Duisburg Musikalische Lesung war selbst ein Wunder

Duisburg · Mascha Kaléko droht in Vergessenheit zu geraten. Geboren 1907 im tiefsten Galizien, führte sie ein bewegtes Leben in Berlin, New York und Jerusalem, starb 1975 in Zürich. Ihr "Lyrisches Stenogrammheft" wurde für die jüdische Schriftstellerin 1933 zum Durchbruch.

Jetzt erinnerte die musikalisch gelesene Hommage "Zerreiß Deine Pläne und halte Dich an Wunder!" in der gut gefüllten Zentralbibliothek nachdrücklich an eine erstklassige Autorin. Um es gleich vorweg zu sagen: Das war selbst ein Wunder, wie kongenial die 1975 in Düsseldorf geborene Judith C. Jakob die Gedichte und gleichfalls großartigen Prosatexte von Mascha Kaléko vortrug, nein: verkörperte, auch mal als Chanson sang und sogar tanzte.

Am Klavier verdichtet von Joachim Jezewski, entfaltete sich jene "aufgeräumte Melancholie", die Thomas Mann einst der Autorin attestierte. Wie überhaupt so mancher menschliche Zwiespalt sich auftat: zwischen Freiheit und Heimat, Dauer und Abschied, Glück und Schicksalsschlägen, schlichter Sprache und tiefer Aussage. Als roter Faden diente dabei das Gedicht "Interview mit mir selbst", dessen Pointe darin besteht, dass das einstige Flüchtlingskind nun im amerikanischen Exil selbst ein Flüchtlingskind hat.

Judith C. Jakob ließ durch ihre Auswahl hinter der neusachlichen Großstadtlyrik und der humorvollen Fassade die urmenschlichen Sehnsüchte erkennen. Die Wiesen blühen auch werktags; die Liebe bietet auch dann keine Erfüllung, wenn man den einen Menschen fürs Leben gefunden hat; im Exil war Mascha Kaléko "happy, aber nicht glücklich"; im "Lied zur Nacht" wird es fast neoromantisch.

Aber obwohl die eingestreuten Tagebucheinträge immer verzweifelter wurden, wurde die Dichterin doch letztlich nie zur Zynikerin. Mit diesem großen Abend zeigte der Verein für Literatur und Kunst zusammen mit dem PoesiePalast Ruhr, dass Mascha Kalékos liebevolle Ironie aktueller denn je ist.

(hod)
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