir hatten was mit Björn“ überraschte mit sinnlichem Gesang und einer ungewöhnlichen Rollenverteilung. Während der Bass die Tempo- und Rhythmusaufgaben übernahm, war das Schlagzeug meistens eher ein Effektinstrument, und die Posaune agierte häufiger als zweite Sängerin denn als Solist. Spitzenleistungen brachte auch der Australier Joel Sarakula mit seiner Band auf die winzige Bühne in „Das Café“. Kompromissloser Groove und schlafwandlerisch sicheres Ensemblespiel machten den Disco-Funk-Synthpop-Hybrid zum vielleicht schönsten Musikerlebnis am Freitag.
Am Samstag wartete der Platzhirsch mit noch mehr musikalischen Geheimtipps auf, zu viele sogar, um die alle in angemessener Länge vorzustellen. „Tin Cabet“ kam, für Platzhirsch-Verhältnisse, ungewöhnlich seicht, aber sehr unterhaltsam daher, Philipp Eisenblätter zeigte mit seiner Band, dass er viel mehr kann als nur das Duisburg-Lied, „Lingby“ verzauberte in der Kirche mit viel Blechblaserei und noch mehr Hall und „Fvnerals“ spielte im Grammatikoff überraschend tiefgründigen und vielseitigen Heavy Metal. Während die „Rude Reminders“ auf dem Dellplatz lupenreinen Reggae spielten, entpuppten sich aber einmal mehr die leisen Töne als die größte Stärke des Platzhirschs.
Im winzigen „Mimi e Rosa“ spielten Anni Yu und Jan Benkest eleganten, reduzierten Pop und zogen das Publikum nicht nur mit ihrem sanften Gesang, sondern auch mit ihrem instrumentalen Können in ihren Bann.
Der Festivalsonntag startete traditionell mit Harry, dem Frühstücksmob, dem großen Mitbringpicknick. Insgesamt ließen es die Platzhirsche am Sonntag etwas ruhiger angehen, auch wenn das Junge Ensemble Ruhr und später die Balkan Brass Band nochmal ordentlich Druck machten. Das ausgedünnte Musikprogramm ließ dafür aber mehr Raum für das Rahmenprogramm des Platzhirschs.
Denn auch wenn das Festival im Kern ein Musikfestival ist, bereicherten die Kunst- und Performanceangebote das Wochenende enorm. So gab es eine Menge Kinderhörspiele, den außergewöhnlichen Gedichtautomaten „Poetomat“, den Tauschrausch im SG1, das kleinste Autokino der Welt und, und, und. So viel, dass die Besucher beinahe ein wenig erschlagen wurden, aber gerade dieses kontrolliert Chaos macht den Platzhirsch aus. Im Epizentrum, dem Dellplatz, tummelten sich Duisburger jeden Alters, probierten sich quer durch die Fressbuden oder informierten sich über die vielen Aktionen und Vereine, die ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Damals wie heute verdient sich der Platzhirsch seinen Untertitel „Festival für Artenvielfalt“ auf ganzer Linie.