Opernkritik Von St. Petersburg zur Partygesellschaft
Duisburg · Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg übernahm ihre Produktion der Tschaikowsky-Oper „Pique Dame“ erfolgreich in ihr Duisburger Haus. Die Premiere überzeugte mit ausdrucksstarkem Gesang.
Im Schaffensrausch skizzierte Peter Tschaikowsky innerhalb von 44 Tagen Anfang 1890 in Florenz seine vorletzte und am dichtesten gearbeitete Oper „Pique Dame“ (russisch „Pikowaja dama“). Mit den drei Hauptfiguren (und eigentlich mit allen Figuren) des Librettos seines Bruders Modest Tschaikowsky (dem er nach Bedarf noch eigene Zeilen hinzufügte) nach der gleichnamigen Novelle von Alexander Puschkin konnte er sich glühend identifizieren. Ende 1890 wurde dieses Meisterwerk dann in St. Petersburg uraufgeführt.
Noch einmal kurz zur Handlung: Es geht um Spielsucht, Geld und Liebesverlangen. Der junge Offizier Hermann verliebt sich in eine Frau, die für ihn unerreichbar scheint. Deren Großmutter ist eine geheimnisvolle Gräfin, die in ihrer Jugend in Paris als „Vénus moscovite“ bekannt gewesen war und eine Kartenkonstellation kennt, die den sicheren Sieg am Spieltisch bedeutet. Dieses Geheimnis will Hermann der Gräfin entreißen, um mit Geld die Liebe Lisas zu gewinnen. Doch bei seinem nächtlichen Besuch erleidet die Gräfin einen Herzschlag und die gewinnbringenden Karten, von denen Hermann erfährt – insbesondere die schicksalhafte Pik-Dame – treiben ihn in den tödlichen Wahnsinn.
Wir erleben jetzt in Duisburg eine Inszenierung aus dem 21. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert spielt, einer Oper aus dem 19. Jahrhundert, die im 18. Jahrhundert spielt. Die angesagte amerikanische Regisseurin Lydia Steier reagiert damit auf Tschaikowskys raffinierte (und schon sehr moderne) Verschränkung der Zeit- und Bewusstseinsebenen, greift teilweise wieder stärker zurück auf Puschkin. Sie verlegt die Handlung in das Hollywood der 1950er Jahre, um den höfisch-hierarchischen Kontext für ein heutiges Publikum plausibel zu machen. Hintergrund ist der Film „Sunset Boulevard“ („Boulevard der Dämmerung“, 1950) von Billy Wilder, in dem ein junger Mann sich aus reiner Berechnung an eine gealterte Stummfilm-Diva heranmacht. Darüber hinaus zeigt Steier sowohl Hermann als auch Lisa schon äußerlich als Außenseiter: er sieht aus wie Woody Allen, sie ist ein rechter Trampel (wird von ihm aber ständig als „Schönheit! Göttin! Engel!“ bezeichnet).
Das ist opulent anzuschauen und wirkt fast immer schlüssig, vor allem wie alles allmählich in einen Albtraum abdriftet. Es hakt nur an wenigen Stellen, zum Beispiel wenn der Kinderchor in Cowboy- und Indianerkostümen aufmarschiert – das ist zu harmlos, immerhin werden den Kindersoldaten hier vaterländische Märsche eingebläut. Und dass Fürst Jeletzki die einzige echte Liebes-Arie dieser Oper als Party-Schlager in ein rosa Mikro singen muss, ist zumindest geschmacklich eine Entgleisung.
Gesungen wird durchweg erstklassig, allen voran Sergej Khomov (Hermann) in seiner Paraderolle als problematischer Heldentenor, Natalia Muradymova (Lisa) als berührend unbedingter Sopran und Renée Morloc (erstmals als Gräfin). Kammersänger Stefan Heidemann debütierte gleichfalls unverbraucht in einer „Alterspartie“, nämlich als Graf Tomski und Slatogor. Rheinopern-Kapellmeister Aziz Shokhakimov entlockt den zahlreichen Sängerinnen und Sängern sowie vor allem den Duisburger Philharmonikern den gesamten Reichtum dieser großartigen Partitur. Der Jubel war einhellig.
Wir empfehlen also den Besuch der weiteren Vorstellungen am Donnerstag, 3. Oktober, um 18.30 Uhr, am Mittwoch, 16. Oktober, um 19.30 Uhr, und am Sonntag, 8. Dezember, um 15 Uhr.
In der Vorstellung am 16. Oktober übernimmt die legendäre Altistin Hanna Schwarz die Rolle der Gräfin. Karten gibt es am einfachsten im Internet unter karten@theater-duisburg.de.