Neues Buch von Jan-Pieter Barbian Kultur als Spiegel der Gesellschaft

Duisburg · Jan-Pieter Barbian ist nicht nur Bibliotheksdirektor in Duisburg, sondern auch ein anerkannter Wissenschaftler. Jetzt hat er einen großen Sammelband mit seinen Aufsätzen zur deutschen Kulturgeschichte veröffentlicht.

 Jan-Pieter Barbian präsentiert sein neues Buch.

Jan-Pieter Barbian präsentiert sein neues Buch.

Foto: Jörg Spengler

Dass der Duisburger Bibliotheksdirektor Jan-Pieter Barbian, im Ehrenamt auch noch Geschäftsführer des Vereins für Literatur, ein belesener Mann ist, mag man noch für selbstverständlich halten. Weniger bekannt ist in dieser Stadt aber, dass Barbian in der Fachwelt und darüber hinaus auch als Wissenschaftler Bedeutendes geleistet hat und noch immer leistet. Seine 1991 an der Universität Trier abgeschlossene Doktorarbeit „Literaturpolitik im ,Dritten Reich‘“ ist auf diesem Forschungsfeld ein Standardwerk geworden. Unter dem leicht veränderten Titel „Literaturpolitik im NS-Staat“ hat Barbian 2010 seine Dissertation auf den neuesten Forschungsstand gebracht. In dieser Form ist sie im Fischer-Taschenbuch-Verlag erschienen. Die Veröffentlichung in einem solchen Verlag und in einer solch leicht zugänglichen Weise spricht für die herausragende Bedeutung von Barbians Forschungsleistung.

Auch als Duisburger VHS-Abteilungsleiter für Kulturelle Bildung und seit 1999 als Direktor der Duisburger Stadtbibliothek hat er wissenschaftlich weiter gearbeitet, Bücher herausgegeben und zahlreiche Aufsätze für Fachpublikationen oder Themenbände geschrieben. Jetzt hat Barbian einen Sammelband veröffentlicht, der eine Auswahl seiner Aufsätze zur deutschen Kulturgeschichte aus 30 Jahren vereinigt.

Da ist viel zusammengekommen! Der 639-Seiten starke Band hat drei Teile. Im ersten geht es um die Kultur in der NS-Zeit und ihre Nachwirkungen. Das ist ein Gebiet, in dem sich der Autor dank seiner Doktorarbeit auskennt wie wohl kein anderer Wissenschaftler. Doch ist Barbian keiner, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht: Im detaillierten Anmerkungsteil kann man nachvollziehen, dass bei jedem Aufsatz der aktuelle Forschungsstand berücksichtigt wird. Wissenschaftliche Genauigkeit ist die besondere Qualität dieser Aufsätze, die durchaus brisant sein können. So beispielsweise der Aufsatz über Luise Rinser, die nach dem Krieg ihre Nähe zu den Nazis nicht mehr wahr haben wollte. Barbian entlarvt unbestechlich diese Lebenslüge, die angesichts des guten Rufs, den Luise Rinser bei vielen Lesern der Nachkriegszeit hat, durchaus beklemmend wirkt. Barbian macht es sich nicht einfach, wenn er das zum Teil larvierende Verhalten von Schriftstellern während der NS-Zeit unter die Lupe nimmt. Bei den Aufsätzen über Ricarda Huch, Ina Seidel und Wolfdietrich Schnurre wird die berühmte Aussage von Adorno „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ sehr differenziert gesehen. Wie schwer es für Schriftsteller mit humaner Gesinnung war, in der Nazizeit zu existieren, zeigt ungemein anschaulich die Studie über Hermann Hesse, der versuchte, Möglichkeiten zum Publizieren unter der Knute der nationalsozialistischen „Schrifttumsbürokratie” zu finden. Diesen Nervenkrieg habe er wohl verloren, schrieb Hesse 1946 selbstkritisch in einem Brief an Thomas Mann. Barbians Aufsatz trägt den treffenden Titel „Keine Zeit für Glasperlenspieler”.

Bei aller wissenschaftlichen Detailfülle und Genauigkeit sorgt Barbian auch für die gute Lesbarkeit seiner Texte. Die Darstellung und Analyse einer bekannten Machtstrategie der Nazis leitet der Autor originell so ein: „Im Frühjahr 1933 machte ein Begriff die Runde, der der elektrischen Stromschalttechnik entlehnt war.“ Gemeint ist die Gleichschaltung, bei der alle Bereiche des öffentlichen Lebens ihre Eigenständigkeit verloren und auf nationalsozialistische „Linie“ gebracht wurden.

Dem großen ersten Teil des Sammelbandes folgen noch zwei kürzere Teile: Filmgeschichte sowie Geschichte und Literatur des Ruhrgebiets. Im Filmteil geht es von der „Lichtspielzensur in der Weimarer Republik“ bis zur Kontroverse um die Verfilmung des Romans „Winterspelt“ von Alfred Andersch. Besonders interessant ist, wie Barbian die Rechtfertigung von Zensurmaßnahmen demaskiert. Da werden „sozialethische Schutzmaßnahmen“ als Begründung vorgeschoben, um ein politisches Instrument anzuwenden. Varianten dieser Pseudoargumente kann man heute noch in der Welt beobachten.

Auch beim Aufsatz über den Streit, den ein Bildband über das Ruhrgebiet mit Texten von Heinrich Böll 1958 auslöste, wird man Parallelen zur Gegenwart finden. Böll wurde damals vorgeworfen, dass er zu wenig von den schönen Seiten des Ruhrgebiets erzähle. Böll entgegnete, dass der Sinn des Buches darin bestehe, zu zeigen, wie es im Ruhrgebiet ist, und es nicht „durch die Brille des Fremdenverkehrsdirektors zu sehen“. Gut gekontert!

Jan-Pieter Barbian: Kultur als Spiegel der Gesellschaft in Deutschland. Gesammelte Aufsätze zur NS-Zeit, zum Film und zum Ruhrgebiet. Wehrhahn Verlag. 639 Seiten. 38 Euro.

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